"Man muss ein gegen die Wand fahrendes System kritisieren, auch wenn man keinen perfekten Lösungsvorschlag hat."

Interview mit Frida Kohlmann von Collective Climate Justice Basel

05.07.2019
Vor einem UBS-Gebäude steht der Slogan "Climate Justice", hinter dem eine Demonstration ist.

Bis zum 11. Juli noch treffen sich Aktivist*innen der derzeit medial sehr gut wahrnehmbaren Klimagerechtigkeitsbewegung in Basel. Wie es in der Bewegung seit geraumer Zeit üblich ist, rufen sie im Rahmen eines Camps, auf dem die eigene Utopie getestet wird und Bildung und Vernetzung ermöglicht werden auch zu politischen Aktionen auf. Dieses Jahr steht die Verbindung von Finanzindustrie und Klimawandel im Mittelpunkt. Für uns war diese Schwerpunktsetzung Anlass, Frida Kohlmann vom Collective Climate Justice Basel zu interviewen.

Finanzwende: Seit einigen Jahren besetzen Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung in Europa und darüber hinaus Schienen, Gruben und Zufahrten fossiler Industrien, um für deren Schließung zu kämpfen und praktisch in die Klima-Zerstörung einzugreifen. Wie kommt es, dass ihr nun den Finanzsektor angeht?

Frida Kohlmann: Wieso eigentlich nicht? Besonders in der Schweiz bietet sich das Thema Finanzplatz ja geradezu an.

Als Global Player emittieren die Akteure der Finanzindustrie das 22fache der Menge des CO2, das die Schweiz als Land ausstößt. Immer noch beliebt bei Anlegern weltweit verfügt der Schweizer Finanzplatz über ein gigantisches Anlagevermögen, was ja gewinntragend irgendwohin fließen muss. Und es ist offenbar immer noch lukrativ, die Finanzflüsse in die übelsten Technologien zu lenken, die wir derzeit kennen. So fließt zum Beispiel beträchtlich viel Geld in die Teersand-Raffinerie in den USA, eine Art der Energiegewinnung, die bekanntermaßen sehr kritisch gesehen werden muss.

Auch in der Mitte der Gesellschaft dämmert die Erkenntnis, dass es tieferreichende Veränderungen braucht, als ein paar neue Gesetze. Die Zeit war schonlange nicht mehr so günstig für einen Systemwandel, wie in diesen Tagen.

Nicht nur die Welt ist ein Dorf geworden, das seine Interdependenz erkennt. Auch die Klimabewegung entwickelt sich stetig weiter. Wir sind heute viel besser vernetzt, breiter aufgestellt und tiefer in das Thema eingedrungen als noch vor einigen Jahren. Das kann auch erklären, warum sich das Collective Climate Justice in diesem Jahr an dieses Thema wagt.

Letztes Jahr war es noch der Ölhafen. Davor viele kleinere kreative Aktionen in der Stadt, wobei auch 2017 bereits Banken und deren menschenrechtsverletzenden Geschäftspraktiken in die Kritik genommen wurden.

Und drittens hatte das Kollektiv einfach Lust auf eine Aktion zu dem Thema!

Wie wird eure Aktion aussehen und wen genau wollt ihr angehen?

Im Rahmen unserer Aktionstage wollen wir auf die Dringlichkeit eines Systemwandels auch im Bereich der Finanzmärkte aufmerksam machen. Deshalb wird an den Aktionstagen 8. & 9. Juli eine offen angekündigte Aktion zivilen Ungehorsams an zwei Hotspots des Schweizer Finanzplatzes

stattfinden. Wir werden dort mit unseren Forderungen präsent sein. Hand in Hand mit eigenständigen Kleingruppenaktionen drehen wir gemeinsam, gewaltfrei, aber bestimmt den Klimakillern den Geldhahn zu!

Alle sind willkommen an den Aktionstagen teilzunehmen! Erfahrung ist keine Voraussetzung für die Teilnahme.

Warum habt ihr diese Aktionsform gewählt?

Angesichts der drohenden Klimakatastrophe sehen wir Aktionen des zivilen Ungehorsams als legitimes Mittel an, um auf die Dringlichkeit eines Systemwandels aufmerksam zu machen und unser Ziel einer klimagerechten Zukunft selbst in die Hand zu nehmen! Frei nach Brecht: Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

Wie denkt ihr, schaffen wir es, ein starkes Gegengewicht zur Finanzlobby aufzubauen und was braucht es dafür noch?

Natürlich denken wir darüber nach, wie Alternativen aussehen könnten. Wir haben auch Bankkonten, benutzen Kreditkarten und Geldautomaten und andere Finanzdienstleistungen. Dass es auf dem Finanzsektor dringend mehr strikte Regulationen braucht, stellt wahrscheinlich niemand mehr in Frage.

Seit der letzten Finanzkrise ist nichts Wesentliches in dieser Beziehung geschehen. Wir erfahren von einem Skandal nach dem anderen. Panama, CumEx, CumCum …alles schon wieder fast vergessen. Immer sind Summen im Spiel, bei denen man sich die Anzahl der Nullen erst einmal auf ein Blatt Papier malen muss, um sich die Dimension vorstellen zu können und dann fließt erstmal wieder viel Wasser den Fluss herunter und die Welt regt sich lieber über Kinder auf, die nicht zur Schule gehen.

Die Empörung, die durch die Occupy Wallstreet Bewegung 2008 ihren Ausdruck fand ist meiner Meinung nach aber nicht weg. Es gibt eine Restwut bei vielen. Und jetzt, da die Banken nicht nur die Bereicherung einiger Weniger vorantreiben, sondern auch noch das Verzocken der Lebensgrundlage der 99% spürbar wird, beginnt sich deren Überlebensinstinkt zu regen.

Was wir also brauchen, ist das grundsätzliche Infragestellen, ob wir diese Wirtschaftslogik so wollen. Wer von uns wurde gefragt, ob wir hemmungsloses Wirtschaftswachstum brauchen? Einen Luftballon kann man nur so lange aufblasen, bis er platzt. Ab wann zwischen Kindergarten und CEO gilt das nicht mehr? Auch nicht, dass angerichtetes Chaos aufgeräumt werden muss? Dass der Kuchen in gleich große Stücke geteilt wird?

Man erzählt uns, wir seien von Natur aus gierig. So ein Quatsch! Das sind nur ein paar. Und genau diese haben ein großes Interesse daran, dass wir die Gier-Geschichte glauben. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu ermächtigen und die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen. Wenn Menschen informiert sind, übernehmen sie Verantwortung. Wer vom täglichen Überlebenskampf befreit ist, entwickelt Kraft und Kreativität. Wenn die Grundbedürfnisse abgedeckt sind, wächst die Lust nach Veränderung. Dahin müssen wir kommen.

Und: man darf – man muss – ein gegen die Wand fahrendes System kritisieren, auch wenn man keinen perfekten Lösungsvorschlag hat. Auf dem diesjährigen Camp werden auch alternative Konzepte zu Geld und Finanzen behandelt. Dazu muss noch viel gedacht werden, aber ein paar Ideen gibt es schon.

Es gibt auch in meinem unmittelbaren Umfeld Menschen, die über ein Einkommenskollektiv nachdenken und dazu bereits erste rechtliche Schritte unternommen haben. Die Idee ist: alle zahlen ihr gegenwärtiges und zukünftiges Einkommen und Vermögen in einen Topf. Vereinbart wird völlige Transparenz über die ökonomischen Verhältnisse. Verträge regeln die Verwendung der gemeinsamen Mittel. Das ist dann so, wie viele Menschen gleichzeitig zu heiraten. Ein erschreckender Gedanke? Ich finde die Frage sehr spannend: warum vertraue ich meine Altersvorsorge eher einem korrupten, instabilen Finanzsystem an, als meinen Freunden?

Was wünscht ihr euch von den Menschen, die dieses Interview lesen?

Wunschzettel:

  1. Vorstellungskraft anschalten
  2. Ängste ausschalten
  3. Solidarität mit anderen Lebewesen zulassen
  4. Lust auf ein buntes lebendiges Leben entwickeln
  5. Über Gefühle und Gedanken in diesem Zusammenhang austauschen
  6. Noch heute anfangen
  7. wieder bei 1 beginnen