Die perfekte Geldanlage? Vergiss es!

11.01.2021
Albert Warnecke

Albert Warnecke betreibt einen Blog für Menschen, die ihr Geld selbst anlegen wollen. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Beiträge im Podcast „Der Finanzwesir rockt".

Aus Mails von Lesern kenne ich die Situation: Man erwacht und stellt fest, dass da nichts ist. Kein Finanzpolster, geschweige denn eine Altersvorsorge. Die Finanzen sind ein chaotisch zusammengekauftes Wirrwarr.

Man beschließt: "Das nehme ich jetzt selbst in die Hand" und beginnt, sich umzusehen. Nachdem man sich einmal um die eigene Achse gedreht hat, stellt man fest:

  •     Aufs Tagesgeld gibt es keine Zinsen.
  •     Höher verzinste Angebote sind mit schwer abschätzbaren Risiken verbunden.
  •     Für ein vernünftig diversifiziertes Aktienportfolio reicht das Geld nicht.
  •     ETFs sind nicht der Heilige Gral, sondern haben auch ihre Tücken

Mit anderen Worten: Alles Essig, Deine Elli!

An diesem Punkt gibt es zwei Varianten: Bei der ersten weiß man nicht so recht weiter, und ein Herr nähert sich. Gut angezogen, verständnisvoll - wenn jung, dann dynamisch aber gemäßigt (hätte man gerne als Schwiegersohn), wenn alt, dann Sky-Dumont-mäßig (grau meliert und sehr verbindlich). Und schwupp, schon türmen sich im Depot die "total sicheren Renditeknaller", die aber leider 10 Prozent Vertriebskosten tragen müssen und deshalb nie abheben werden.

Die Senke des Grauens

Variante zwei ist der Weg durch die "Senke des Grauens". Diese Senke sieht wie folgt aus: Auf die Anfangseuphorie folgt die Ernüchterung. Man liest viel, wühlt sich im Internet durch Blogs und Foren. Die Informationen prasseln nur so auf einen nieder. Man arbeitet und rackert, versucht zu verstehen, aber alles wird nur immer unklarer.

Die einen schreien "Hü", die anderen "Hott". Die Hü-Schreier haben gute Argumente, die Hott-Schreier kontern mit nicht minder guten Argumenten. Man weiß zu wenig, um die Qualität der Argumente einzuordnen, weiß aber genug, um zu wissen: "Es können nicht alle Argumente gleich wichtig sein." Aber wie die Spreu vom Weizen trennen?

Mein Vorschlag: mit Ruhe, in kleinen Schritten und in der Grundhaltung, dass es die optimale Geldanlage nicht gibt.

Warum?

Treten wir einen Schritt zurück und fragen uns: Was bedeutet optimal? Was heißt perfekt? Optimal heißt: Es gibt ein A und ein B und die passen besonders gut zusammen.

Ein Wal ist optimal an das Leben im Wasser angepasst. Ingenieure versuchen, die Flügel eines Flugzeugs zu optimieren.

Was haben beide Beispiele gemeinsam? Konstanz! Der Wal lebt im Wasser, und das Wasser ändert seine physikalischen Eigenschaften genauso wenig wie die Luft. Deshalb kann sich der Wal im Laufe der Jahrmillionen an das Leben im Wasser anpassen, und die Ingenieure haben seit Jahrzehnten unverändert den Auftrag: "Mehr Stabilität und bessere Strömungseigenschaften bei geringerem Gewicht".

Jedes Optimum basiert auf einem klaren und unverrückbaren Regelsatz. Wenn nicht klar ist, wo oben und wo unten ist, in welche Richtung soll man dann optimieren?

Gut genug reicht bei der Geldanlage

Was hat das jetzt mit dem Thema Geldanlage zu tun? Bei der Geldanlage gilt "panta rhei" – alles fließt. Nicht nur die Finanzmärkte verändern dauernd ihr Gesicht – mal stürmt der Bulle los, dann wieder steppt der Bär. Auch Sie selbst verändern sich im Laufe der Jahrzehnte.

Von jung und ledig, über "Als Vater/Mutter muss ich für meine Familie sorgen", bis es dann heißt "Na, haben Oma und Opa dir wieder 10 € zugesteckt?". Für die Geldanlage heißt das: Optimal gibt‘s nicht, gut genug reicht aus.

Es gibt keine optimalen Produkte. Alle haben einen Haken, auch die von mir so geschätzten ETFs. Es gibt keine optimale Zusammensetzung des Portfolios.

Das optimale Portfolio für einen jungen Menschen, der in einer Boom-Phase anlegt, sieht ganz anders aus, als die optimale Geldanlage für eine Familie, die in einer Rezession über die Runden kommen muss.

Wie soll diese Transformation in der Praxis funktionieren? Wenn das Meer auf einmal trocken fällt und zur Steppe wird, kann sich der Wal nicht im Handumdrehen in einen Geparden verwandeln. In der Natur ein vollkommen unrealistisches Szenario, im Finanzbereich dagegen nicht. Was nützt Ihnen ein wasseroptimiertes Depot, wenn Sie auf einmal Geparden-Power brauchen?

In der heutigen Zeit, in der sich Menschen Tracking-Armbänder umschnallen, um selbst ihren Schlaf noch zu optimieren, ist ein "Gut genug" fast schon Häresie. Aber es funktioniert, ich kann‘s aus eigener Erfahrung bestätigen.

Aber was ist gut genug?

Gut genug ist eine Geldanlage

  • wenn die Kosten gering sind
  • wenn man die einzelnen Produkte versteht
  • wenn das Portfolio breit aufgestellt ist und alle wesentlichen Komponenten enthält

Ein Portfolio muss so stabil sein, dass man es bis ans Ende seiner Tage behalten kann. Natürlich werden die einzelnen Bestandteile des Portfolios im Laufe der Jahre unterschiedlich gewichtet, aber die Grundkomponenten des Weltportfolios sollten immer vorhanden sein.

Ihr Depot muss wie eine Ratte sein. Allen Spezialisten unterlegen, aber nicht totzukriegen.

Was soll ich als Anfänger tun?

Anfänger machen sich gerne mit Details verrückt. Bevor Sie sich darum kümmern, ob Sie einen ausländischen, ausschüttenden ETF oder lieber einen swappenden ETF mit deutschem Domizil möchten, sollten Sie sich erst einmal darüber klar werden, ob die Anlageklasse ETF überhaupt etwas für Sie ist.

Mein Tipp: Gehen Sie vor, wie wir Ingenieure. Wenn einem Ingenieur nicht klar ist, wie etwas funktioniert, macht er erst einmal eine Blackbox drum und schaut sich nur an:

Was geht rein in meine Blackbox? Was kommt raus aus meiner Blackbox? Die Details innerhalb der Blackbox interessieren erst einmal nicht. Erst wenn der Ingenieur die einfachen Zusammenhänge verstanden hat, macht er die Blackbox auf und gräbt tiefer.

Das sollten Sie als Finanz-Anfänger auch machen: Vereinfachen Sie – wenn nötig bis zum Holzschnitt. Solange Sie sich darüber klar sind, dass Sie manches – vielleicht teuflisches – Detail ausblenden, ist das absolut ok.

Der nächste wichtige Punkt: Hören Sie auf, sich gleich auf konkrete Produkte zu stürzen. Die konkrete Produktauswahl ist der letzte Schritt einer langen Reise. Wenn Sie sich gleich auf ein konkretes Produkt konzentrieren, verengen Sie Ihren Blick so, dass Sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.

Das ist aber ein typisches Übel unserer Zeit, geht mir auch so. Egal ob Smartphone, Reise oder Geldanlage: Wir leben in einer Produktwelt. Deshalb sind wir darauf konditioniert, sofort nach Produkten Ausschau zu halten, die unser Problem lösen können.

Der dritte Punkt: Keine Eile! Die Banken und die Börse nehmen Ihr Geld auch morgen noch. Das wusste schon William Shakespeare ( "Wer hastig läuft, der fällt: drum eile nur mit Weil’!") Wenn Sie diese Ratschläge beherzigen, werden Sie gut durch die Senke des Grauens kommen.

Ansonsten gilt: Weitermachen!

 "Es gibt mehr Leute, die kapitulieren, als solche, die scheitern", sagte schon Henry Ford.  Das deckt sich mit meiner bescheidenen Lebensweisheit. Von wegen "Die Schnellen fressen die Langsamen" oder "Die Großen fressen die Kleinen". Es ist die Sturheit, die den Sieg davonträgt.

Haben Sie deshalb Erbarmen mit sich, wenn Sie nicht alles gleich verstehen. Mit etwas Ausdauer und Zähigkeit werden Sie schon dahinterkommen. Letztendlich müssen Sie die fünf Ebenen der Geldanlage durchlaufen, da beißt die Maus keinen Faden ab.

Fazit: Die optimale Geldanlage gibt es nicht und wird es auch nie geben. Das macht aber nichts, denn "Gut genug" reicht. Und versuchen Sie nicht, die Regel, dass eine rundum sichere, bis ins Detail abgewogene Entscheidung nicht möglich ist, durch übergroßen Aufwand Ihrerseits auszuhebeln: Es geht nicht!

Dieser Gastbeitrag ist zuerst erschienen auf dem Blog  „Der Finanzwesir“ von Albert Warnecke (Link zum Blog: https://www.finanzwesir.com). Nachtrag im August 2021: Mittlerweile ist Herr Warnecke auch als Vermögensverwalter tätig. Beim Besuchen seiner Homepage bitten wir Sie, dies im Hinterkopf zu behalten.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autoren geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.