Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht

Der Einsatz von Zinssicherungsinstrumenten im hessischen Landeshaushalt

14.01.2019
Rainer Voss

Rainer Voss war über zwei Jahrzehnte als Investmentbanker tätig. Seine Schwerpunkte lagen in der institutionellen Platzierung sowie dem Handel von festverzinslichen Wertpapieren. 2007 legte er seinen Job nieder und klärt seitdem über das Finanzsystem auf, unter anderem als Kolumnist und als Protagonist des Dokumentarfilms „Master of the Universe“. Warum Rainer Voss sich als Finanzwende-Fellow engagiert, erfahren Sie in diesem Interview

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  • Durch den Abschluss von komplizierten Zinssicherungsgeschäften im Jahr 2011 ist dem Land Hessen ein potentieller Verlust zwischen 2,5 und 3 Milliarden Euro entstanden
  • Ohne Not erfolgte dabei die Ausgestaltung derart stümperhaft, sodass erst ein Schaden in solcher Höhe entstehen konnte
  • Die lange Laufzeit von bis zu 50 Jahren bindet auch Nachfolgeregierungen und schränkt deren finanziellen Gestaltungsspielraum ein

Die Fraktion der „Die Linke“ im hessischen Landtag sucht dankenswerterweise nach Aufklärung über den Einsatz von Zinssicherungsinstrumenten durch die hessische Landesregierung in den Jahren 2011 und 2014, der bereits im Sommer von der „Welt“ publik gemacht wurde.

Gegenstand der Überlegungen ist der Abschluss von insgesamt € 7,3 Mrd. Forward -Swaps, den das Land Hessen in 2011 und 2014 vorgenommen hat. Als Bürger begegnet man diesem Instrument z.B. in Form von Forward-Darlehen, mit denen man seine Hypothek vor Auslauf der Zinsbindung bereits neu fixieren kann, wenn man glaubt, dass die Zinsen zum Zeitpunkt des Endes des Zinslaufs höher sein werden als momentan.

Da die meisten der Zinssicherungen bereits greifen, kann der Schaden für das Land einfach berechnet werden, indem man den Zins des Abschlusses in 2011 mit dem vergleicht, der ohne Zinssicherung zu den jeweiligen Startdaten möglich gewesen wäre. Je nach Annahmen und Methodik kommt man dabei auf einen Verlust für das Land Hessen in der Größenordnung zwischen € 2,5 und € 3 Mrd.

Das wohlfeile Argument ist in diesem Fall, dass der Zins ja auch hätte steigen können und niemand hätte sich beschwert, aber ist es wirklich die Aufgabe eines Länderfinanzministers einen derart „heißen Reifen“ zu fahren? Dass ein Finanzvorstand in einem privaten Unternehmen in diesem Fall das Votum des Aufsichtsrates überlebt hätte, darf bezweifelt werden.

Wie ist der Einsatz von Derivaten im Haushalt geregelt ?

Am einfachsten entnimmt man die Regelung dem jährlichen Landesschuldenbericht, der das Schuldengebaren der Landesregierung immer für das zwei Jahre zurückliegende Haushaltsjahr prüft (2018 also für 2016).

Hier findet sich folgende Passage:

Die Nutzung von Derivaten im Kreditmanagement des Landes ist im jährlichen Haushaltsgesetz geregelt und hat seit der ersten Ermächtigung im Jahr 1992 diverse Anpassungen erfahren. Für das Haushaltsjahr 2016 lautete die Ermächtigung gemäß § 13 Abs. 4 HG 2016 wie folgt:

„Das Ministerium der Finanzen kann im Rahmen der Kreditfinanzierungen Vereinbarungen zur Steuerung von Zinsänderungsrisiken sowie zur Optimierung der Kreditkonditionen (Derivate) für bestehende Schulden, die laufende Kreditaufnahme des Haushaltsjahres sowie für Anschlussfinanzierungen von Krediten treffen, die in einem Zeitraum von zehn Jahren fällig werden. Der Bezug eines Derivatgeschäftes auf mehrere Kreditgeschäfte ist zulässig. Das Nominalvolumen aller ausstehenden Derivate darf den Gesamtbestand an Kreditmarktschulden am Ende des vorangegangenen Haushaltsjahres nicht übersteigen. Das Ministerium der Finanzen kann Sicherheiten in Form verzinster Barmittel stellen sowie entgegennehmen.“

Wir finden hier also eine Regelung über den Zeitraum, für den Zinssicherungsinstrumente im Voraus abgeschlossen werden dürfen, außerdem Regelungen bzgl. der Höhe und des Risikomanagements.

Letzterer Punkt bedarf der Erläuterung: Bei bilateralen Vereinbarungen über Derivat-Geschäfte zwischen Bank und Kunde findet normalerweise ein sog. „Collateral“ Anwendung. Einfach ausgedrückt stellt die Partei, die der anderen etwas schuldet, ein Pfand in Form von Geld oder erstklassigen Wertpapieren, um ihren möglichen Ausfall abzusichern. Auch wenn die Grundgeschäfte, auf die sich die Derivate beziehen, noch gar nicht ausgelöst wurden, so stellen die Derivate doch eine Vermögensposition (positiv oder negativ) des Landes Hessen dar.

Die Höhe dieser Position wird täglich ermittelt und schwankt im Falle der hier diskutierten Zinsgeschäfte mit dem allgemeinen Zinsniveau; dabei ergeben sich bei fallenden Zinsen negative und bei steigenden positive Werte. Die Höhe dieser Werte werden ebenfalls im Landesschuldenbericht ausgewiesen und schwankten z.B. in 2016 zwischen minus € 3,5 Mrd. und € 7,2 Mrd. bezogen auf das gesamte Derivate-Portfolio von ca. € 20 Mrd.
Hier zeigt sich bereits, dass das Portfolio einem hohen Stress unterliegt und die täglichen Wertänderungen beträchtlich sind. Abgesehen davon, dass man sich die Frage stellen kann, ob ein derartiges Hin und Her mit einer soliden Haushaltsführung vereinbar ist, ist auch die Abwicklung der täglichen Zahlungsströme im Rahmen des Collateral-Management für die Mitarbeiter des Ministeriums – vorsichtig formuliert – anspruchsvoll.

Schaut man sich allerdings nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen (Governance) und nicht die Geschäfte, die unter diesen exekutiert wurden an, gibt es an der Art und Weise wie Hessen den Umgang mit Derivaten regelt, nichts auszusetzen. Man kann all das detaillierter fassen, aber die Folge wäre eine unangemessene Bindung von Ressourcen bei der Umsetzung und wahrscheinlich wäre ein Finanzministerium allein schon mit Hinblick auf die technische Ausstattung überfordert.

Wo genau liegt dann das Problem ?

Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir uns in das Jahr 2011 zurückversetzen: die Euro-Krise schwelte, die Märkte waren extrem volatil und der Paradigmenwechsel in der EZB-Politik („whatever it takes“) mit den damit verbundenen Folgen für die Zinsen noch ein gutes Jahr entfernt.

Für einen Finanzminister, der in einer solchen Situation versucht, dem Haushalt Stetigkeit und Planbarkeit durch eine frühzeitige Festlegung zukünftiger Zinsen zu geben, kann man eine gewisse Sympathie empfinden. Leider ist die Ausführung dieses Vorhabens aus nicht nachvollziehbaren Gründen handwerklich derart stümperhaft ausgefallen, dass dem Land Hessen der besagte Schaden zwischen € 2,5 und € 3 Mrd. entstanden ist.

Da ist zunächst die Laufzeit der Vereinbarungen: Es wurden insgesamt 73 Geschäfte über je € 100 Mio. abgeschlossen (wieso eigentlich diese Stückelung?), die alle den 40-Jahres Zinssatz zum Gegenstand hatten. Das Unangenehme an diesen langen Zinsen ist, dass sie wesentlich stärker auf Zinsänderungen reagieren als kurze. So verliert ein 5 Jahres-Kredit bei einem Zinsrückgang von 2% auf 1% ca. € 4,7 Mio. an Wert auf 100 Mio., ein 40 Jahres-Kredit aber gleich über € 25 Mio.

Die Zinsen befinden sich seit 2011 im freien Fall, der 40-Jahres Zins ist nicht nur um 1%, sondern um über 2% gefallen und liegt momentan bei ca. 1,5%. Die in Frage kommenden Geschäfte wurden aber im Mittel zu 3,33% abgeschlossen. Selbst dem Laien wird klar, dass bezogen auf € 7,3 Mrd. ein substantieller Schaden die Folge sein muss. Mit anderen Worten: man hat sich ohne Not ein viel zu großes Risiko eingekauft.

Eine Binsenweisheit in Bezug auf die Geldanlage ist der Spruch: „Nie alle Eier in einen Korb“, soll heißen, durch Streuung des Investments auf verschiedene Anlageformen wird das Anlagerisiko minimiert. Im Jahr 2011 betrug der gesamte Derivate-Bestand des Landes Hessen € 17,5 Mrd., d.h. man hat innerhalb eines Jahres fast 50% (!) des Derivateportfolios auf eine Laufzeit – nämlich die 40 Jahre - konzentriert. Warum wurden nicht andere Fälligkeiten - 5, 7 oder 10 Jahre – mit einbezogen? Die Volatilität des Portfolios wäre viel geringer gewesen.

Der aber wohl gravierendste Punkt sind die z.T. extrem langen Vorlaufzeiten der Geschäfte. Wenn man sich das eingangs genannte Beispiel der Hypothekenzinsen vor Augen führt, so scheint nachvollziehbar, in Zeiten vermeintlich niedriger Zinsen den Hypothekenzins für in 1 oder 2 Jahren auslaufende Kredite schon heute zu fixieren.

Im Fall des Landes Hessen liegen die Extreme aber bei 9 Jahren, mit anderen Worten man hat in 2011 Zinsen für eine Finanzierung fixiert, die erst in 2020 zu laufen beginnt und bis 2060 verbindlich ist. Überträgt man diese Zahlen auf das Hypothekenbeispiel wird einem die Dimension klar, die eine mögliche Fehleinschätzung der Zinsentwicklung annehmen kann.

An dieser Stelle muss noch ein politischer Aspekt erwähnt werden, der – je nach Sichtweise – die Tragweite des finanziellen Schadens sogar noch überragt. Nach dem Grundgesetz haben die Parlamente die Budgethoheit, die natürlich auch im Falle der Forward Swaps ausgeübt wurde.

Moralisch fragwürdig scheint allerdings, wenn für einen substantiellen Teil der Kreditmarktverschuldung (15%) eine Festlegung auf bis zu 50 Jahre, also 10 Legislaturperioden, erfolgt. Nach heutigen Stand kann keine zukünftige Regierung welcher Couleur auch immer den Gestaltungsspielraum für diesen Teil der Verschuldung zurückerlangen ohne eine substantielle Belastung für den hessischen Landeshaushalt auszulösen. 

Vor diesem Hintergrund haben wir es in jedem Fall mit einem undemokratischen Akt zu tun, der untersucht werden sollte.

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