Für eine neue Kultur der Finanzwelt - Essay von Gerhard Schick

Haftungsprinzip durchsetzen, Marktmacht reduzieren, Lobbyismus zu Lasten des Gemeinwohls zurückdrängen.

01.07.2019
Gerhard Schick

Gerhard ist promovierter Volkswirt, ehemaliges Mitglied des Bundestages, Mit-Initiator des Vereins und dessen geschäftsführender Vorstand. Er hat sein Bundestagsmandat für die Arbeit in der Nichtregierungsorganisation zum 31.12.2018 niedergelegt. Hier finden Sie seinen Lebenslauf, ein Pressefoto und ein alternatives Pressefoto.

Ein schwarzer Stein zieht die Strippen einer Puppentheaterfigur, die nicht im Bild ist.

Dieser Beitrag wurde am 26.6. vom Cicero Magazin erstveröffentlicht.

In einem Essay für „Zeit Online“ konstatierte Friedrich Merz eine Krise der Demokratie und Marktwirtschaft. Sein Lösungsvorschlag aber geht vollkommen an der Realität des Landes vorbei – dient aber den Interessen von BlackRock. Durch seine Lobbyarbeit ist Merz selbst Teil des Problems.

Unter dem Titel „Für eine neue Kultur des Sparens“ beschrieb der CDU-Politiker Friedrich Merz vor Kurzem bei zeit online seine wirtschaftspolitischen Überzeugungen. Diese entsprechen zufällig den Interessen des Finanzgiganten BlackRock, für den er arbeitet.

Im Kern lautet seine These: Demokratie und Marktwirtschaft sind in der Krise. Und sein Lösungsvorschlag ist: Werden die Beschäftigten über Aktien stärker am Wachstum beteiligt, wird alles besser.

Doch Aktienbesitz in Arbeitsnehmerhand löst das Verteilungsproblem nicht. In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der deutschen Aktien- und Fondsbesitzer von 6,8 auf 10,3 Millionen gestiegen – ein Plus von gut 50 Prozent (1998 bis 2018). Der enormen Vermögenskonzentration in Deutschland hat das nicht entgegengewirkt. Das ist auch nicht erstaunlich:

In Deutschland bekommen Menschen mit kleinen Einkommen auch im Fondsbereich häufig schlechte Finanzprodukte angeboten, bei denen über Gebühren, Provisionen oder verschleierte Kosten große Teile des Ersparten in der Finanzbranche hängen bleiben. Außerdem können sie nicht so hohe Risiken eingehen, weil sie stärker auf das Geld angewiesen sind, sodass die Rendite bei Menschen mit kleinem Geldvermögen geringer ist als bei vermögenden Menschen. Aber selbst wenn die Rendite die gleiche wäre: Wenn jemand 100 Euro monatlich spart und ein anderer 1000 Euro, hat auch bei gleicher Rendite der Wohlhabende nach 10 Jahren immer noch zehnmal mehr. Die Verhältnisse ändern sich also nicht.

Steckt in altem Gegensatz von Kapital und Arbeit fest

Viele Menschen in Deutschland sind gar überschuldet, viele weitere haben kein Geld zum Sparen. Ein Forumsteilnehmer bei zeit online schrieb dazu: „Warum nicht BlackRock ETF vom Flaschenpfand kaufen, liebe Rentnerin?“ Das trifft den Punkt. Der Vorschlag von Friedrich Merz geht an der Lebensrealität unseres Landes vorbei.

Auch steckt Friedrich Merz in dem alten Gegensatz von Kapital und Arbeit fest und meint, diesen überwinden zu müssen. Wenn ich betrachte, wie sich manche Vorstände und Mitarbeiter die Taschen füllen, während die Anteilseigner weitgehend leer ausgehen, trifft das alte, von Marx geprägte Bild – hier der reiche Kapitalbesitzer, dort der arme Arbeitnehmer – nicht mehr zu. Bei der Deutschen Bank betragen allein die Boni das Achtfache dessen, was die Aktionäre als Beteiligung erhalten.

Vorbild Schweden bleibt unerwähnt

Richtig ist, dass insgesamt die Altersvorsorge der Deutschen viel zu sehr auf niedrig verzinste Anleihen setzt, unter anderem wegen der starken Position der Lebensversicherungen. Notwendig wäre es, wie in Schweden, den Menschen ein kostengünstiges, öffentliches und renditestarkes (!) Angebot zu machen, mit dem sie kapitalgedeckte Altersvorsorge betreiben können.

Bloß zeigt das Beispiel Schweden eben, dass das nur geht, wenn man gerade nicht auf die private Finanzwirtschaft hört. Die extrem niedrigen Kosten werden dort dadurch erreicht, dass eben anders als beim deutschen Riester-Ansatz kaum Vertriebskosten anfallen. Wenig verwunderlich ist, dass Friedrich Merz dieses gute und transparente Vorbild Schweden nicht erwähnt. Es liefe den Interessen seines Arbeitgebers BlackRock zuwider.

Die Krise der Marktwirtschaft

Damit sind wir bei der zugrundeliegenden These von Merz, dass Demokratie und Marktwirtschaft in der Krise seien: Ich will hier nicht erörtern, ob vielleicht gar nicht die Demokratie in der Krise ist, sondern eher die Volksparteien. Dazu haben berufenere Menschen sich geäußert. Angesichts einer gestiegenen Wahlbeteiligung bei der Europawahl und Zehntausender junger Menschen, die sich gerade sehr demokratisch für ihre Zukunft engagieren, will ich aber zumindest meinen Zweifel an dieser These zu Protokoll geben, wenn sie so allgemein formuliert ist.

Definitiv in der Krise ist allerdings die Marktwirtschaft. An vielen Stellen ist sie zu einer Machtwirtschaft degeneriert, in der nicht mehr die Leistung für den Kunden darüber entscheidet, ob ein Anbieter Erfolg hat, sondern die Marktmacht des Unternehmens, seine Finanzkraft und seine Verbindungen in die Politik. Das zentrale Prinzip der Marktwirtschaft – die Haftung für verursachte Schäden als Gegenstück zur privaten Gewinnerzielung – ist an vielen Stellen außer Kraft gesetzt.

Beispiele sind die Bankenrettung in der Finanzkrise, die den deutschen Steuerzahler Stand heute 68 Milliarden Euro gekostet hat, oder die Tatsache, dass Volkswagen in Deutschland die geschädigten Kunden nicht systematisch entschädigen muss. Noch heute subventioniert der deutsche Steuerzahler die Deutsche Bank dadurch, dass wir alle einen Teil der Risiken dieser zu großen Bank tragen. Denn jeder weiß, dass man das immens systemrelevante Institut im Zweifelsfall retten müsste.

BlackRock ist Teil des Problems

Einige Unternehmen haben es geschafft, sich eine Stellung zu erarbeiten, die den für eine Marktwirtschaft essenziellen Wettbewerb hemmt. Mit 6 Billionen US-Dollar verwaltetem Vermögen ist BlackRock Teil des Problems, weil die Gesellschaft bei praktisch allen großen Aktiengesellschaften einer der größten oder gar der größte Anteilseigner ist. So zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass die Beteiligung großer Fondsgesellschaften an mehreren Unternehmen derselben Branche den Wettbewerb reduziert.

Und anders als in einer Marktwirtschaft vorgesehen, ist der Staat häufig nicht der neutrale Schiedsrichter, sondern greift die Vorschläge der Finanzlobby gerne auf – zum Schaden von Verbrauchern und Steuerzahlern. Besonders krasses Beispiel ist der größte Steuerraub Deutschlands, CumEx. Denn so richtig in Schwung kamen diese kriminellen Finanztransaktionen, nachdem ein Gesetzesvorschlag des Bankenverbands übernommen wurde. (Die Bürgerbewegung Finanzwende wartet übrigens bis heute auf eine Antwort von Herrn Merz auf Fragen zu CumEx.)

Merz steht beispielhaft für die Krise

Hier müsste man ansetzen: Haftungsprinzip durchsetzen, Marktmacht reduzieren, politische Einflussnahme von Lobbyisten zu Lasten des Gemeinwohls zurückdrängen. Kurzum: Wir bräuchten auch eine neue Kultur der Finanzwelt, für die die Bürgerbewegung Finanzwende eintritt. Allerdings passt das so gar nicht zu BlackRock.

Der Aufstieg dieser Firma ist gepflastert mit Interessenkonflikten – etwa als BlackRock für die Europäische Zentralbank Banken prüfte, an denen es selbst Anteile hielt. Die Marktmacht ist, auch über das Computersystem Alladin enorm. Und BlackRock hat neben Friedrich Merz noch viele andere (ehemalige) politische Akteure für seine Lobbyarbeit engagiert. So steht Friedrich Merz – gleichzeitig führender Vertreter einer Volkspartei und eines Finanzgiganten – beispielhaft für die Krise der Marktwirtschaft, die er beschreibt.