Peinlich und teuer - ein Rückblick auf die staatlichen Fehler in Sachen Hypo Real Estate

02.10.2018
Gerhard Schick

Gerhard ist promovierter Volkswirt, ehemaliges Mitglied des Bundestages, Mit-Initiator des Vereins und dessen geschäftsführender Vorstand. Er hat sein Bundestagsmandat für die Arbeit in der Nichtregierungsorganisation zum 31.12.2018 niedergelegt. Hier finden Sie seinen Lebenslauf, ein Pressefoto und ein alternatives Pressefoto.

Ein Gebäude der Hypo-Real-Estate Bank mit Schriftzug "Hypo Real Estate Holding"
  • Insgesamt 21 Milliarden Euro musste der Staat für die Rettung der Hypo Real Estate aufbringen
  • Als Mitglied des Hypo Real Estate Untersuchungsausschuss erlebte unser Vorstand Gerhard Schick das Drama und die scheinheilige Aufarbeitung hautnah mit
  • Die Aufarbeitung zieht sich bis heute hin und wenig ist seitdem passiert

43.000 Euro – für diese Summe wurden die Gerichtsverfahren gegen die Manager der Hypo Real Estate (HRE) wegen mutmaßlicher Bilanzfälschung eingestellt. 200 Milliarden Euro ist hingegen die Summe der Risiken, die der Bund aufgrund der Schieflage der HRE im Herbst 2008 übernehmen musste. Wirklich zur Verantwortung gezogen wurde niemand. Klingt verrückt? Die Causa HRE ist wahrlich kein Ruhmesblatt für den deutschen Staat. Mein Rückblick auf ein Drama in 7 Akten:

1. Akt: Bekannte Lücken in der Gesetzgebung wurden nicht geschlossen

Bereits lange vor den Rettungsmaßnahmen traten gravierende Defizite bei der staatlichen Finanzaufsicht zu Tage. Finanzholdinggesellschaften wie die HRE standen bis 2008, im Gegensatz zu großen Banken, nicht unter unmittelbarer Kontrolle der staatlichen Finanzaufsicht. Deshalb konnte die deutsche Finanzaufsicht BaFin zwar den deutschen Teil der Bank, nicht aber über die Holding den gesamten Konzern und damit auch den irischen Teil der Bank überprüfen.

Der ehemalige Präsident der dafür zuständigen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Jochen Sanio erklärte dazu im Untersuchungsausschuss, im Fall der HRE seien ihm die Hände gebunden gewesen . Zwar habe die BaFin im Bereich der Beaufsichtigung von Finanzholdinggesellschaften auf eine frühere Änderung der Gesetzeslage hingewirkt. Die Bemühungen seien jedoch jahrelang erfolglos geblieben und wurden durch das zuständige Bundesministerium der Finanzen (BMF) zurückgewiesen. Erst nachdem die Schieflage der HRE bereits eingetreten war, wurden Finanzholdings vollständig der Kontrolle durch die staatliche Finanzaufsicht der BaFin unterstellt. Nur war das Kind HRE zu diesem Zeitpunkt bereits in den Brunnen gefallen.

2.  Akt: Eine Bankenaufsicht ohne das notwendige Personal

Im Bereich der inneren Sicherheit hatte die damalige Koalition aus CDU/ CSU und SPD mit Nachdruck die Eingriffsmöglichkeiten des Staates erweitert, damit dieser handlungsfähiger ist. Dies steht in bemerkenswertem Kontrast zur Passivität, die sie bei der ebenso zur Eingriffsverwaltung gehörenden staatlichen Finanzaufsicht an den Tag gelegt hat. Da passt es ins Bild, dass auch die Warnungen des Bundesrechnungshofs zur mangelhaften personellen Ausstattung der BaFin vom BMF nicht einmal zur Kenntnis genommen wurden. In seinem Bericht an den Verwaltungsrat der BaFin aus dem Jahre 2008 über die Prüfung der Jahresrechnung der Bankenaufsicht stellte der Bundesrechnungshof fest, dass gemäß einer Übersicht vom Juli 2008 ca. 45 Prozent der offenen Stellen zwischen mindestens sechs Monaten und bis zu drei Jahren unbesetzt blieben. Zudem habe die BaFin trotz erheblicher Arbeitsrückstände bisher auf eine überjährige Beschäftigung von Aushilfskräften verzichtet.

3. Akt: Ein wachsender Schneeball und eine Regierung, die nichts davon wissen will

Das Schicksal der HRE war bereits vor dem Fall von Lehman besiegelt. Viel zu anfällig war ihr Geschäftsmodell, insbesondere aufgrund der geringen Eigenkapitalausstattung und der extremen Fristentransformation (sehr kurzfristige Refinanzierung für sehr langfristige Ausleihungen). Der damalige Präsident der BaFin Jochen Sanio beschrieb das Geschäftsmodell der HRE im Untersuchungsausschuss als einen „Schneeball, [der] wuchs und wuchs und wuchs“. Mit der Übernahme der kriselnden irischen DEPFA-Gruppe im Herbst 2007 hatte sie nun einen weiteren Klotz am Bein. Der ehemalige Risiko-Controller der HRE, Stéphane Wolter, sprach davon, dass „mit dem Kauf der DEPFA das Umfallen der HRE vorprogrammiert war“.

Im Januar 2008 unterrichtete Jochen Sanio den ehemaligen Staatssekretär Dr. Thomas Mirow zu zwei „aktuellen Problemfällen“, darunter die HRE. In der Folgezeit wurde eilig eine Sonderprüfung der HRE durch die BaFin für Februar und März angeordnet. Ab März 2008 musste die HRE erst wöchentlich, dann täglich ihre Liquiditätssituation an die Bankenaufsicht melden – ein höchst außergewöhnlicher Vorgang. Diese Informationen waren u.a. Bestandteil einer Mitteilung vom 20. März 2008, die direkt an den damaligen Abteilungsleiter Jörg Asmussen gerichtet war. Wegen urlaubsbedingter Abwesenheit nahm dieser den warnenden Bericht nicht zur Kenntnis.

Auch nach der Rückkehr aus dem Urlaub fand keine Befassung Jörg Asmussens mit diesem Bericht statt. Zu seiner Entlastung argumentiert das BMF, die Mitteilung vom 20. März 2008 sei nicht von herausragender Bedeutung gewesen. Als Beleg dafür wird der Quartalsbericht der BaFin vom 15. August 2008 angeführt, wonach die Liquiditätssituation der HRE beherrschbar gewesen sein soll. Jedoch heißt es in der betreffenden Passage wörtlich: „Insgesamt sieht die HRE die Liquiditätsauswirkungen/-situation derzeit als handhabbar an …“.

Der BaFin-Quartalsbericht übernimmt vollständig die Gefahreneinschätzung eines Finanzkonzerns, dessen Liquiditätsmanagement durch eine von der BaFin angeordnete Sonderprüfung als mangelhaft bewertet wurde und der deshalb unter tägliche Liquiditätsaufsicht gestellt worden war. Insgesamt gingen dem Ministerium zwischen Januar 2008 und September 2008 diverse Sonder- und Quartalsberichte zu, die über die Schieflage der HRE informierten. Zu keiner Zeit wurden diese Berichte im BMF zu einem Gesamtbild zusammengeführt.

4. Akt: Kein Plan für Notfälle im Bankenbereich

In vielen Bereichen zum Beispiel des Zivil- und Katastrophenschutzes ist ein präventives Krisenmanagement in Form behördlicher Krisenpläne existent und selbstverständlich. Häufig finden sogar regelmäßig praktische Notfallübungen statt. Für größere „Störfälle“ im Banken- und Finanzsystem gab es ein derartiges präventives Krisenmanagement nicht. Nationale und internationale Anregungen sowie Vereinbarungen, von staatlicher Seite Notfallszenarien durchzuführen, wurden ignoriert.

Dabei sollten nach EU-Vorgaben alle Mitgliedsländer nationale „Ständige Ausschüsse für Finanzstabilität“ („Domestic Standing Groups“) einrichten. So wurde auch in Deutschland im Juli 2006 ein „Ständiger Ausschuss“ eingerichtet. Die Funktion des „Nationalen Koordinators des Ständigen Ausschusses“ wurde qua Amt vom für Finanzmarktfragen zuständigen Abteilungsleiter VII im BMF, Jörg Asmussen, übernommen. Bei ihm lag die Aufgabe, den Ausschuss einzuberufen und zu leiten sowie im Fall einer grenzüberschreitenden Krise den Kontakt mit den betroffenen Ständigen Ausschüssen anderer EU-Länder herzustellen.

Jörg Asmussen, dem von 2006 bis Mitte 2008 die Leitung des Ständigen Ausschusses oblag, nahm diese Funktion offensichtlich auf die leichte Schulter. In der Vereinbarung zwischen Deutscher Bundesbank, BaFin und BMF zur Einrichtung des Ständigen Ausschusses heißt es: „In Krisenfällen koordiniert der Ausschuss das Krisenmanagement“ (§ 2 Absatz 3) und „[d]er Ausschuss tagt mindestens drei Mal im Kalenderjahr“ (§ 3 Absatz 1). Dass der damalige Staatssekretär dem Ständigen Ausschuss wenig Beachtung schenkte, lässt sich auch aus seinen Aussagen im Untersuchungsausschuss ablesen, wonach der Ausschuss „nur einmal im Jahr tagt“ und dort „mit Marktteilnehmern gesprochen wird.“ (ebd. Seite 17). Richtig ist vielmehr, dass der Ausschuss öfter tagen sollte und ausschließlich Vertreter der Deutschen Bundesbank, der BaFin und des BMF daran teilnehmen.

Aufgabe des Ständigen Ausschusses wäre es gewesen, im September 2008 den Kontakt zum irischen Krisenmanagement herzustellen und nach einer grenzüberscheitenden Lösung für die HRE zu suchen. Ein nicht genutzter Ständiger Ausschuss konnte diese Aufgabe verständlicherweise nicht leisten und trug somit dazu bei, dass die Stützung der HRE inklusive der irischen DEPFA allein von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in Deutschland getragen werden muss.

5. Akt: Ein Gespräch unter Vertrauten: Minister,  Staatssekretär und Banker planen die Rettung

Derart unvorbereitet stützte sich die Bundesregierung bei der Rettung der HRE auf die Vorstände großer Banken, die natürlich Eigeninteressen hatten. Doch das schien niemanden zu kümmern. Am 29.9.2008, als klar wurde, dass die privaten Banken die HRE nicht retten würden, besprachen der damalige Minister Steinbrück und sein Staatsekretär Asmussen mit Deutsche Bank-Chef Ackermann, Commerzbank-Chef Blessing, dem Chef des Bankenverbands Müller, dem Präsidenten der Bundesbank Weber und Bankenaufsichts-Chef Sanio in einer kleinen informellen Runde die Situation bei der Hypo Real Estate. Auch die Kanzlerin hat sich direkt von Ackermann beraten lassen: Ackermann schildert es als „sehr ernstes, aber sehr konstruktives, auch sehr freundliches Gespräch.“

Schlimmer vielleicht noch war, dass die Bundesregierung auf die Banken (insbesondere die Deutsche Bank) angewiesen war, um die DEPFA zu bewerten : Die dramatische und durch die Realität letztlich nicht gestützte Unterbewertung eines Sicherheiten-Portfolios von nominal 42 Milliarden Euro auf lediglich 15 Milliarden Euro durch die Deutsche Bank AG war Grundlage für die Entscheidung, wieviel Geld nötig war. Eigentlich wäre das Aufgabe der Bankenaufsicht gewesen. Erst später sollte jedoch deutlich werden, warum die Mitwirkung der privaten Banken für den Steuerzahler problematisch war.

6. Akt: Eine überteuerte Notfall-Liquidität

Auch nach der Verstaatlichung der Banken wurde eine Liquiditätslinie der privaten Banken genutzt. Die privaten Banken halfen also de facto mit kurzfristigen Krediten für die HRE aus, die am Markt kein Geld mehr bekam. Doch nachdem der Staat eingestiegen war und vor allem nach der Vollverstaatlichung der Bank, waren diese Kredite für die Kreditgeber praktisch risikolos. Dennoch wurden die Risikoaufschläge unverändert beibehalten; es wurden also Zinsen verlangt wie von einem riskanten Schuldner. So machten die privaten Banken mit ihrer „Hilfe“ für die HRE auch noch risikolos Gewinne zu Lasten des Steuerzahlers.

Josef Ackermann bezifferte die Höhe dieser Aufschläge im Untersuchungsausschuss auf meine Nachfrage allein für die Deutsche Bank auf 100 Millionen Euro. Nach Abschluss des Untersuchungsausschusses wurde dieser Fehler endlich korrigiert. So wurden zumindest ab da Millionenbeträge gespart, die vorher vom Steuerzahler an die privaten Banken überwiesen wurden. Ein wenig beachtetes, aber finanziell relevantes Ergebnis des Untersuchungsausschusses.

7. Akt: Eine falsche Refinanzierung der Bad Bank FMS Wertmanagement

Im Zuge der Rettung der HRE wurden Risiken und verlustbringende Anlagen in eine sogenannte Bad Bank verschoben und diese zu 100 Prozent vom Bund übernommen. Der Name dieser Bad Bank: 'FMS Wertmanagement'. Diese Bad Bank finanzierte ihre Geschäfte über eigene Anleihen, für die sie höhere Zinsen zahlen musste als der Bund, obwohl der zu 100 Prozent Eigentümer der Bank war. So gingen den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern etwa eine Milliarde Euro verloren. Ich habe deshalb 2012 vorgeschlagen, die Refinanzierung umzustellen. Diesem Vorschlag folgte der damalige Bundesfinanzminister Schäuble allerdings erst im Jahre 2016. Doch bis dahin hatte Schäubles Starrsinn uns Steuerzahlenden schon viel gekostet. Alleine in der Zeit zwischen 2013 und 2016 kostete uns dieser Fehler der Regierung 180 Millionen Euro.

Epilog: Das Drama ist noch nicht beendet

Im Frühjahr 2009 einigten sich die drei Oppositionsfraktionen auf einen Untersuchungsausschuss zur HRE. Damit blieb bis zum Ende der Legislaturperiode im September 2009 nur extrem wenig Zeit, die Missstände, die zum Scheitern der HRE und den enormen Kosten für den Steuerzahler geführt hatten, wirklich aufzuarbeiten. Krass war aber vor allem, wie die Verantwortlichen uns versuchten, an der Nase herumzuführen. Sie versuchten, das Scheitern der HRE auf die Lehman-Pleite zurückzuführen – doch das Drama hatte schon früher begonnen, spätestens mit der Übernahme der Depfa 2007. Auch versuchte der Finanzaufsichts-Chef Jochen Sanio den Eindruck zu erwecken, die BaFin habe alles ihr Mögliche getan. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache: BaFin und Bundesbank haben beispielsweise kein einziges Mal an Aufsichtsratssitzungen der HRE teilgenommen, um dort auf Veränderungen am Geschäftsmodell zu drängen. Das habe ich über eine Anfrage an die Bundesregierung später herausgefunden.

Stand heute ist allerdings das Drama um die HRE noch nicht zu Ende. Noch heute streitet sich die Bundesregierung mit Altaktionären vor Gericht um deren Entschädigung für eigentlich wertlose Aktien. Sollten die Aktionäre gewinnen, würden sich die Kosten der Rettung weiter erhöhen. Wie hoch diese genau sind, wird man erst in einigen Jahren wissen, wenn die Bad Bank die letzten Vermögenswerte verkauft hat. Stand heute beläuft sich das Minus für den Steuerzahler auf 21 Milliarden Euro.

Schlussendlich: Bei der Rettung der HRE wurde damals durch Unkenntnis, Schludrigkeit oder schlicht Starrsinn viel Steuergeld verschwendet. Unser Ziel mit der Bürgerbewegung Finanzwende ist es, eine zweite Hypo Real Estate zu verhindern. Mit Sachverstand und Ihrer Unterstützung können wir die nötigen Veränderungen erzwingen. Machen Sie mit: