Rendite mit der Miete: Finanzialisierung des Wohnraums beenden

20.01.2021
Dr. Sebastian Botzem

Dr. Sebastian Botzem ist Politökonom, Wissenschaftler und Autor. Seine Themenschwerpunkte sind das internationale Finanzwesen, Immobilienmärkte und gesellschaftliche Teilhabe.

Drei Häuserblocks einer Großstadt auf rotem Hintergrund neben einem Drucker der Geld druckt
  • Mietsteigerungen und Wohnraummangel führen zu Verdrängung und ändern den Charakter der Städte.
  • Ein wesentlicher Grund hierfür ist die Finanzialisierung des Immobiliensektors.
  • Immobilieninvestitionen haben stark zugenommen: Wohnraum wird zur Ware, die Profitorientierung großer Investoren steht im Mittelpunkt.

Wohnen in Deutschland wird immer teurer. Mieten steigen, Wohnungslosigkeit nimmt zu, vor allem einkommensschwache Gruppen und kleine Gewerbetreibende werden verdrängt. Wie ist es zu dieser wohnungspolitischen Notlage gekommen, welche Veränderungen sind nötig?

Finanzialisierung: Deregulierung und Privatisierung des Wohnungsmarktes

Die Verwerfungen am Wohnungsmarkt haben verschiedene Ursachen. Neben der Bevölkerungsentwicklung und Fehlern der Baupolitik ist vor allem die Finanzialisierung von Wohnraum für die Misere verantwortlich. Seit mehr als drei Jahrzehnten befördert die Bundespolitik die Deregulierung und Privatisierung von Wohnraum und erleichtert spekulative Kapitalanlagen, die höhere Mieten erfordern. Durch finanzielle Anreize wird die Wohnungswirtschaft auf Profitorientierung ausgerichtet, und steuerrechtliche Änderungen bevorzugen institutionelle Anleger.

Inzwischen ist der deutsche Wohnungsmarkt stark finanzialisiert. Das bedeutet, Wohnraum wird immer mehr als Investitions- und Spekulationsobjekt angesehen. Die Renditeerwartungen der Kapitalanleger können nur mit erhöhten Mieten bedient werden, dies führt in vielen Orten zu Verdrängung und sozialer Spaltung. Insbesondere Investitionen in den Wohnungsbestand rentieren sich nur dann, wenn die Bestandsmieten deutlich erhöht oder die Bewohnerschaft ausgetauscht werden kann.

Seit Ende der 1980er Jahre sind wirksame preisdämpfende Regelungen abgeschafft worden, bis dahin gab es zum Beispiel die Wohnungsgemeinnützigkeit. Sie ermöglichte eine marktbasierte, aber renditegedeckelte Wohnungswirtschaft. Wohnungsgemeinnützigkeit bedeutete, dass das Vermögen privater und öffentlicher Unternehmen sowie Genossenschaften an den gemeinnützigen Zweck von Bauverpflichtung und Reinvestition gebunden war. Im Mittelpunkt stand eine Gewinnbeschränkung gemeinnütziger Wohnungsgesellschaften auf maximal 4 Prozent pro Jahr. Auch steuerrechtlich wurden Immobilieninvestitionen stärker gefördert, etwa in den 1990er Jahren, als der Kauf und die Modernisierung von Immobilien in Ostdeutschland durch steuerliche Anreize besonders gefördert wurde.

Die Finanzialisierung des Wohnungsbestands wurde aber vor allem durch den Verkauf von Mehrfamilienhäusern vorangetrieben. Industrieunternehmen verkauften Werkswohnungen, Bund, Länder und Kommunen veräußerten einen beträchtlichen Teil ihres Wohnungsbestands. Zwischen 1999 und 2011 verkaufte allein die öffentliche Hand im Saldo ca. 555.000 Wohnungen1. Diese wurden oftmals von Private-Equity-Firmen2 erworben und später an börsennotierte Wohnungsunternehmen wie Vonovia, Deutsche Wohnen oder Ado Properties weiterverkauft.

In den 2000er Jahren ist der Handlungsspielraum von Immobilienfonds und REITs (Real Estate Investments Trusts) erleichtert worden, die Wohnungsaktiengesellschaften gegenüber steuerlich bessergestellt sind3. Heute trägt auch die EZB-Zinspolitik zur Finanzialisierung des Wohnraums bei: Niedrige Zinsen erlauben es nationalen und internationalen Anlegern große Beträge für den Erwerb von – im internationalen Vergleich zunächst günstigen – Boden und Immobilien in Deutschland zu leihen. Zudem suchen institutionelle Investoren hier sichere Anlagemöglichkeiten. Selbstverständlich zielen Immobilieninvestitionen auf Rendite - durch Weiterverkauf und/oder durch erhöhte monatliche Mietzahlungen.

Auswirkungen der Spekulation: Wohnraum als Ware

Die Renditeerwartungen der Investoren wirken sich sowohl auf den Neubau wie auch auf den Wohnungsbestand aus. Durch Neubau hat sich die Zahl von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern zwischen 2006 und 2019 allerdings nur um ca. 800.000 Wohnungen erhöht4, wovon schätzungsweise nur 70 % Mietwohnungen sind. Mittlerweile klafft eine große Lücke, landesweit fehlen fast 2 Millionen bezahlbare Wohnungen. Um Haushalte, die unterhalb des Medianeinkommens liegen, – das mittlere Haushaltsnettoeinkommen von Mieterhaushalten beträgt etwa 2.100 € – mit dem nötigen Wohnraum zu versorgen, müssten allein in den 77 deutschen Großstädten 1,9 Mio. leistbare Wohnungen hinzukommen5. Gebaut werden stattdessen vor allem Eigentums- und teure Mietwohnungen, weil kaufkräftige Kunden diese Wohnungen nachfragen und die Bauwirtschaft hier mehr verdienen kann.

Besonders einschneidend aber sind Großinvestitionen in bestehende Immobilien. Als Ergebnis von Deregulierung, Privatisierung und fehlgeleiteter Steuerpolitik wechseln Mehrfamilienhäuser zu immer höheren Preisen die Eigentümer: Der Markt für Wohnimmobilien wird auf über 20 Mrd. Euro jährlich taxiert. Die Immobilienbranche berichtet für 2019 von ca. 130.000 verkauften Wohnungen und schätzt, dass die dafür gezahlten rund 20 Mrd. Euro eine Steigerung um 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr darstellen6. Besonders begehrt sind Metropolen wie Frankfurt, München, Stuttgart und Berlin. Vor allem dort sind weitere Mietsteigerungen zu erwarten, denn Investoren erwarten eine Rendite auf ihren Kapitaleinsatz, auch in Form von Mietzahlungen.

Entwicklung der Mietpreise

Wohnungsmärkte sind in vielen Städten angespannt. Im Zeitraum von sieben Jahren (2011-2018) stiegen Mieten vor allem bei der Neu- oder Wiedervermietung von Wohnungen. Wer einen neuen Mietvertrag unterschreibt zahlt 2018 pro Quadratmeter 28 % mehr als es 2011 der Fall gewesen wäre. Die Entwicklung der Angebotsmieten liegt in den sieben Jahren deutlich über der Inflation (die 8,4 % betrug), über den Steigerungen für bestehende Mietverträge (etwa 9 %) aber auch über den durchschnittlichen Nettolöhnen (ebenfalls ein Plus von 8 %). Diese sind Durchschnittswerte für Deutschland. Sieht man sich die Angebotsmieten in den 19 größten Metropolen an, zeigt sich die besondere Dramatik: In sieben Jahren stiegen die Angebotsmieten dort um 43 %, in Berlin sogar um 55 %. Die Finanzialisierung lässt sich zudem an der Preisentwicklung von Mehrfamilienhäusern ablesen. Diese ist deutschlandweit um 66 % gestiegen.

Grafik zu Kauf- und Mietpreisentwicklung von Mehrfamilienhäusern, Metropolen sowie Entwicklung der Reallöhne
Abbildung: Zunahme von Kauf- und Mietpreisen 2011-2018 (2011=100); Quellen: Gutachterausschuss, Wohngeld- und Mietenbericht (7)

Die Zahlen zeigen die starke Finanzialisierungsdynamik und unterstreichen den Handlungsbedarf, der Spekulation mit Wohnraum entgegenzutreten.

Wechsel in der Wohnungspolitik

Für die meisten bestehenden Mietverträge stellt das Mietrecht ausreichenden Schutz bereit, auch wenn Korrekturen beim Eigenbedarf, bei der Umwandlung in Eigentum und bei der Umlage von Modernisierungskosten nötig sind. Aber all dies wird wenig nutzen, wenn die Profitmöglichkeiten der Immobilieninvestoren nicht eingeschränkt werden.

Die Rückkehr zu einer gemeinwohlverträglichen Wohnraumbewirtschaftung ist notwendig, denn immer mehr Menschen können Mieterhöhungen kaum stemmen oder finden keine neue Wohnung.

Die Möglichkeiten, einen grundlegenden Wandel in der Wohnungspolitik herbeizuführen sind vielfältig. Ansätze finden sich in der Steuerpolitik, die den Interessen großer institutioneller Investoren aus dem In- und Ausland derzeit zu sehr entgegenkommt. Ihre Steuerbelastung ist gering, und der Transfer von Erträgen ins Ausland mindert ihre Steuern weiter8.

Hinzu kommt, dass große Investoren bessergestellt werden, wenn sie Immobilien erwerben, die einem Unternehmen gehören. Dafür steht der aktuelle Streit über Share Deals, dessen Lösung seit Monaten im Bundestag blockiert wird. Share Deals ermöglichen eine Umgehung der Grunderwerbsteuer, wenn Investoren nicht direkt die Häuser, sondern stattdessen bis zu 95 % der Anteile eines Immobilienunternehmens erwerben. Diese rechtlichen Konstruktionen ‘lohnen’ sich erst ab ca. 15 Mio. Euro - Privatpersonen zahlen Grunderwerbsteuern, große Investoren können sie vermeiden und werden dadurch bevorzugt.

Problematisch ist auch die mangelhafte Umsetzung der europäischen Geldwäscherichtlinie von 2014, die Geldwäsche im Immobiliensektor nicht ausreichend eindämmt9. Das bisher ungenügende Transparenzregister erschwert die Feststellung der wirtschaftlich Berechtigten und erschwert es Mieterinnen und Mietern oder Kommunen sich gegen Finanzialisierung zu wehren.

Die Steuer- und Finanzpolitik spielt eine Schlüsselrolle für die Wohnungspolitik. Der Bundesgesetzgeber ist gefordert, Entscheidungen zu treffen, die eine Finanzialisierung des Wohnraums beendet und der Spekulation entgegenwirkt. Nur dann bleiben Städte vielfältige soziale Orte, in denen Wohnraum ein gesellschaftliches Gut ist und kein Spekulationsobjekt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autoren geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.


Quellen:

1: Held, 2011: Verkäufe kommunaler Wohnungsbestände, S. 675: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/izr/2011/12/Inhalt/DL_Held.pdf?__blob=publicationFile&v=1

2: Zu den außerbörslichen Großinvestoren gehörten unter anderem Tochtergesellschaften der Deutschen Bank oder Goldman Sachs sowie weniger bekannte Fonds von Cerberus, Wellcome Trust, Landsdowne oder Oaktree. https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2017/bbsr-online-01-2017-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=5

3: Metzger, 2020: Die Finanzialisierung der deutschen Ökonomie am Beispiel des Wohnungsmarktes. Verlag Westfälisches Dampfboot.

4: Statistisches Bundesamt, 2019, Fachserie 5, Reihe 3, Bautätigkeit und Wohnen

5: Hans Böckler Stiftung, 2017: https://www.boeckler.de/pdf_fof/99313.pdf

6: JLL, Wohnungsmarktbericht 2020, S.4: https://www.jll.de/content/dam/jll-com/documents/pdf/research/emea/germany/de/wohnungsmarktbericht--jll-deutschland.pdf

7: Immobilienmarktbericht Deutschland der Gutachterausschüsse, 2019, Wohngeld- und Mietenbericht 2018 der Bundesregierung: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bauen/wohnen/Wohngeld-und-Mietenbericht-2018.pdf?__blob=publicationFile&v=1

8: Trautvetter, 2020: https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2020/09/200929_Taxing-real-estate-income-the-role-of-Luxembourg_final.pdf

9: Henn, 2018: Geldwäsche bei Immobilien in Deutschland, Transparency International Deutschland e.V.: www.transparency.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/2019/Studie_Geldwa__sche_web.pdf