Superreiche auf Abwegen

29.11.2021
Erbschaftsteuer Stiftung Familienunternehmer

Seit vielen Jahren beschäftigen sich Gerichte mit dem Erbschaftsteuerrecht. Immer wieder werden Ausnahmen etwa für Betriebsvermögen als verfassungswidrig erklärt. Kommt mit der Ampel-Koalition nun eine Regelung, die fair für alle ist?

Wenn es um Gefahr für unsere Verfassung geht, denken wir in der Regel an die politischen Ränder unserer Gesellschaft – etwa an Reichsbürger*innen, Verschwörungsgläubige, Rechtsextreme. Doch auch einige sehr reiche deutsche Unternehmensvorstände setzen seit Jahren Unsummen von Geld ein, um verfassungswidrige Ausnahmen durchzusetzen.

Das klingt erstaunlich, ist aber wahr. Doch der Reihe nach: Menschen, die große Summen erben oder per Schenkung übertragen bekommen, sind Gewinner*innen in der Geburtenlotterie. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist vor diesem Hintergrund dazu gedacht, die Chancen von Menschen in diesem Land etwas anzugleichen. Der Grundgedanke dabei ist auch, dass besonders gesegnete Erbende anteilig etwas mehr abgeben können als Menschen, die weniger vermacht bekommen.

In der Realität ergibt sich jedoch ein völlig anderes Bild. Im Jahr 2019 zahlten Erbende und Beschenkte bei einem Volumen von über 20 Millionen Euro im Schnitt einen deutlich niedrigeren Steuersatz als Menschen, die geringere Vermögen erhielten. Die 127 größten Schenkungen mit einem Volumen von insgesamt 12 Milliarden Euro wurden mit weniger als einem Prozent besteuert, während bei vielen kleineren Erbschaften ein Satz von 30 Prozent anfiel.  

Der durchschnittliche Steuersatz auf Erbschaften und Schenkungen von über 20 Millionen Euro beträgt mickrige 2,8 Prozent. Bei unter 20 Millionen Euro liegt er bei satten 9, Prozent.

Genau solche Ungerechtigkeiten haben oberste Gerichte wiederholt als verfassungswidrig erklärt. Bereits in einem Urteil aus dem Jahr 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das damalige Erbschaftsteuergesetz gleichheits- und damit verfassungswidrig war. Ein wesentlicher Grund dafür war die 1992 eingeführte, vom aktuellen Wert abweichende Bewertung von Betriebsvermögen. Es folgte eine Reform, die kam 2008. Seither wurden Betriebsvermögen zwar nach ihrem aktuellen Wert bewertet, zugleich wurde aber ein unbegrenzter Verschonungsabschlag eingeführt. Dieser sorgte dafür, dass Betriebsvermögen komplett steuerfrei bleiben, wenn die Summe der Löhne in den folgenden sieben Jahren etwa konstant gehalten wurde.

15 Jahre verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht

Und so gab es auch nach der Reform immer noch weitreichende Ausnahmen. 2014 folgte dann eine weitere Schelte vom Verfassungsgericht. Erneut wurden die Ausnahmen für Betriebsvermögen als verfassungswidrig eingestuft. Erneut folgte eine Reform. Die kam 2016. Mit der Reform wurde zwar eine Obergrenze von 90 Millionen Euro für die steuerliche Begünstigung eingeführt, es gab aber wieder mehrere Ausnahmen und Erleichterungen, inklusive einer kompletten Ausnahme dieser Obergrenze unter bestimmten Umständen.

2017 urteilte dann der Bundesfinanzhof. Er griff eine Entscheidung der Finanzämter auf, den Besitz von Wohnimmobilien ab einem Bestand von 300 Wohnungen pauschal als Betriebsvermögen zu klassifizieren. Diese Regelung führte aber unter anderem zu der Situation, dass auf das Erbe von einem Mietshaus mit fünf Wohnungen Steuern gezahlt werden müssen. Erbt jemand aber 3.000 Wohnungen, dann gilt das als "Wohnungsunternehmen" und es werden keine Steuern fällig. So etwas kann nicht grundgesetzkonform sein.

Ungerechte Steuerprivilegien: 3 Wohnungen erben und Steuern zahlen oder 300 Wohnungen erben und keine Steuern zahlen

Doch das Bundesfinanzministerium unter unserem möglicherweise kommenden Kanzler Olaf Scholz reagierte anders als erhofft: Anstatt die Regelung zu ändern, schrieb das Ministerium sie 2019 in der Erbschaftsteuerrichtlinie fest. Und schon 2018 erließen die Obersten Finanzbehörden der Länder einen sogenannten Nichtanwendungserlass, der die Finanzämter anwies, die Rechtsprechung zu ignorieren. 

Schaut man sich diese Abfolge an, stellt sich natürlich die Frage, warum verschiedene Regierungen nicht für eine verfassungskonforme Lösung gesorgt haben? Schließlich könnte der Staat jedes Jahr rund sechs Milliarden Euro mehr einnehmen, wenn er die Privilegien für Superreiche abschafft.

An dieser Stelle sind wir wieder bei den Personen vom Anfang dieses Textes – einige Superreiche, die verfassungswidrige Ausnahmen durchzusetzen versuchen.

Denn die Gesetzgebung war Folge einer Lobbyschlacht, wie sie diese Republik selten erlebt hat. Allen voran über die Stiftung Familienunternehmen und den Verband Die Familienunternehmer lief die Beeinflussung von Politikern aller Parteien. Die nette Namensgebung, die eher auf die Bäckerei um die Ecke schließen lässt als auf Großfirmen wie Henkel oder Dr. Oetker, die im Präsidium des Verbandes vertreten sind, ist Teil der Strategie.

Ein verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht durch Lobbying

Durch systematische und lautstarke Angstkampagnen gelang es der Lobby des großen Geldes, die Diskussion zu verschieben. Es ging plötzlich nicht mehr um eine verfassungsgemäße und faire Steuer, es ging fast nur noch um die Gefährdung von Arbeitsplätzen. Und so haben vermutlich auch einige von Ihnen beim Lesen dieses Textes schon gedacht: Was ist nur mit den Arbeitsplätzen, wenn wir eine Erbschaftsteuer ohne Ausnahmen für Betriebsvermögen haben?

Doch erstens darf auch zum Schutz von Arbeitsplätzen die Verfassung nicht einfach gebrochen werden. Und zweitens, es gab nie einen handfesten Beleg, dass Arbeitsplätze durch eine solche Steuer gefährdet wären. Dies bestätigte auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen. Dieser schrieb 2012 sogar: "Anstatt Arbeitsplätze zu erhalten, kann die praktizierte Begünstigung sogar Arbeitsplatzverluste mit sich bringen." 

Politisch Einfluss zu nehmen und eigene Interessen zu verfolgen, ist zwar legitim – aber die Lobbyarbeit der Superreichen hatte verfassungswidrige Privilegien zum Ziel und sie war erfolgreich. Denn seit über 15 Jahren hat Deutschland durchgehend ein verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht. 

Und hier ist eine demokratische Grenze überschritten.  

Video: Schlacht um die Erbschaftsteuer

Zum Anschauen auf das Bild klicken. Wir möchten darauf hinweisen, dass nach Aktivierung Daten an YouTube und Google übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Gerhard Schick vor dem Deutschen Bundestag

Massives Lobbying schadet der Demokratie

Man muss zwar nicht so weit gehen, diese Superreichen als Verfassungsfeinde zu bezeichnen. Aber das Befördern eines jahrelangen Verfassungsbruchs durch massives Lobbying schädigt unsere Demokratie. Einige vergleichen dieses Verhalten von manchen Superreichen deshalb sogar mit dem Agieren von Oligarch*innen, da hier das gewünschte politische Ergebnis durch den Einsatz finanzieller Mittel erkauft wird, ohne Rücksicht auf Demokratie, Rechtsstaat und Gemeinwohl.

Und nur um es einmal deutlich zu sagen: Natürlich gibt es auch in Deutschland sehr reiche Menschen, die sich für eine faire und verfassungsgemäße Erbschaftsteuer einsetzen. Dazu gehören etwa diejenigen, die sich in der Initiative #taxmenow zusammengeschlossen haben und mit denen wir bei der Bürgerbewegung Finanzwende derzeit gemeinsam eine Kampagne zur fairen Besteuerung organisieren

In den anstehenden Tagen wird sich nun zeigen, ob die kommende Regierung hier endlich der Verfassung zu ihrem Recht verhelfen will. Auch für Koalitionsverhandlungen sollte gelten: Die Korrektur einer verfassungswidrigen Situation darf nicht Verhandlungsmasse im politischen Tauschhandel der Parteien sein. Sie muss als Pflicht aller rechtsstaatlich Denkenden akzeptiert werden. Der Streit darf sich um das "Wie" der Rückkehr zur verfassungsgemäßen Gesetzgebung drehen, nicht aber um das "Ob". Und die Lobby des großen Geldes sollte von weiteren Aktivitäten, die auf die Fortführung verfassungswidriger Gesetze zielen, Abstand nehmen.

Die Pflicht, die Verfassung zu respektieren, muss im demokratischen Rechtsstaat für alle gelten, auch für besonders Vermögende und die von ihnen bezahlten Lobbyist*innen.

Dieser Beitrag von Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick ist in ähnlicher Form zuerst am 15.11.2021 auf "ZEIT ONLINE" erschienen.

Hier geht es zu unserer Petition

Eine gemeinsame Kampagne von