Wie die Finanzlobby die Finanztransaktionssteuer weichspülte

Seit mehr als zehn Jahren streiten die europäischen Länder um die Ausgestaltung einer Finanztransaktionssteuer. Unter dem starken Einfluss der Finanzlobby ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese kommen wird, verschwindend gering.

28.03.2024
Finanztransaktionssteuer
  • Die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer ist seit Ende der 70er Jahre immer wieder diskutiert worden. In Europa nahm die Diskussion nach der Finanzkrise 2007/2008 stark an Fahrt auf. 
  • Immer wieder werden verschiedene Ausgestaltungen einer möglichen Transaktionssteuer diskutiert – von der ursprünglichen Idee haben sie sich inzwischen jedoch weit entfernt. 
  • Das ist kein Zufall: Die Debatte um die Finanztransaktionssteuer ist ein Symbolbild für den Kampf der Finanzlobby gegen weitere Regulierung und Haftung für in der Krise verursachte Kosten.

Als Reaktion auf die Bankenrettungen kam es 2008 nach der Pleite von Lehman Brothers zu wütenden Protesten. Durch alle Bevölkerungsschichten drang die Forderung: Die Finanzindustrie sollte stabiler gemacht und an den Milliardenkosten der Finanzkrise beteiligt werden. Eine alte Idee der 70er Jahre rückte wieder in den Fokus der Öffentlichkeit: die Finanztransaktionssteuer (engl. Financial Transaction Tax, kurz FTT).

Finanztransaktionssteuer

Finanztransaktionssteuer

In Deutschland fallen auf die meisten Käufe Steuern an. Bei Finanzprodukten ist das prinzipiell nicht der Fall, obwohl seit vielen Jahren über die Finanztransaktionssteuer diskutiert wird und Sie eine Kernforderung aus der Zivilgesellschaft als Reaktion auf die Finanzkrise war.
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Hoffnungsvolle Anfänge

Über 66.000 Bürger*innen unterschrieben in Deutschland im Rahmen der Kampagne „Steuer gegen Armut“ eine Petition mit dem Ziel, diese Finanztransaktionssteuer wieder einzuführen. Darüber hinaus war die Steuer dazu gedacht, den extrem schnellen und unproduktiven Spekulationshandel einzudämmen und neue Finanzmittel für den Staat bereitzustellen. Hunderte Nicht-Regierungsorganisationen in Europa forderten die Einführung der Steuer. Sie wurden zum Symbol dafür, ob es gelingt, die Finanzmärkte wieder in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.

Seit 2010 unterstützte auch die Bundesregierung offiziell eine Finanztransaktionssteuer. Bereits kurz darauf legte die EU-Kommission einen ersten Vorschlag vor, der effektiv Finanztransaktionen besteuern sollte. Nach dem Entwurf sollte 2014 die Steuer mindestens in der Eurozone eingeführt werden. Man stand dem Ziel also richtig nahe. Doch es blieb bei diesem Vorschlag, der leider nie abgesegnet wurde.


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Offensive der Bankenlobby

Grund dafür war eine koordinierte Offensive der Bankenlobby. Sie schaffte es, verbündete Interessengruppen zu finden, deren Ruf in der Finanzkrise weniger in Verruf geraten war als ihr eigener. Ein Bündnis zwischen dem Bankensektor, dem Bundesverband Investment und Asset Management (BVI), dem Deutschen Aktieninstitut und Wirtschaftsverbänden schaffte es, Zweifel gegen eine Finanztransaktionssteuer zu säen. 

Die Politik wurde im Akkord mit Studien über vermeintlich negative Auswirkungen einer derartigen Steuer belagert. Die massive Kritik der Zivilgesellschaft, tausender Ökonom*innen und aus dem Europaparlament schaffte es nicht, die Verunsicherung der Politik abzuwenden. Damit wurde das vorgesehene Instrument abgewehrt und über die Jahre extrem verwässert. 

Verwässerung auf EU-Ebene

Im europäischen Aushandlungsprozess flossen immer mehr Ausnahmen ein, sodass die primären Ziele mit der Zeit immer mehr in den Hintergrund rückten. Zudem rückten immer mehr Staaten von einer Zusammenarbeit auf EU-Ebene ab, da sie die vermeintlichen Kosten für ihre nationalen Finanzindustrien befürchteten.

Unter der deutschen Ratspräsidentschaft legte der damalige Finanzminister Olaf Scholz 2020 einen Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer vor, die stark vom ursprünglichen Vorschlag von 2011 abwich. So wurden beispielsweise Derivate – oftmals risikoreiche und spekulative Finanzgeschäfte – komplett von der Steuer ausgenommen. Als einzige Anlageklasse, die besteuert werden sollte, verblieben Aktien. Und das auch nur, wenn diese von börsennotierten Unternehmen mit einem Marktwert von über 1 Milliarde Euro stammen. Optional sollten auch noch Pensionsfonds von der Zahlungspflicht ausgenommen werden – eine Bedingung, die Belgien gestellt hatte.

Wie schwach der deutsche Vorschlag war, zeigt sich darin, dass 2021 unter der Ratspräsidentschaft von Portugal zumindest eine potentielle Ausweitung auf andere Anlageklassen, wie Anleihen und Derivate, im Laufe der Zeit überprüft werden sollte. Doch weiterhin verfehlte auch dieser Vorschlag bereits einen der wichtigsten Aspekte von 2011: Den Hochfrequenzhandel eindämmen. Die Initiative blieb durch die Blockade mehrerer EU-Länder in einer Sackgasse stecken. 

Etikettenschwindel zugunsten der Lobby

15 Jahre nach der Finanzkrise und mehr als ein Jahrzehnt nach den ersten Reformvorschlägen liegen der Prozess und die ursprünglichen Ziele einer europäischen Finanztransaktionssteuer so gut wie brach. Über permanentes Einwirken hat es die Finanzlobby geschafft, sich bei der geplanten Umsetzung der Besteuerung fast vollständig aus der Verantwortung zu stehlen und wirksame Veränderungen auszubremsen. 

Aktuelle Debatten laufen zwar noch unter dem Slogan „Finanztransaktionssteuer“, doch in Wahrheit drehen sich die Gespräche nur noch um eine Aktiensteuer light. Denn mit den aktuellen Vorschlägen würden nicht einmal 10 Prozent aller Finanztransaktionen besteuert. 

Mit einem solchen Etikettenschwindel verspielt die EU Kommission massiv Glaubwürdigkeit, denn wichtige Forderungen nach Reformen verkommen zu einer reinen Alibi-Steuer. Es besteht die Gefahr, dass die Interessen professioneller Finanzinvestor*innen bevorzugt werden - zu Lasten von privaten Anleger*innen und Unternehmen. Mal wieder scheinen die Interessen der Finanzmärtke über denen der Gesellschaft zu stehen. Zeit, die Debatte um die Finanztransaktionssteuer neu zu starten!

Drei Gründe für einen Neustart der Debatte zur Finanztransaktionssteuer

Eigentlich sollte die Finanztransaktionssteuer jährlich eine zweistellige Milliardensumme zum Bundeshaushalt beisteuern. In einem Gutachten für das Bundesfinanzministerium wurden 2014 etwa Mehreinnahmen über mindestens 17,6 Milliarden Euro prognostiziert. Bei solchen Summen hätte man von einer wirklichen Verantwortungsübernahme durch die Krisenverursacher*innen für die Milliardenkosten sprechen können. Bei der nun vorgesehenen Lösung werden maximal 1,5 Milliarden Euro als Einnahmen erwartet. Wir sprechen also nicht einmal mehr von 10 Prozent der ursprünglich geschätzten Einnahmen. 

Dass das Aufkommen der Alibi-Steuer so gering ausfällt, hängt vor allem damit zusammen, dass die Geschäfte, welche steuerpflichtig sind, immer weiter zusammengestrichen wurden. Werden immer weniger Dinge besteuert, kann bei gleichem Steuersatz natürlich nicht das Gleiche herauskommen. Am Anfang hatte man beispielsweise noch das richtige Anliegen, Derivate und jede Einzeltransaktion zu besteuern (also keine Aufrechnung verschiedener Transaktionen zu erlauben). Doch das fiel alles im langen Verhandlungsprozess hinten herunter. 

Wir haben es also jetzt mit einer angestrebten Lösung zu tun, die Handelsaktivitäten, die innerhalb eines Tages stattfinden, nicht besteuert. Geschäfte mit spekulativen Derivaten bleiben genauso unberührt wie der Handel mit Staatsanleihen oder Devisen. Am Ende kommt die geplante „Finanztransaktionssteuer“ bei neun von zehn ebendiesen Finanztransaktionen gar nicht erst zum Einsatz.

In ihrer Grundform hätte die Finanztransaktionssteuer dafür gesorgt, dass Finanzinstitute zumindest einen Teil der durch sie verursachten Milliardenkosten für die Finanzkrise von 2008 übernommen hätten. Doch durch die nun vorgesehenen zahlreichen Ausnahmen sind viele ihrer Geschäfte nicht betroffen oder sie können die Besteuerung leicht umgehen. Somit wurde eine Frage der Gerechtigkeit und der Verantwortung zu Grabe getragen. 

Auch besonders reiche Menschen und Beteiligungsgesellschaften werden Wege finden, um die Steuer zu umgehen. Diese Option haben Kleinanleger*innen oder kleine und mittelständische Unternehmen oftmals nicht. So wird mit der Alibi-Steuer die hierzulande ohnehin schwache Aktienkultur weiter geschwächt. Statt also einer Steuer, die eher die Reichen und Krisen-Verursachenden besteuert, haben wir es nun mit einer Steuer zu Lasten der Altersvorsorge der Mittelschicht zu tun. Es trifft also genau die Falschen.

Eine wirkliche Finanztransaktionssteuer macht unnötige und wahnsinnig schnelle Transaktionen unrentabel. Das trägt wiederum dazu bei, Kapitalmärkte wieder stabiler und weniger spekulativ zu machen. Weil nun jedoch der Aktienhandel innerhalb eines Tages von der Besteuerung ausgeklammert ist, werden kurzfristige Geschäfte in diesem Bereich sogar im Vergleich zu mittel- und langfristigen Kapitalanlagen bevorzugt. Gerade der Hochfrequenzhandel bleibt also unbelastet, bei dem im Millisekundenbereich große Aktienpakete gehandelt werden – ein Nullsummenspiel zum Vorteil der Hochfrequenzhändler*innen und zum Nachteil der langfristig Orientierten. 

Ausgerechnet Derivate sind von der Alibi-Steuer ebenfalls komplett ausgenommen, sodass sie nun zur Umgehung der Steuer genutzt werden könnten. Durch Derivate werden vor allem gefährliche Finanzmarktgeschäfte getätigt. Aktien spielten dagegen bei den jüngsten Bankenkrisen im Gegensatz zu Derivaten oder Hochfrequenzhandel keine nennenswerte Rolle. 

Es ist ausgeschlossen, dass die geplante „Finanztransaktionssteuer“ einen Beitrag zur Finanzstabilität leistet. Die ursprünglich vorgesehene Lenkungswirkung, gesellschaftlich unproduktive Geschäfte einzudämmen, ist in weite Ferne gerrückt. Im Gegenteil: Die „Finanztransaktionssteuer“ in ihrer aktuell debattierten Form verstärkt zu erwartende Ausweichmanöver eher noch.