Inkasso

Schluss mit zweifelhaften Geschäftspraktiken

08.02.2024
  • Mehr als 20 Millionen Zahlungsforderungen werden jedes Jahr an säumige Schuldner*innen versendet.
  • Viele Bürger*innen sehen sich nach wie vor mit überhöhten Kosten oder unseriösem Gebaren von Inkassofirmen konfrontiert.
  • Die Inkasso-Reformen der Bundesregierung haben das Problem bisher nicht gelöst.

In Deutschland sind laut dem Schuldner-Atlas 2023 mehr als 5,6 Millionen Menschen überschuldet. Das bedeutet: Jede*r zwölfte Erwachsene kann über eine längere Zeit die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Das ist schon schlimm genug. Noch teurer für Schuldner*innen wird es allerdings, wenn sich ein*e Inkassodienstleister*in einschaltet.    

Inkassounternehmen oder –anwält*innen treiben für andere Firmen und Privatpersonen deren offene Rechnungen ein. Klar: Wer Geld schuldet, sollte es auch zurückzahlen. Allerdings nutzen Inkassofirmen mitunter Geschäftspraktiken, die Menschen beispielsweise mithilfe von Drohschreiben einschüchtern oder über Gebühr belasten.

Gewinnmaximierung in der gesetzlichen Grauzone

Ein Zahlendreher bei der Überweisung oder eine verlegte Rechnung können reichen, damit sich Inkassodienstleister*innen melden. Selbst bei kleinen Schuldbeträgen steigen die Kosten dann schlagartig. Für offene Forderungen bis zu 500 Euro werden beim ersten Inkassoschreiben knapp 30 Euro fällig, in schwierigen oder umfangreichen Fällen gut 76 Euro. Das Gesetz schweigt größtenteils darüber, wann welcher Fall gilt. Einige Inkassodienstleister*innen sind daher schnell dabei, den maximalen Kostenrahmen auszureizen.

Verbraucherschützer*innen kritisieren, dass Inkassodienstleister*innen den Kund*innen Kosten in Höhe von Anwaltsgebühren berechnen. Es kann vorkommen, dass Anwält*innen Inkassofälle rechtlich prüfen. Gängig ist in Zeiten der Digitalisierung jedoch das automatisierte Masseninkasso. Hier sind laut Bundesgerichtshof rechtliche Prüfungen „unmöglich“.  Für die Schuldner*innen ist das ein schwacher Trost. Sie zahlen trotzdem immer wieder viel Geld für die maschinellen Schreiben. Und das, obwohl im Sinne der Schadensminderungspflicht der Schaden für die Betroffenen möglichst gering gehalten werden soll.

Beim Preis für das Inkasso können die Betroffenen ohnehin nicht mitreden. Das Inkassounternehmen macht die Kosten mit den Gläubiger*innen aus. Die Schuldner*innen haben keine Chance, beim Preis zu verhandeln. Deswegen sieht unser Rechtssystem zum Schutz der Verbraucher*innen Regeln vor, doch die reichen Expert*innen zufolge nicht aus.

Vom Massenphänomen zum Massenproblem

Inkasso betrifft sehr viele Menschen. Laut dem Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen übergeben Inkassofirmen jährlich mehr als 20 Millionen Forderungen an säumige Schuldner*innen. Mit dabei sind große Unternehmen wie Bertelsmann oder Otto. Immer wieder handeln Firmen bei den Kosten und beim Eintreiben der Schulden an der Grenze des Legalen – mitunter gehen sie auch darüber hinaus. Laut Inkasso-Check der Verbraucherzentralen sind 20 Prozent der Inkassoforderungen unberechtigt. Und bei vielen anderen sind die Kosten viel zu hoch.

Dennoch finden Schuldner*innen kaum Hilfe. Wegen der geringen Streitwerte sind die Fälle für Anwält*innen meist nicht lukrativ. Für Beratungstermine bei Verbraucherzentralen oder Schuldnerberatungen gibt es oft längere Wartelisten. Weil Menschen mit Schulden häufig unter enormen Druck stehen, überweisen sie lieber schnell – auch ohne Beratung.

Inkassounternehmen kommen deshalb mit ihren Forderungen in der Regel durch, zumal es bisher keine funktionierende Aufsicht über den Bereich gibt. Das soll sich aber bald ändern: Die bislang zersplitterte Aufsicht wird ab 2025 zusammengelegt und soll so effektiver arbeiten. Aus Sicht der Verbraucher*innen ist das eine gute Entwicklung.

Reformen kommen, Probleme bleiben

Bei den aktuellen Problemen rund um das Inkasso hilft es aber nicht weiter. Die Branche und ihr Geschäft mit den Schulden beschäftigt den Gesetzgeber regelmäßig. Bereits im Jahr 2013 sollte eine Reform unseriöse Geschäftspraktiken im Inkasso eindämmen. In der Folge durften Inkassounternehmen allerdings so hohe Kosten nehmen wie Anwält*innen. „Da sind wir sehr gut davongekommen, wenn ich ehrlich bin“, stellte ein Vertreter eines großen Inkassoverbands daraufhin fest.

Im Jahr 2020 nahm die damalige Bundesregierung erneut Anlauf. Die verabschiedete Inkasso-Reform enthielt einige echte Verbesserungen für Verbraucher*innen – allerdings nicht für alle gleichermaßen. Entlastet wurden vor allem zahlungskräftige Schuldner*innen, deren Inkassokosten sich bisweilen mehr als halbierten. Wenn Schuldner*innen nicht zügig zahlen können – und das betrifft naturgemäß viele – können Geldeintreiber*innen jedoch noch immer die alten Kostensätze aufrufen. Das große Inkassogeschäft läuft also weiter – auf den Schultern derer, die ohnehin schon in finanzieller Not sind.

Immerhin: 2022 wurde endlich die jahrelang geforderte Zentralisierung der Inkassoaufsicht beschlossen. Dieser Schritt ist überfällig, um Missstände in der Branche zu erkennen und anzugehen.

Dennoch bleiben im Inkassobereich viele Probleme. Geldeintreiber*innen können mit ausgeklügelten Geschäftsmodellen säumige Schuldner*innen weiter über Gebühr belasten, etwa mittels Konzerninkasso. Die Zulässigkeit dieser Praxis wird derzeit vor dem Bundesgerichtshof verhandelt (Az.: 3 MK 1/21). Inkassokosten können weiterhin auf die Höhe von Anwaltsgebühren steigen, selbst im Masseninkasso.

Finanzwende sieht Nachbesserungsbedarf

Aus Sicht von Finanzwende ist schon jetzt klar: Die Bundesregierung muss bei Inkasso weiter nachbessern, damit Schuldner*innen besser geschützt sind vor den zweifelhaften Geschäftspraktiken vieler Geldeintreiber*innen. Eine Gelegenheit dafür gäbe es auch schon: Das Bundesjustizministerium evaluiert derzeit die letzte Inkassoreform aus dem Jahr 2021.