Vorsicht Provisionsvertrieb!

24.05.2023
  • Noch immer steht in Deutschland „Finanzberatung“ drauf, wo oft „Finanzvertrieb“ drin ist. Unabhängige Beratung im Kundeninteresse gibt es kaum.
  • Der Grund: Viele Finanzinstitute steuern ihren Verkauf dadurch, dass sie die Vertriebsleute für den Verkauf mit sogenannten Provisionen belohnen. Und Kund*innen zahlen unter Umständen auch noch dafür, dass sie Produkte empfohlen bekommen, die ihnen teuer zu stehen kommen.
  • Finanzwende sagt: In Deutschland sollte endlich unabhängige Finanzberatung zum Standard werden – und das geht nur, wenn so wie in anderen europäischen Ländern Provisionen verboten werden.  

Wer finanziell vorsorgen oder sich absichern will, braucht oft Finanzberatung. Zu groß ist die Auswahl an Produkten, zu komplex sind Tarife und Konditionen. Zudem haben viele Menschen die Sorge, etwas falsch zu machen mit dem hart erarbeiteten Ersparten. Sie suchen Orientierung für wichtige Finanzentscheidungen.

An diesem Punkt landen die allermeisten Ratsuchenden im Provisionsvertrieb von Finanzunternehmen. Kein Wunder: Anfang 2023 lebten in Deutschland knapp 290.000 Vertriebler*innen von Provisionen. Ihnen gegenüber standen 639 Honorarberater*innen. Die Zahlen verdeutlichen sehr klar: Der Provisionsvertrieb ist in Deutschland der Normalfall. 

Dort erwartet die Kund*innen in aller Regel aber keine unabhängige Beratung, sondern ein Verkaufsgespräch. Beratung wird nämlich nicht entlohnt, gutes Geld verdienen Vermittler*innen nur, wenn es einen Vertragsabschluss gibt. Weil der Vertrieb stets auch den Umsatz im Blick haben muss, werden teils kostspielige, unpassende oder gar risikoreiche Produkte empfohlen. Typischerweise gilt: Je mehr Umsatz ein Produkt bringt, desto höher sind die Provisionen.

Provisionen sind teuer...

Was viele Kund*innen nicht wissen: Ein Gesprächstermin im Provisionsvertrieb kommt nur auf den ersten Blick kostenlos daher. Denn sobald sie einen Vertrag unterschreiben, wird es schnell teuer. Die Kund*innen zahlen das Gespräch dann als Teil der Produktkosten, die im – meist monatlichen - Beitrag enthalten sind.  

Die Kund*innen zahlen dafür, auch wenn sie es häufig nicht bemerken. Sie müssen im Provisionsvertrieb nach einer Studie der EU-Kommission rund ein Viertel höhere Produktkosten berappen.

Kostentreiber sind insbesondere die einmaligen Abschlusskosten. Gerade bei Lebensversicherungen senken sie die Rendite deutlich. Im Jahr 2021 summierten sie sich auf satte 8,3 Milliarden Euro. Ein Großteil davon floss als Abschlussprovision in den Vertrieb.

Bei Fonds läuft es anders. Dort summieren sich nach dem anfänglichen Ausgabeaufschlag vor allem die laufenden Kosten. Denn der Vertrieb hält nicht nur beim Ausgabeaufschlag die Hand auf, sondern kassiert auch bei den laufenden Kosten in Form von Bestandsprovisionen mit.

Fest steht: Die Kund*innen tragen schon heute im Provisionsvertrieb ganz beträchtliche Kosten.

Die Finanzfirmen entgegnen oft, ihre hohen Kosten seien gerechtfertigt. Dafür gebe es mehr Leistung in Form von Rendite. Ganz so einfach ist es aber nicht: Denn Kosten muss eine Anlage ja erst einmal reinwirtschaften, bevor Anleger*innen ins Verdienen kommen. Je höher die jährlichen Kosten sind, desto schwieriger wird das. Was für die Kosten draufgeht, steht etwa für die Altersvorsorge nicht mehr zur Verfügung.

…und setzen oft falsche Anreize

Viele Kund*innen werden schlecht beraten, weil Provisionen häufig falsche Verkaufsanreize setzen. Erhalten Kund*innen teure oder risikoreiche Produkte, weil die Verkäufer*innen daran besser verdienen als an besseren Angeboten, läuft etwas gehörig schief. Gerade für Menschen mit wenig Geld ist das problematisch. Verluste treffen sie umso härter.

Genau das passierte in der Finanzkrise 2008. Zehntausende – vielfach ältere Anleger*innen – hielten riskante Zertifikate der Lehman Bank. Nach der Bankpleite war ihr Geld zunächst weg. Der Schaden für deutsche Anleger*innen: schätzungsweise bis zu einer Milliarde Euro. Vielen von ihnen dürfte nicht klar gewesen sein, dass sie mit ihren Papieren alles verlieren konnten. Derweil dürften die Vermittler*innen daran gut verdient haben.

Beim Provisionsvertrieb steckt das Problem in der Konstellation der Akteur*innen. Auf der einen Seite stehen die Vertriebler*innen und Anbieter*innen, die Umsatz machen wollen und am Verkauf verdienen. Auf der anderen Seite stehen die Kund*innen, die dafür zahlen. Sie suchen eigentlich eine gute Beratung für ihr Anlageproblem, aber nicht unbedingt ein Produkt.

Es ist ein Dreiecksverhältnis. Doch das Interesse der Kund*innen steht allzu oft hinter dem gleichgerichteten Interesse der beiden anderen Akteur*innen zurück.  

Komplexität sticht Transparenz

Auch Kund*innen, die ihre Finanzentscheidungen selbst in die Hand nehmen wollen, tun sich im Dickicht der Angebote schwer. Sie kommen den Konditionen und Kosten in komplizierten Verträgen kaum auf die Schliche.

Aus Anbietersicht ist das gut fürs Geschäft. Die Branche produziert vertrackte Kontrakte im Überfluss. Beispiel Derivate: Ende 2022 gab es mehr als 1,6 Millionen verschiedene Varianten, oft vertrieben in der Sparkasse oder Volksbank nebenan. Die Kontrakte sind teils so komplex, dass sich kaum nachvollziehen lässt, in welchen Szenarien eigentlich Geld verdient wird. Ähnlich läuft es bei einigen Vorsorgeprodukten wie Indexpolicen.

Aus Kundensicht ist das problematisch. Verbraucher*innen wissen in der Regel fachlich weniger als der Vertrieb, der sich täglich mit der Materie beschäftigt. Die Kund*innen selbst hingegen sind vielleicht froh, das Kleinklein anderen zu überlassen.

Der Gesetzgeber hat versucht, Abhilfe zu schaffen. Mehr Transparenz – zum Beispiel über die Kosten – sollte den Kund*innen informierte Entscheidungen ermöglichen. Bloß verfehlt dieser Ansatz offenkundig seinen Zweck. Die Menge an Informationen dürfte viele überfordern. Das Wichtigste steht vielleicht erst ganz hinten in den Vertragsunterlagen. Die Mehrheit ignoriert die Kosteninformationen gänzlich und was Provisionen sind, wissen ohnehin die wenigsten.

Wir brauchen Beratung statt Verkauf

Wir fordern, einen Schlussstrich unter den Provisionsverkauf zu ziehen und stattdessen auf eine Beratung zu setzen, in der konsequent die Interessen der Anleger*innen an erster Stelle stehen. Berater*innen sollten wie Rechtsanwält*innen ausschließlich im Interesse ihrer Mandant*innen handeln.

Der Blick ins Ausland zeigt, dass Finanzberatung ohne Provisionen funktioniert. Die Niederlande haben Provisionen bereits 2014 verboten. Die Bilanz ist positiv: Produkte wurden kostengünstiger und simpler; Interessenkonflikte in der Beratung nahmen ab; der Wettbewerb nahm zu. Es wurde übrigens auch nicht weniger Geld angelegt. Dafür suchten Verbraucher*innen seltener eine Beratung auf, sondern investierten mittels neuer Angebote eigenständiger als bisher.

Diese Erfahrungen legen nahe: Auch Geringverdienende profitieren, wenn die Produktkosten niedriger sind und die Risiken falsch beraten zu werden sinken. Unabhängige Beratung kann viel Geld sparen und auch simplere Produkte helfen ganz entscheidend dabei, gute Finanzentscheidungen zu treffen.

Wahlfreiheit? Denkste!

Die Finanzlobby und ihre Fürsprecher*innen verteidigen den Status quo gerne mit dem Argument der Wahlfreiheit: Die Kund*innen könnten ja frei entscheiden, ob sie lieber zum Provisionsvertrieb gehen wollen oder in die Honorarberatung.

Doch dieses Argument ist angesichts der Übermacht des Provisionsvertriebs hierzulande scheinheilig. Denn Wahlfreiheit bedarf der Wahl. Allein bei Versicherungen steht jedoch ein Heer von rund 190.000 Vermittler*innen einer überschaubaren Schar von gut 330 unabhängigen Versicherungsberater*innen gegenüber. Sprich: Die Honorarberatung scheitert vielerorts bereits an der Verfügbarkeit einer unabhängigen Beratung.

Nötig wäre also eigentlich mehr Markt. Wer für Wettbewerb ist, sollte deshalb gegen Provisionen sein. Denn Wettbewerb lebt vom Vergleich, zum Beispiel von Konditionen und Preisen. Genau der findet aber nicht statt, solange unverständliche Produkte den Markt dominieren und Verbraucher*innen fälschlicherweise glauben, der Gesprächstermin im Provisionsvertrieb sei gratis.

Der Vertrieb profitiert von dieser Fehleinschätzung. Sein Geschäft brummt. Die Mehreinnahmen fließen in Marketing und Lobbyarbeit und zementieren somit die Vormachtstellung vor der Konkurrenz. Ein Provisionsverbot könnte diese Schieflage ausgleichen und die Marktkräfte entscheidend stärken.

Zu einer guten Finanzberatung gehört natürlich mehr als nur unabhängiger Rat, er muss auch fundiert sein. Die Berater*innen sollten umfassend ausgebildet sein, um die Kundeninteressen bestmöglich umzusetzen. Vor allem ist gute Beratung aber: ergebnisoffen. Denn Ergebnis eines Beratungsgesprächs kann auch sein, dass der Ratsuchende kein Produkt braucht.

Um einen Systemwechsel vom Provisionsvertrieb hin zur Honorarberatung anzuschieben, braucht es eine Übergangszeit. Der Markt und seine Akteur*innen – Unternehmen, Vertrieb und Kund*innen - müssen sich umstellen können. Wie das funktionieren kann, zeigt das Beispiel Niederlande: Dort galt das Provisionsverbot lediglich für neue Verträge, eine Übergangszeit war damit programmiert.

Und natürlich kostet Beratung Geld. Wichtig ist daher, dass auch im neuen System alle Zugang zur Beratung haben. Modelle wie Onlinevertrieb für einfache Produkte oder Ratenzahlungen könnten dabei helfen. Klar ist: Der Systemwechsel ist überfällig und machbar, wenn wir nur wollen.