Schulden und Überschuldung

09.03.2023
Schulden und Überschuldung
  • Schulden sind im reichen Deutschland üblich und gewollt – jedenfalls, solange sie bedient werden.
  • Schätzungsweise sechs Millionen Menschen sind überschuldet, nicht einmal jede*r Zehnte davon erhält Hilfe in einer Schuldnerberatung.
  • Banken und Inkasso-Unternehmen profitieren vom Geschäft mit den Schulden, teils auch durch zweifelhaftes Geschäftsgebaren.

Schulden sind Teil des alltäglichen Lebens vieler Verbraucher*innen. Die meisten Menschen in Deutschland haben schon einmal einen Konsumenten- oder Dispokredit genutzt. Nicht wenige rutschen in die Überschuldung, 2022 betraf dies rund sechs Millionen Menschen.

Doch selbst diese hohe Zahl könnte angesichts der stark steigenden Preise für Energie und Lebensmittel noch ansteigen. Studien zufolge laufen derzeit rund 15,6 Millionen Menschen Gefahr, ihre Strom-, Wasser-, Gas- und Heizungsrechnungen nicht unmittelbar bezahlen zu können. Damit steigt ihr Überschuldungsrisiko. Überschuldung bedeutet, dass Menschen ihre Schulden über einen längeren Zeitraum nicht mehr bedienen können. Ihre Einnahmen sind zu gering, um alle Rechnungen zu begleichen.

In einem kreditbasierten System gehört die Verschuldung privater Haushalte zur gesellschaftlichen Normalität. Kredite sind gewollt, solange Schuldner*innen zahlungsfähig bleiben. Doch nicht alle Akteur*innen handeln verantwortungsbewusst.


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Banken vergeben jedes Jahr neue Ratenkredite im Wert von rund 100 Milliarden Euro. Eine von uns in Auftrag gegebene Analyse aus dem Jahr 2019 zeigt: Banken verlangten teils horrende Zinsen. Zudem informieren sie häufig nur unzureichend über das verkaufte Finanzprodukt.

Sobald Zahlungen ausbleiben, schlagen Inkassounternehmen immer wieder hohe Gebühren auf die Forderungen oben drauf. Dafür werden nach Einschätzung des Arbeitskreises InkassoWatch, in dem sich Fachleute aus Wissenschaft, Verbraucherschutz und Praxis organisiert haben, teils auch zweifelhafte Geschäftspraktiken genutzt.

Zwar können Überschuldete in einer Schuldnerberatung Hilfe erhalten. Doch nicht einmal 10 Prozent aller überschuldeten Haushalte nehmen die Hilfe einer Schuldnerberatungsstelle tatsächlich in Anspruch – und dafür gibt es Gründe.

Schuldnerberatung: Viel Raum für Verbesserung

Eine Schwierigkeit bei der Schuldnerberatung ist etwa, dass sich die Spielregeln in Deutschland je nach Bundesland unterscheiden. In ganz Deutschland haben lediglich Haushalte, die Sozialhilfe beziehen, einen Anspruch auf kostenlose Beratung. Verschuldete Erwerbstätige, Studierende und Rentner*innen hingegen müssen vielerorts selbst für ihre Schuldnerberatung aufkommen. Dabei ist klar: Wer Schulden hat oder schon überschuldet ist, schreckt vor zusätzlichen Kosten zurück – und geht deshalb unter Umständen nicht zur Schuldnerberatung.

In ihrem Koalitionsvertrag haben die Ampelparteien zwar den Willen bekundet, die Schuldner- und Insolvenzberatung auszubauen. Von diesem Willen war in der Praxis bisher aber wenig zu sehen. Und selbst wenn, wäre das Kernproblem nicht gelöst: Viele verschuldete Haushalte müssten weiter für die Schuldnerberatung zahlen – und sich dafür notfalls noch weiter verschulden.

Wir finden: Wer Hilfe braucht, muss sie auch bekommen können. In einem gemeinsamen Positionspapier fordern wir mit dem institut für finanzdienstleistungen (iff) und der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung (BAG-SB) daher ein Recht auf kostenlose Schuldnerberatung für alle.

Dispokredite: Das Geschäft mit der Kontoüberziehung

Hohe Dispozinsen erhöhen das Überschuldungsrisiko privater Haushalte. Eine von uns in Auftrag gegebene Auswertung vom Oktober 2020 zeigt: Trotz jahrelanger Niedrigzinsphase verlangten Banken hohe Dispozinsen – im Durchschnitt fast 10 Prozent. Banken kassieren durch derartige Praktiken insbesondere bei denen, die sich finanziell ohnehin schon in einem Engpass befinden.

Wir haben von besonders auffälligen Instituten und den zentralen Bankenverbänden in einem offenen Brief gefordert, die Praxis überhöhter Dispozinsen zu beenden. Immerhin: Fünf der elf Institute mit den höchsten Dispozinsen senkten anschließend ihren Zinssatz.

Doch bei vielen Kreditinstituten sind die Dispozinsen weiterhin enorm hoch und steigen aufgrund der Zinswende weiter an. Wir finden, Banken müssen auch beim Dispokredit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Bei überhöhten Dispozinsen machen sich Banken mitschuldig, wenn Menschen in die Überschuldung geraten.

Ein herabzeigender Pfeil auf ein Prozentzeichen. Dazu der Kampagnenslogan "Dispozins runter!"

Dispozins runter!

Hohe Dispozinsen können in der Corona-Krise unverschuldet zu einer finanziellen Überlastung von Menschen beitragen und in die Überschuldung führen. Dispozinsen von zehn Prozent und mehr sind nicht zu rechtfertigen. Finanzwende fordert die Banken und Sparkassen auf, diese Praxis einzustellen.
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Inkasso: Hohe Kosten, insbesondere für Zahlungsunfähige

Wenn Menschen ihre Kredite nicht mehr bedienen können, treten häufig Inkassounternehmen auf den Plan. Nach Angaben ihres Branchenverbands übergeben Inkassounternehmen jedes Jahr mehr als 20 Millionen Forderungen an säumige Schuldner*innen. Der Großteil dieser Forderungen richtet sich an Verbraucher*innen. Solche Inkassoforderungen sind oft mit hohen Gebühren verbunden, die naturgemäß besonders Menschen schmerzen, die ohnehin knapp bei Kasse sind.

Eigentlich gilt in Deutschland die Schadenminderungspflicht, wonach der Schaden für Schuldner*innen möglichst geringzuhalten ist. Einige Inkassodienstleister*innen vermitteln aber eher den Eindruck, der Renditemaximierung zu dienen. Und die Großen verdienen mit: Ein Beispiel ist das Hamburger Inkasso-Unternehmen EOS, eine Konzerntochter der Otto Gruppe. EOS erzielt jährliche Gewinne in dreistelliger Millionenhöhe – auch durch zweifelhafte Praktiken wie Konzerninkasso.

Videos: Zum Anschauen auf das Bild klicken. Wir möchten darauf hinweisen, dass nach Aktivierung Daten an YouTube und Google übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Finanzschelle #1 Inkasso und die Otto-Gruppe

Fragwürdiges Geschäftsgebaren ist bei einigen Inkassounternehmen keine Neuheit. Der Gesetzgeber*innen haben den Verbraucherschutz im Inkassorecht im Oktober 2021 daher gestärkt. Insbesondere vorgerichtliche Inkassokosten sind seither stärker gedeckelt. Zuvor lief es für die Kund*innen noch schlechter, wie ein Bericht von damals zeigt.

Auch heute, also nach der Novellierung, läuft es aber längst noch nicht rund. Das Problem: Inkassogebühren orientieren sich nach wie vor an den teuren Rechtsanwaltsgebühren. Damit entlastet die neue Gesetzgebung vor allem zahlungskräftige Schuldner*innen, alle anderen stehen weiterhin vor Problemen. Werden nämlich Inkassoforderungen samt Kosten nicht gleich nach dem ersten Schreiben beglichen, erhöhen Inkassounternehmen die Gebühren – laut InkassoWatch teils auf bedenkliche Weise. Einige erhöhen die Gebühren ohne weitere Maßnahmen. Andere verletzten Fristen oder verweisen nur an versteckter Stelle auf verringerte Kosten bei direkter Zahlung.

Scrabble aus den Wörtern "Inkasso", "Überschuldung", "Millionen" und "Betroffene"

Inkasso

Mehr als 20 Millionen Zahlungsforderungen werden jedes Jahr an säumige Schuldner*innen versendet. Viele Bürger*innen sehen sich mit überhöhten Kosten oder unseriösem Gebaren von Inkassofirmen konfrontiert. Die Inkasso-Reformen der Bundesregierung haben das Problem bisher nicht gelöst.
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Warum es eine Finanzwende braucht

Immer noch rutschen viel zu viele Menschen von der Verschuldung in die Überschuldung. Rücksichtslose Akteur*innen wollen mit Menschen in finanzieller Not besonders hohe Gewinne einfahren. Finanzwende schaut bei solchen Geschäftspraktiken genau hin, zumal die Betroffenen oft nicht die Kapazitäten haben, um sich selbst zu wehren. Wir decken auf und drängen lautstark auf Veränderungen, damit am Finanzmarkt nicht genau diejenigen übermäßig zur Kasse gebeten werden, deren Budget sowieso schon knapp ist.

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