Reform der Wirtschaftsprüfer*innen?

Was ist aus den Forderungen des Grünbuchs zur Verbesserung der Abschlussprüfung geworden?

24.09.2020
Mehrere Scheren und ein Hammer zerstören Buch mit Aufschrift "Lehren aus der Krise"
  • Nach der Finanzkrise 2008/2009 sah der damalige Binnenmarktkommissar Michel Barnier eine Mitschuld bei den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (WPG).
  • Er formulierte verschiedene Reformvorschläge zur Verbesserung der Qualität von Abschlussprüfungen in einem sogenannten Grünbuch.
  • Die WPG wehrten sich vehement gegen jegliche Veränderungen, so dass am Ende nur einzelne und sehr verwässerte Gesetzesänderungen vorgenommen wurden. 

Im Jahr 2010 wurden von der Europäischen Kommission in einem sogenannten Grünbuch unter dem Titel „Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung: Lehren aus der Krise“ unterschiedliche Vorschläge zur Verbesserung der Qualität von Abschlussprüfungen gemacht. Diese Vorschläge zielten auf unterschiedliche Probleme im System ab:

  1. Anwendung internationaler Prüfungsstandards
    Unternehmen agieren grenzüberschreitend und sind international vernetzt. Da macht es Sinn, Prüfungsstandards international zu harmonisieren. Dieser Prozess begann bereits in den 2000er Jahren mit der Schaffung der International Financial Reporting Standards (IFRS).
  2. Obligatorische Ausschreibung und eine zentrale Regulierungsbehörde
    Damit sich verschiedene WPGs für ein Prüfungsmandat bewerben können, muss dieses öffentlich ausgeschrieben werden. Zusätzlich soll eine unabhängige Regulierungsbehörde schlussendlich über die Vergabe der Mandate und die Höhe der Honorare entscheiden.
  3. Obligatorische externe Rotation
    Damit Prüfer*innen und Unternehmen nicht über Jahre hinweg eine zu enge Beziehung aufbauen, muss nach einer bestimmten Anzahl an Jahren die Prüfungsgesellschaft gewechselt werden. Dies unterscheidet sich von einer internen Rotation. Dabei wird nach einer bestimmten Anzahl an Jahren innerhalb einer Prüfungsgesellschaft der*die Prüfer*in gewechselt.
  4. Einrichtung reiner Prüfungsunternehmen (Pure Audit Firms)
    Um den gravierenden Interessenkonflikt von WPG zu beenden, könnten reine Prüfungsunternehmen für die Abschlussprüfungen von Unternehmen zuständig sein. Sie wären frei von anderen Interessen der Beratungsleistungen.
  5. Trennung von Prüfung und Beratung
    Für die WPGs, die keine reinen Prüfungsunternehmen sind, kann es eine klare Trennung von Prüfungs- und Beratermandaten geben. Eine WPG, die ein Unternehmen prüft, darf dann gleichzeitig keine Beraterleistungen für dieses Unternehmen ausführen.
  6. Joint Audit
    Um einerseits kleinere WPG zu stärken und ein „Vier-Augen-Prinzip“ zu etablieren ergibt es Sinn, dass immer zwei WPG für ein Unternehmen verantwortlich sind. Denn wenn zwei WPG ein Unternehmen prüfen, werden auch WPG außerhalb der Big Four herangezogen werden müssen. Zusätzlich gibt es eine gründlichere Prüfung durch das Vier-Augen-Prinzip.
  7. Einrichtung von Prüfungsausschüssen in den Aufsichtsräten
    Die Aufsichtsrät*innen haben innerhalb des Unternehmens eine Kontrollaufgabe - das sagt ja auch ihr Name. Sie können allerdings mehr Pflichten Richtung aktiver Prüfung erhalten.
  8. Einrichtung bzw. Stärkung einer öffentlichen Aufsicht für Prüfungsgesellschaften
    Da die WPG eine sehr wichtige Rolle in der Wirtschaft einnehmen, sollte es eine Behörde geben, die für diese Gesellschaften zuständig ist und diese beaufsichtigt.

Was wurde aus den Vorschlägen?

Nach jahrelangem Hin und Her mit intensiver Lobbyarbeit sowohl der Industrie- und Unternehmerverbände wie auch der großen internationalen Prüfungsunternehmen und deren Interessenverbänden wurden im Jahr 2014 mit einer Übergangsfrist bis 2016 ein paar verwässerte Ideen umgesetzt. Wirklich traghafte Reformen wurden ausgelassen.

Umgesetzte Reformen

Vollständig umgesetzt und institutionalisiert sind vier Punkte. Es gibt inzwischen internationale vereinheitlichte Prüfungsstandards. Diese sind vor allem wegen den grenzüberschreitenden Geschäften vieler Unternehmen auch wichtig.

Unternehmen müssen das Mandat des*der Abschlussprüfer*in inzwischen auch öffentlich ausschreiben. Das führt zu mehr Transparenz und verschiedene WPG können sich auf Ausschreibungen bewerben. Allerdings hat das nicht zu mehr Diversität geführt. Noch immer werden alle DAX Unternehmen ausschließlich von den Big Four geprüft.

Auch bei dem Punkt der Prüfungsausschüsse hat sich etwas getan. Prüfungsausschüsse gab es in Deutschland schon vor der Abschlussprüferreform 2014, kodifiziert in § 234 HGB und 100 Abs. 5 AktG. Im § 234 HGB und § 100 AktG heißt es praktisch wortgleich zu den Anforderungen: „Die Mitglieder müssen in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem das Unternehmen tätig ist, vertraut sein; die Mehrheit der Mitglieder, darunter der Vorsitzende (des Prüfungsausschusses), muss unabhängig sein und mindestens ein Mitglied muss über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen“. Durch die Abschlussprüferreform 2014 wurde lediglich ergänzt, dass Pflichtverletzungen der Mitglieder des Prüfungsausschusses als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld (§ 334 Abs. 2a HGB) und Freiheitsstrafe bis 1 Jahr (§ 333a HGB) sanktioniert werden. Aufsichtsrät*innen und die dazu gehörenden Prüfungsausschüsse geraten allerdings oft in die Kritik verschiedene Skandal nicht verhindert zu haben.

Der letzte vollständig umgesetzt Punkt ist die Einrichtung bzw. Stärkung einer öffentlichen Aufsicht für Prüfungsgesellschaften. Auf europäischer Ebene wurde 2016 das Committee of European Auditing Oversight Bodies (CEAOB) ins Leben gerufen, auf nationaler Ebene 2014 die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) eingerichtet. Die APAS ist beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle angesiedelt. Damit untersteht die öffentliche Aufsicht der Wirtschaftsprüfer*innen dem Wirtschaftsministerium und nicht der BaFin oder dem Finanzministerium, die für die Überwachung von Banken, Versicherungen und Finanzdienstleistungen zuständig sind.

Keine Gefahr für das Oligopol

Während die oben genannten umgesetzten Reformen wichtig sind, wurden dadurch nicht die fundamentalen Probleme der Prüfungsindustrie angegangen. Nach immenser Lobbyarbeit wurden die wirklich wichtigen Punkte ausgelassen oder nur ganz oberflächlich angegangen.

Die obligatorische Rotation des*der Prüfer*in wurde zwar implementiert, allerdings in einer stumpfen Form, ohne dadurch jedwede Probleme anzugehen. Der Zeitrahmen für die Rotationen wurde erheblich verlängert. Seit 2016 muss eine Pflichtrotation nach 10 Jahren stattfinden. Allerdings zählt diese zeitliche Begrenzung nur für Banken und Versicherungen. Denn alle anderen Unternehmen können nach einer öffentlichen Ausschreibung ihre*n Prüfer*in für weitere 10 Jahre mandatieren. Es kommt also erst nach 20 Jahren zu einer tatsächlichen Pflichtrotation. Wenn nach 10 Jahren Prüfung, ein Unternehmen sich für ein Join-Audit entscheidet, also eine zweite unabhängige WPG zusätzlich beauftragt, können die zwei WPG für weitere 14 Jahre prüfen. Es käme dann also erst nach 24 Jahren zu einer Pflichtrotation. In dem Grünbuch war von erheblich kürzeren Prüfungsmandaten die Idee. Die derzeitige Pflichtrotation birgt keine Gefahr für die Marktdominanz der Big Four.

Ein weiterer halbherzig umgesetzter Aspekt ist das Joint Audit. Die Idee war, dass zwei unabhängige WPG ein Unternehmen prüfen müssen. Das hätte kleineren WPG einen Vorteil verschafft und ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt. In Deutschland ist das Joint Audit eine Option, die nicht genutzt wird.

Der Kern des Problems verfehlt

Die wichtigsten Reformideen wurden gänzlich beiseitegelassen. Die zwei problematischsten Aspekte der Prüfungsindustrie der Big Four sind erstens die finanzielle Abhängigkeit der Prüfer*innen von dem zu prüfenden Unternehmen und zweitens der Interessenkonflikt aus Beratungs- und Prüfungsleistungen einer Gesellschaft gegenüber eines*r Mandanten*in.

Beide Aspekte bestehen weiterhin uneingeschränkt fort. Die finanzielle Abhängigkeit könnte durch eine zentrale Regulierungsbehörde beendet werden, die die Mandate verteilt. Eine abgewandelte Idee wäre, eine Behörde zwischenzuschalten, die die Mandate vergibt. Die WPG wären dann dieser Behörde anstatt den zu prüfenden Unternehmen verpflichtet.

Um den Interessenkonflikt zu lösen, könnten reine Prüfungsunternehmen aufgebaut werden, die vor allem für systemrelevante Unternehmen eingesetzt werden könnten. Für alle sonstigen WPG könnten bestimmte Leistungen wie die Steuerberatung generell verboten werden.

Fazit

Die Umsetzung des Grünbuchs war eine Farce. Die nicht umgesetzten Vorschläge bilden ein wichtiges Fundament, um das System wirklich zu reformieren. Es gibt keine zentrale Regulierungsbehörde mit Entscheidungshoheit zu Mandatsvergabe und Honorar, keine wirkliche Trennung von Prüfung und Beratung, geschweige reiner Prüfungsunternehmen. Die Marktdominanz der Big Four wurde keineswegs gebrochen, wie es ein verpflichtendes Joint Audit teilweise verwirklicht hätte. Die Reformvorschläge bleiben somit heute so aktuell wie damals.