Interview mit Finanzwende-Fellow Achim Grunicke

Fellow Achim Grunicke
14.02.2022
Achim Grunicke

Achim Grunicke war sein ganzes Berufsleben im Bankgeschäft tätig. Sein Schwerpunkt lag zuletzt im Risikomanagement und Risikocontrolling. Er ist Experte für folgende Themen: Analyse und Management von Kreditrisiken, Portfoliorisiken und Länderrisiken; Risikomanagement von strukturierten Finanzierungen wie Verbriefungen; Entwicklung von Modellen zur Messung und Bewertung von Risiken. Mit diesem Expertenwissen unterstützt Achim Grunicke seit Ende 2021 die Bürgerbewegung Finanzwende.

1 | Welcher Themenbereich am Finanzmarkt liegt Ihnen besonders am Herzen?

Mir sind vor allem drei Themenkomplexe am Finanzmarkt besonders wichtig. Das ist zum einen die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Finanzierung. Denn eine CO2-neutrale Zukunft kann es nur geben, wenn die Finanzmärkte diesen Prozess mittragen. Davon sind wir gerade leider noch sehr weit entfernt und es muss politisch Druck aufgebaut werden, um diesen Prozess voranzubringen.

Außerdem liegt mir ein krisenfestes Finanzsystem am Herzen. Momentan haben wir ein System, das immer wieder in Krisen gerät – das habe ich in meinem Berufsleben hautnah erlebt. Es ist von großer Bedeutung, hier Stabilität zu schaffen. Das ist natürlich kein einfacher Prozess, aber das ist zwingend notwendig.

Für ein stabiles Finanzsystem brauchen wir zudem eine umfassendere Regulierung. Die Teile des Finanzsystems, die nicht oder zu wenig reguliert sind, haben inzwischen ein enormes Ausmaß angenommen. Was nützt es am Ende, wenn wir auf der einen Seite ein stark reguliertes Finanzsystem haben, das möglicherweise stabiler wird, aber gleichzeitig auch ein System von Schattenbanken existiert, das die Regulierung wieder aushebelt.  

2 | Was ist Ihr Spezialgebiet? 

In den letzten 20 Jahren habe ich mich im Wesentlichen mit den unterschiedlichen Risiken im Bankgeschäft befasst: Kreditrisiken, Marktrisiken, operationelle Risiken, aber auch solche Risiken, die sich aus der Entwicklung von Modellen ergeben. Zuletzt war ich in der Revision tätig, was ja im Prinzip die interne Bankenaufsicht ist. So war es meine Aufgabe, im Rahmen der Prüfung von Prozessen Schwächen im Risikomanagement aufzudecken und dafür Sorge zu tragen, dass diese behoben werden.

Mit meinem Expertenwissen decke ich somit viele Themen im Risikomanagement und -controlling ab, allerdings mit unterschiedlicher Detailkenntnis. Dennoch habe ich einen guten Überblick und kenne mich sowohl im klassischen Bankgeschäft als auch im Investmentbanking aus.

3 | Warum engagieren Sie sich mit diesem Expertenwissen bei Finanzwende?

In meinem langen Berufsleben habe ich sehr viel gesehen und erlebt – gerade, was die Exzesse an den Finanzmärkten angeht. Ich konnte immer wieder beobachten, dass zwischen den Banken eine Art Überbietungswettbewerb stattfindet. Dieser führt dazu, dass Zugeständnisse gemacht werden, die am Ende das ganze System bedrohen können.

Im klassischen Kreditgeschäft werden zum Beispiel bei Sicherheiten oder Nebenabreden im Laufe der Zeit immer mehr Zugeständnisse gemacht, um mehr Geschäft zu bekommen. Ein anderes Beispiel sind die komplexen Wiederverbriefungen, die am Ende Auslöser der Subprime-Krise waren. Letztendlich wurden in diesem Fall Strukturen geschaffen, deren Risiken nicht mehr transparent waren.

Ich habe das alles miterlebt und das wirklich Ärgerliche ist: Gerade im Finanzsystem scheint man oft nichts aus den Fehlern zu lernen. Diese Abfolge von Ereignissen wiederholt sich häufig alle paar Jahre. Es kommt zum Crash, man besinnt sich und dann weicht man alles im Laufe der Zeit wieder auf bis zum nächsten Crash.

Als ich von der Bürgerbewegung Finanzwende erfahren habe, habe ich mich sehr gefreut. Denn indem ich mein Wissen einbringe, kann ich persönlich etwas dazu beitragen, dieses Finanzsystem besser zu machen.

Der gute Ruf, den die Bürgerbewegung Finanzwende genießt, motiviert mich zusätzlich. Ich denke, über die mediale Wahrnehmung der Bewegung kann man wirklich etwas bewegen: Es geht hier nicht darum, im stillen Kämmerlein schöne Texte zu schreiben. Die Analysten und Anregungen von Finanzwende werden von der Öffentlichkeit wahrgenommen und bewegen etwas. Deshalb engagiere ich mich sehr gern für die Finanzwende.

4 | Zum Schluss noch ein kurzer Blick in die Zukunft: Wie sieht der Finanzmarkt nach einer erfolgreichen Finanzwende aus?

Ich habe kein festes Konzept entwickelt, wie der optimale Finanzmarkt auszusehen hat. Das Finanzsystem in seiner Ganzheit ist auch viel zu komplex, als dass ich ein solches entwickeln könnte. Aber ich sehe einige Schwachstellen, die adressiert werden sollten: So muss das Finanzsystem insgesamt stabiler werden. Eine solche Stabilität erreicht man auch – aber nicht nur – durch Regulierung.

Außerdem muss die Komplexität von Finanzprodukten reduziert werden. Im Investmentbanking habe ich die Erfahrung gemacht, dass Finanzprodukte, die teilweise von Mathematikerinnen und Physikern entwickelt werden, nur noch von wenigen Einzelnen verstanden werden – nicht jedoch von vielen Anlegerinnen, die sie am Ende erwerben.

Der Finanzmarkt muss transparenter werden, gerade im Bereich der Schattenbanken. Außerdem sollte das Finanzsystem in erster Linie der Realwirtschaft dienen. Auch wenn es in der Praxis häufig recht schwierig ist, die Realwirtschaft von der Spekulation abzugrenzen. Ein besonderes Anliegen ist mir aber die eingangs erwähnte Transformation des Finanzmarkts hin zu mehr Nachhaltigkeit. Das Finanzsystem muss diese Transformation unterstützen, damit sie schneller gelingen kann.

Letztlich muss das Finanzsystem meiner Meinung nach auch eine größere Rolle in der individuellen Altersvorsorge spielen. Mit einer zunehmend älteren Bevölkerung wird das unabdingbar und die Rentensysteme werden dahingehend erweitert werden müssen. Aber die Voraussetzung dafür ist, dass das Finanzsystem stabiler, weniger komplex und transparenter ist als heute.