Corona und die Krise

Corona trifft auf ein instabiles Finanzsystem.

16.03.2020
Gerhard Schick

Gerhard ist promovierter Volkswirt, ehemaliges Mitglied des Bundestages, Mit-Initiator des Vereins und dessen geschäftsführender Vorstand. Er hat sein Bundestagsmandat für die Arbeit in der Nichtregierungsorganisation zum 31.12.2018 niedergelegt. Hier finden Sie seinen Lebenslauf, ein Pressefoto und ein alternatives Pressefoto.

Ein 1-Euro-Stück mit Mundschutz und Augen vor dem Hintergrund eines Aktienkurses.

Die größte Herausforderung durch Corona betrifft das Gesundheitssystem. Zu Recht wird mit drastischen Maßnahmen versucht, die Ausbreitung zu verzögern und die Sterberaten niedrig zu halten. Doch inzwischen hat der Virus den Finanzmarkt erreicht. Die Kursverluste an den Börsen sind dramatisch und haben einen sehr nachvollziehbaren Grund. Die Krankheit und die zu ihrer Eindämmung oder Verlangsamung notwendigen Krisenmaßnahmen nehmen unser Wirtschaftssystem doppelt in die Zange: bei der Nachfrage, wenn Reisen und Veranstaltungen abgesagt werden und Menschen den öffentlichen Raum meiden, und beim Angebot, wenn Lieferketten durchbrochen werden oder Mitarbeiter krankheitsbedingt zu Hause bleiben. Das gefährdet die Fähigkeit von Unternehmen und Haushalten, ihre Kredite zu bedienen. Und so schlägt diese Krise auf das Finanzsystem durch und legt die Versäumnisse der letzten Jahre schonungslos offen. Denn Corona trifft auf ein instabiles Finanzsystem. 

Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren Aktien zurückgekauft und das zum Teil mit erhöhter Schuldenaufnahme finanziert. Zu Beginn der jetzigen Krisenphase haben sie deshalb einen schwachen Eigenkapitalpuffer und können weniger lang durchhalten, wenn Aufträge wegbrechen und Mitarbeiter ausfallen. US-amerikanische Konsumenten haben einen enormen Berg an Autokrediten aufgetürmt, der gefährlich an die Immobilienkredite von 2008 erinnert. Schon vor Ausbruch von Corona gab es hohe Ausfallraten. Wenn jetzt Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit droht oder nicht krankenversicherte Haushalte Arztkosten zahlen müssen, ist ein deutlicher Anstieg der Kreditausfälle wahrscheinlich. All das schlägt auf Banken durch, die ihrerseits nach wie vor schwach kapitalisiert sind oder teilweise selbst in den guten Zeiten der letzten Jahre schwache Erträge hatten.

Die größte wirtschaftspolitische Gefahr in Europa dürfte in einem Wiederaufflammen der Eurokrise liegen. Hier hat sich das Virus gerade das hochverschuldete Italien als Haupteinfallstor ausgesucht. Zentralbank und Aufsichtsbehörden haben auf diese Gefahren mit ersten Maßnahmen reagiert. Die EZB weitet die Anleihekäufe aus und stärkt die langfristige Refinanzierung von Banken, damit sie die Kreditvergabe an Unternehmen aufrechterhalten. Ich gehe davon aus, dass das alles erst der Anfang ist und weitere Maßnahmen nötig werden.

Die Fehler aus den letzten Bankenrettungen sollten vermieden werden.

Der wichtigste Fehler in Europa damals war, dass man die Bankenkrise nicht, wie von einigen Mitgliedstaaten vorgeschlagen, gemeinsam löste. Jedes Land baute 2008 seine eigenen Bankenrettungsfonds. Das legte die Grundlage für die spätere Eurokrise, als mit Ausnahme von Griechenland alle Rettungsprogramme nur wegen Bankenrettungen nötig wurden. Die Euro-Krise konnte erst überwunden werden, als es eine gemeinsame europäische Antwort gab, nämlich 2012 durch EZB-Chef Mario Draghi. So national die gesundheitspolitischen Antworten auf Corona möglicherweise teilweise sein müssen: Eine umfassende Wirtschaftskrise kann in Währungsunion und Binnenmarkt nur gemeinsam sinnvoll bekämpft werden. Nur so kann ein neues Aufflammen der Eurokrise vermieden werden.

Zweitens wurden in der letzten Krise viele Hilfen mit zu wenigen Auflagen verbunden. Die vom Steuerzahler gewährten Hilfen flossen weiter munter in überhöhte Boni, Gewinnausschüttungen für Aktionäre und die Bedienung von Nachrangkapital. Nun fordern beispielsweise die Banken, die Erhöhung des Eigenkapitalpuffers auszusetzen. Bevor eine solche Hilfe gewährt wird sollte sichergestellt werden, dass sie auch wirklich dem Zweck, der Stärkung des Eigenkapitals, dient. Die zusätzliche Flexibilität sollte nicht genutzt werden dürfen, um Boni weiterzuzahlen oder Gewinne auszuschütten. Auf freundliche Zusagen sollte man sich dabei nicht verlassen: Während Bankvorstände nach 2008 die Rückkehr zum „ehrbaren Kaufmann“ versprachen, wirkten ihre Institute gleichzeitig am größten Steuerraub am Finanzmarkt mit, den kriminellen CumEx-Geschäften.

Drittens war die Verteilungswirkung der Krisenmaßnahmen extrem negativ. 2008 wurde es versäumt, parallel die Finanzierung der großen Rettungsmaßnahmen zu beschließen. Allein in Deutschland wurden seit 2007 über 70 Milliarden Euro an Steuergeldern nur für die direkten Maßnahmen der Bankenrettungen ausgegeben. Als es jedoch darum ging, mit einer Finanztransaktionssteuer einen Teil der Krisenkosten wieder zurückzuholen, war der Widerstand aus der Finanzbranche so groß, dass das Projekt bis heute nicht realisiert ist. In vielen europäischen Staaten mussten Menschen mit kleinen Einkommen die Kosten der Finanzkrise tragen, während die Krisenverursache in den Banken weiter Millionengehälter kassierten. So richtig es ist, in einer Krise auch große Summen für eine Stabilisierung des Systems zu mobilisieren und unbürokratisch zu agieren, so wichtig ist es, von vornherein auch festzulegen, wie nach Ende der Krise eine faire Kostenverteilung stattfindet.

Der Gastbeitrag erschien zuerst am 16.03.2020 auf WELT Online unter folgendem Link.