Die Reform der Finanzaufsicht ist ein Reförmchen

01.12.2020
Michael Findeisen

Michael Findeisen war über viele Jahre als Referatsleiter im Bereich Geldwäsche und Zahlungsverkehr im Bundesministerium der Finanzen (BMF) tätig. Vor 2000 war er in der Bankenaufsicht (BAKred, jetzt BaFin) ebenfalls als Referatsleiter für Grundsatzfragen der Geldwäschebekämpfung zuständig. Er ist ein Experte auf den Gebieten Finanzkriminalität bzw. Organisierte Kriminalität und Finanzmarktregulierung. Warum Michael Findeisen sich als Finanzwende-Fellow engagiert, erfahren Sie in diesem Interview

  • Die Bundesregierung will Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal ziehen. Doch das geplante Gesetz ist halbherzig.
  • Weder bei der Finanzaufsicht noch bei den privaten Aktiengeschäften der Bafin-Mitarbeiter werden die Probleme richtig angepackt

Man sollte denken, auf einen Skandal der Größe Wirecards würde die Bundesregierung mit wirklich starken Reformen antworten. Doch der bisherige Stand des Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetzes, das Finanzminister Olaf Scholz und Justizministerin Christine Lambrecht einen ersten Anlass für Konsequenzen aus dem Skandal gibt, umfasst zu viele halbherzige Regelungsvorschläge. Dies gilt nicht nur für die Corporate Governance oder die Pflichten der Abschlussprüfer, sondern auch für die Aufgaben der Finanzaufsicht durch die Bafin.

Natürlich muss man der Großen Koalition zuerkennen, dass sie nach dem Wirecard-Skandal noch in dieser Legislaturperiode umsetzen will, was sie gemeinsam umsetzen kann. Klar ist aber auch, dass dieser gemeinsame Nenner bisher sehr klein ist. Offenbar bleiben viele große Baustellen bestehen.

Aber selbst wenn man sich nur auf die Themen fokussiert, die der Referentenentwurf zum Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz bezüglich der Finanzaufsicht adressiert, ist das Fazit ernüchternd. So soll das Gesetz insbesondere zwei sehr offensichtliche Schwachstellen der bisherigen Regelungen beheben: die Vorgaben zu Wertpapiergeschäften der Bafin-Mitarbeiter und die Zweistufigkeit der Bilanzkontrolle. Beide Aspekte würden aber bei Umsetzung des bisherigen Entwurfs nur unzureichend geregelt werden.

Mit der Bilanzkontrolle war ein für die Aufsicht so wichtiges Erkenntnisinstrument bisher an der falschen Stelle angesiedelt. Für Fälle wie Wirecard hat sich eine rein privatrechtliche Bilanzkontrolle – zumindest auf der ersten Stufe des sogenannten Enforcement-Verfahrens – als ungeeignet erwiesen. Warnungen gingen in dem System unter, und die Prüfprozesse dauerten viel zu lang. Interessenkonflikte und das Verständnis privater Wirtschaftsprüfer von der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung verwässerten zusätzlich dieses Erkenntnisinstrument. Und niemand drängte bei einer Zeitverzögerung auf Fortschritte. Bisher diente die Zweistufigkeit der Bilanzkontrolle also vor allem dem Hin- und Herschieben von Verantwortung zwischen der Finanzaufsichtsbehörde Bafin und der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung.

Dem Staat fehlt Personal mit Prüferexpertise

Nun soll das System laut Gesetzentwurf grundlegend „zugunsten eines stärker staatlich-hoheitlich geprägten Verfahrens“ umgebaut werden. Die Bafin soll gegenüber Kapitalmarktunternehmen insbesondere bei dem Verdacht des Bilanzbetrugs sofort und mit eigenen Ermittlungskompetenzen auftreten können. Zu einem Bilanzkontrollverfahren aus einer Hand bei einer staatlichen Stelle soll es jedoch doch nicht kommen. Dabei hatten Äußerungen des Finanzministeriums im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Wirecard-Skandals dies bisher nahegelegt.

Damit wird auch bei der Bilanzprüfung ein Geburtsfehler des Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel und des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen bei der Zusammenlegung in der Bafin ab dem 1. Mai 2002 fortgeschrieben: der Verzicht der Bafin auf ein eigenständiges staatliches Prüfungswesen und das „Outsourcing“ dieses Erkenntnisinstruments auf private Wirtschaftsprüfer, die ohnehin schon von den geprüften Unternehmen mit der Jahresabschlussprüfung beauftragt sind. Übrigens ein Unikum bei der Finanzmarktaufsicht in den EU-Staaten.

Es ist dringend geboten, dass auch Bilanzprüfungen ebenso wie Sonderprüfungen und nicht nur das begleitende Durchsetzen von Maßnahmen durch Mitarbeiter einer öffentlichen Institution wie der Bafin erfolgen. In dem Zusammenhang drängt sich auch die Frage auf, wie selbst dieses „verstärkte Enforcement“ von der Bafin adäquat und zielgenau eingesetzt werden kann, wenn die Mitarbeiter der Behörde bisher kein Know-how zum Kerngeschäft der Bilanzkontrolle besitzen und diese Kompetenz auch nicht in Zukunft aufgebaut werden soll. Zu einer Bilanzkontrolle mit Tiefenschärfe führt der aktuelle Gesetzentwurf jedenfalls nicht. Der Entwurf sieht zwar vor, dass auch die Bafin Berichte und Abschlüsse prüfen kann. Niemand sollte jedoch glauben, dass dies zu einem substantiellen Kurswechsel oder gar zu einem „alternativen Prüfungswesen“ als Korrektiv und Ergänzung zur Tätigkeit der privaten Jahresabschlussprüfer führen soll.

Vielmehr besteht auch hier der verfehlte Ansatz fort, dass die Bafin wegen des „Outsourcing“ dieser Prüferaufgabe an private Wirtschaftsprüfer kein qualifiziertes Personal mit Prüferexpertise und kriminalistischem Know-how einstellen wird und Prüferexpertise bei der Aufsicht auch in Zukunft nicht aufgebaut werden soll.

In der Praxis wird die Bafin diese Prüfungstätigkeiten, was der Referentenentwurf zulässt, weiterhin auf private Wirtschaftsprüfer – dann außerhalb der Deutschen Prüfungsstelle – outsourcen. Die alten Interessenkollisionen bestünden fort.

Privatgeschäfte gefährden Integrität

Aber nicht nur diese Thematik wird von der Bundesregierung halbherzig angegangen. Auch bei den Wertpapiergeschäften der Mitarbeiter bleibt der Referentenentwurf hinter dem Notwendigen zurück. Mehrere Dutzend Bafin-Mitarbeiter handelten mit Wertpapieren von Wirecard, ja manche zockten regelgerecht. Unter diesen Personen befanden sich auch einige aus der Abteilung für Wertpapieraufsicht, die unter anderem für die Verfolgung von Marktmanipulation sowie die Überwachung von Leerverkäufen und Insiderhandel zuständig ist. Man hätte denken können, dass diese Geschäfte bei einer staatlichen Aufsicht schon von Vornherein untersagt sind. Nur so ließe sich jedem Verdacht eines Insiderhandels oder einer Interessenkollision vorbeugen. Aber die Geschäfte waren bislang nicht untersagt. Übrigens auch nicht im Bundesministerium der Finanzen, das die Rechts- und Fachaufsicht über die Bafin hat. Aktuell werden die Wirecard-Geschäfte der Bafin-Beschäftigten nochmals untersucht, leider allerdings nur durch eine interne Prüfung.

Diese Thematik will das Finanzministerium nun regulatorisch angehen. Dazu will es sich am Verhaltenskodex der Deutschen Bundesbank orientieren. Doch dies ist zu kurz gesprungen. Die Mitarbeiter der Bafin erhalten im Rahmen der laufenden Aufsicht eine Vielzahl konkreter interner Informationen zu den beaufsichtigten Unternehmen. Diese Informationen übersteigen die der Deutschen Bundesbank und deren Mitarbeitern bei weitem. So liegen der Bundesbank im Rahmen der Marktaufsicht generierte Daten beispielsweise nicht vor, weil sie in die Marktaufsicht nicht eingebunden ist. Anstelle einer Spiegelung des Verhaltenskodexes der Deutschen Bundesbank sollten vielmehr strengere Vorgaben die Regel sein, die sich beispielsweise am Kodex der Europäischen Kommission orientieren. So wären nicht nur bestimmte Finanzinstrumente, sondern alle Produkte und Formen des Interessenkonflikts zwischen privaten Investments von Mitarbeitern und aufsichtlicher Tätigkeit in allen Aufsichtsbereichen erfasst.

Die Integrität einer staatlichen Aufsichtsbehörde sollte nicht durch die Privatgeschäfte einzelner Mitarbeiter in Gefahr gebracht werden können. Dieser Missstand muss behoben, und deshalb muss die Bundesregierung den Gesetzentwurf auch an dieser Stelle nachschärfen. Im Übrigen wäre es angebracht, auch schärfere Verhaltensregeln für andere Ministerien und Behörden einzuführen, bevor nach der Bafin die nächste Behörde zu Recht im Kreuzfeuer der Öffentlichkeit steht. Bei der Financial Intelligence Unit, an die Finanzinstitute ihre Geldwäscheverdachtsmeldungen übermitteln, mangelt es beispielsweise offenbar sogar an einer Anzeigepflicht und damit einer internen Kontrollstruktur getätigter Geschäfte.

Wenn die Bundesregierung schon bei diesen offensichtlichen und regulatorisch weniger komplexen Problemen bisher keine Lösung findet, dann lässt dies für die härteren Bretter wie der Neuaufstellung der Bafin und durchgreifenden Reformen bei den Wirtschaftsprüfern nichts Gutes erahnen.

Michael Findeisen ist Fellow der Bürgerbewegung Finanzwende und hat federführend deren Stellungnahme zum Entwurf des Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetzes für den Bundestag verfasst. Dieser Beitrag erschien am 28.10.2020 zunächst bei Capital online.

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