Finanzaufsicht – was jetzt endlich getan werden muss Positionspapier zur Reform der BaFin 20.10.2020 Schon vor dem Wirecard-Skandal hat Finanzwende dokumentiert, dass die Finanzaufsicht in Deutschland nicht gut funktioniert und konkrete Verbesserungsvorschläge vorgelegt. Nun sind wir gebeten worden, im Finanzministerium unsere Vorschläge zu einer Verbesserung der Aufsichtsstruktur und –arbeit einzubringen. Mit diesem Positionspapier machen wir transparent, für was wir uns dabei einsetzen. Natürlich sind darüber hinaus Verbesserungen in weiteren Bereichen nötig – bei den Wirtschaftsprüfern, im Verbraucherschutzrecht, etc. Hier konzentrieren wir uns auf die Punkte, die direkt mit der Arbeit der Aufsicht selbst zu tun haben. 1. Klare Zuständigkeiten A. Geldwäsche-Aufsicht: Lücken schließen: Der Fall Wirecard hat gezeigt, wie schädlich unklare Zuständigkeiten in der Geldwäsche-Aufsicht sind. In diesem Fall bestand die Unklarheit zwischen der Finanzaufsicht des Bundes und der niederbayerischen Bezirksregierung. Die Bundesländer haben schon vor Längerem gefordert, die Aufsicht beim Bund zu zentralisieren. Die Neuaufstellung der Finanzaufsicht sollte zum Anlass genommen werden, eine bundeseinheitliche, lückenlose Geldwäsche-Aufsicht zu etablieren. B. Börsenaufsicht zentralisieren: Noch immer ist die Aufsicht über die Börsen in Deutschland Ländersache. Da es pro Bundesland maximal einen Börsenstandort gibt, führt das zu einer gefährlichen Nähe zwischen Aufsicht und Beaufsichtigten. Außerdem erschwert die Länderzuständigkeit eine sinnvolle europäische Zusammenarbeit, weil die Landesbehörden nicht in die föderative Struktur des europäischen Aufsichtssystems eingebunden sind. Die BaFin hingegen ist mit der ESMA vernetzt. Die Neuaufstellung der Finanzaufsicht muss daher einhergehen mit einer Zentralisierung der Börsenaufsicht bei der BaFin. C. Föderative Aufsichtsstruktur in Europa: Die Aufsicht über alle großen, international tätigen Finanzunternehmen sollte künftig auf europäische Ebene erfolgen, egal welche konkreten Dienstleistungen sie anbieten. So wie bei den Banken ist es auch bei anderen Finanzunternehmen (also Versicherungen, Zahlungsdienstleistern wie Wirecard, etc.) sinnvoll, international tätige Großunternehmen europäisch gemeinsam zu beaufsichtigen, während national oder regional tätige und kleinere Unternehmen von der nationalen Aufsichtsbehörde beaufsichtigt werden. Lücken bei der Beaufsichtigung von Finanzunternehmen, die nicht in eine der traditionellen Aufsichtskategorien Bank oder Versicherung fallen, müssen geschlossen werden. D. Klare Zuständigkeiten bei der Bilanzkontrolle: Die bisherige Struktur der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung als privater Verein muss überwunden werden. Zu groß ist hier der Einfluß der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und zu unklar, wer eigentlich die Verantwortung trägt. Es braucht ein hoheitlich geprägtes Bilanzkontrollverfahren. Außerdem braucht es mehr Transparenz bezüglich der Überprüfungen und ihrer Ergebnisse. 2. Öffentliche Kontrolle – Wir wollen wissen, was da los ist! Die BaFin sollte künftig regelmäßig und öffentlich Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen. Sie darf sich nicht mehr hinter exzessiven Geheimhaltungsvorschriften oder dem BMF verstecken. Öffentliche Transparenz würde dazu beitragen, verloren gegangenes Vertrauen in die Finanzaufsicht wieder zurückzugewinnen – und den überfälligen Kulturwandel im Haus zu begleiten. A. Bessere Information der Öffentlichkeit: Bisher kommuniziert die Finanzaufsicht vor allem zur Branche und zu Experten. Nötig wäre zusätzlich eine Rechenschaft gegenüber Bürgerinnen und Bürgern in Form regelmäßiger allgemeinverständlicher Informationen, die auch die Erreichung der Aufsichtsziele dokumentieren. Die britische Aufsicht FCA etwa veröffentlicht konkrete Leistungsindikatoren zur Qualität ihrer Arbeit, zum Beispiel wie viele Fälle in welchem Zeitraum bearbeitet wurden und welche Schwankungen sich gegenüber den Vorjahren ergeben. Auch die Arbeit des Verbraucherbeirats sollte besser öffentlich nachvollziehbar sein, etwa, ob seine Vorschläge umgesetzt wurden oder nicht. B. Zusätzliche externe Kontrolle: Die veröffentlichbaren Informationen reichen für eine Einschätzung der Qualität der Aufsichtsarbeit und der Prozesse nicht aus. Zusätzlich braucht es Prüfungen von ExpertInnen, die auch auf die internen Prozesse und geheimhaltungsbedürftige Vorgänge schauen können. Bisher gibt es die so genannten Financial Sector Assessments (FSA), mit denen der der Internationale Währungsfonds alle 5 Jahre die Aufsichtsbehörden in Bezug auf die Aufsichtsqualität überprüft. Sie reichen aber nicht aus. Zusätzlich sollte es regelmäßige Überprüfungen der BaFin-Arbeit in Bezug auf Prozesse, Compliance etc. durch eine unabhängige nationale Kontrollinstanz geben, zum Beispiel den Bundesrechnungshof. Bei größeren Finanzskandalen sollte das Bundesfinanzministerium routinemäßig eine Sonderprüfung veranlassen, um Schwächen der Aufsichtsbehörde im Sinne einer lernenden Organisation aufzuarbeiten. Andere Ländern haben das nach der Bankenkrise 2008 gemacht – Deutschland nicht. C. Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament: Die BaFin-Spitze sollte zur Verbesserung der Transparenz regelmäßig in öffentlichen Anhörungen im Finanzausschuss des Bundestags über ihre Tätigkeit berichten und sich den kritischen Fragen der Abgeordneten stellen. Diese können dabei auf die Prüfergebnisse (siehe 2.) zurückgreifen. Außerdem sollten sich KandidatInnen für Leitungspositionen einem öffentlichen Hearing im Finanzausschuss stellen müssen. D. Beschwerdemanagement einrichten: in Großbritannien können sich Verbraucher über die Arbeit der FCA bei einer unabhängigen Stelle beschweren. Fehlverhalten der Aufsicht oder schlichte Untätigkeit wird damit dokumentiert, eine unabhängige Stelle kümmert sich darum, dass solche Beschwerden Konsequenzen haben. Solches braucht es auch in Deutschland, um die Arbeit der Behörden kontinuierlich zu verbessern und an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger auszurichten. 3. Finanzkriminalität besser bekämpfen! Die BaFin ist bisher für den Kampf gegen Finanzkriminalität überhaupt nicht aufgestellt. A. Qualifiziertes Personal im Bereich Kriminalitätsbekämpfung: Die BaFin braucht mehr Mitarbeiterinnen mit polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Expertise, bis hinauf in die Führungsspitze. Das impliziert auch eine Personalerhöhung. Die vorgeschlagene „schnelle Eingreiftruppe“ kann dafür ein erster Schritt sein. B. Ermittlungspflicht – ein Auftrag allein reicht nicht: Die BaFin muss mit einer Pflicht zu Ermittlungen ausgestattet werden, um die Integrität des Finanzmarktes wirksam zu schützen. Dafür muss die BaFin eine aktive Rolle einnehmen. Sie soll die Staatsanwaltschaft nicht nur informieren, sondern aktiv unterstützen – zum Beispiel bei der Beweissicherung. C. Sanktionsmöglichkeiten wie Bußgelder besser nutzen: Die Aufsicht sollte ihre gesetzlichen Sanktionsmöglichkeiten bei Verfehlungen von Unternehmen auch wirklich einsetzen. Insgesamt sind die verhängten Sanktionen bisher häufig nicht geeignet, Fehlverhalten abzuschrecken. Auch werden deutliche Unterschiede zwischen den Bereich erkennbar: Anders als bei der Wertpapieraufsicht werden bei Banken und Versicherungen bislang deutlich weniger oder fast keine Bußgelder wegen Verstößen gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften verhängt. 4. Kompetenz stärken A. Die BaFin darf ihre Kernaufgaben nicht an Wirtschaftsprüfer auslagern. Die Finanzaufsicht sollte Prüfaufgaben künftig nicht mehr extern an Wirtschaftsprüfer auslagern, sondern in solchen Fällen ausschließlich mit eigenem Personal (oder über die Bundesbank) prüfen. Das erlaubt ihr einen direkten Blick in die Unternehmen – und baut langfristig Kompetenz in der Aufsichtsbehörde auf. Interessenkonflikte bei Wirtschaftsprüfern werden vermieden. B. Informationen aus der Branche nutzen: Durch ihr miserables Agieren im Fall Wirecard ist das Vertrauen in die Finanzaufsicht auch bei potentiellen Hinweisgebern (Whistleblowern) erschüttert. In vielen Fällen kann aber nur mit deren Hilfe kriminelles Handeln oder gravierendes Fehlverhalten aufgedeckt werden. Nun muss in Deutschland systematisch Vertrauen dahingehend aufgebaut werden, dass die Behörden Hinweise nutzen wollen und Hinweisgeber schützen. Dazu sollte die Bundesregierung zum einen sichtbar bisherige Hinweisgeber unterstützen. Beispielsweise gilt das für den CumEx-Hinweisgeber Eckart Seith, dem Deutschland bisher die Unterstützung gegenüber der Schweizer Justiz verweigert. Außerdem sollte die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie der Europäischen Union genutzt werden, um auch bezüglich deutschen Rechts Whistleblower umfassend zu schützen und gesetzlich zu regeln, dass Hinweisgeber (wie in den USA) an den durch ihre Hinweise eingenommenen Strafzahlungen beteiligt werden. 5. Verbraucherschutz – Kunden und Anleger besser schützen Immer wieder, bei P&R, bei PIM Gold, aber auch beim Wirecard-Skandal, sind Kleinanleger in Deutschland die Leidtragenden – obwohl die BaFin eigentlich für Verbraucherschutz zuständig ist. Es braucht endlich eine Finanzaufsicht, die sich wirklich dem Schutz der Verbraucher verpflichtet fühlt und rechtzeitig aktiv wird, um Schaden von Anlegerinnen abzuwenden. A. Stellung des Verbraucherschutzes stärken: Es braucht bei der BaFin mehr Stellen im Verbraucherschutz – und vor allem eine eigenständige Einheit für diese Aufgabe. Dazu gehört auch eine Exekutivdirektion. B. Verbraucherschädigung transparent machen: Bisher erfahren Verbraucher nicht, wenn die BaFin gegen Unternehmen vorgeht oder langfristig einer besonderer Aufsicht unterzieht. Das sollte sich ändern, damit Verbraucher gewarnt sind. Der bisherige Verzicht auf die Information der Öffentlichkeit bildet einen fatal wirkenden Nährboden für Misstrauen gegenüber der gesamten Branche und z. B. den Verzicht auf –eigentlich unbedingt gebotenes - Sparen und Vorsorgen innerhalb der Bevölkerung. C. Aktives und präventives Eingreifen zugunsten der Verbraucher: Bisher macht die BaFin von ihren Eingriffsrechten kaum Gebrauch. Bei Restschuldversicherungen hat die BaFin kürzlich zum zweiten Mal eine Studie vorgelegt und enorme Provisionen ermittelt. Die Ergebnisse werden veröffentlicht, aber irritierender Weise passiert nichts. Das gilt auch bei Anlagebetrug: Die BaFin muss präventiv tätig sein bei Betrugsfällen, um Anleger vor Verlusten zu schützen, ein nachträgliches Aufklären hilft den Betroffenen wenig, wenn das Geld weg ist. 6. Kulturwandel – vom Zuschauer zum Macher Bislang agiert die BaFin oft zu mutlos, zu langsam und zu formalistisch. Sie sollte vorausschauender und frühzeitiger handeln. Sie versteht sich nicht als Eingreiftruppe, soll aber die Integrität des deutschen Finanzmarktes sichern. Für einen echten Neustart braucht es daher einen Kulturwandel. A. Vorbildliche Compliance-Regeln: Dass BaFin-Mitarbeiter mit Wirecard spekulierten, obwohl ihr Haus für die Aufsicht über das Unternehmen zuständig ist, zeigt, dass die Compliance-Regeln und ihre Durchsetzung dringend verbessert werden müssen. B. Einflussnahme verhindern: Beaufsichtigte Unternehmen dürfen keine Chance der Beeinflussung bekommen. Es braucht regelmäßige Rotation der zuständigen Prüfer, etwa alle 5 Jahre. Sonst entsteht eine zu große Nähe zwischen Aufsehern und Beaufsichtigten. C. Ein Neuanfang: Die BaFin-Spitze – namentlich Chef Felix Hufeld und Vize Elisabeth Roegele - ist wegen Fehlern und einer Reihe von Finanzskandalen nicht mehr haltbar. Sie muss gehen. Solange die alte Führungsspitze der BaFin bleibt, wird es den nötigen Kulturwandel kaum geben. Zu oft zog sich die BaFin-Führung auf Formalien zurück und erklärte sich für nicht zuständig. Hinzu kommen mehrfache unrichtige Aussagen gegenüber Parlament und Öffentlichkeit. Daher kann nur eine neue BaFin-Spitze kann den unerlässlichen Umbau und Kulturwandel glaubwürdig vertreten. Das Positionspapier zum Download: Finanzaufsicht - Was jetzt endlich getan werden muss