Die Wohnungsnot als SuperRendite

04.06.2024
Deine Miete ist ihre Super-Rendite

Menschen, die monatelang in unbeheizten Wohnungen frieren oder aus ihren Mietwohnungen vertrieben werden. Familien, die jahrelang in viel zu kleinen Wohnungen ausharren, weil sie nichts Größeres finden. Fachkräfte, die in Großstädten keine bezahlbare Unterkunft finden können und stundenlang pendeln müssen. Bezahlbarer und sicherer Wohnraum ist zu einem knappen Gut geworden.

Die Wohnungskrise trifft immer mehr Mieter*innen tagtäglich. Doch des einen Leid ist des anderen Freud. Die Wohnungsnot ist nicht für alle ein Problem: Einige Finanzunternehmen profitieren davon, verschärfen die Not mit ihrem Geschäftsmodell sogar noch und machen damit viel Geld. Ein so zentrales Grundbedürfnis wie Wohnen muss davor geschützt werden.

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist ein riesiges Problem. In Großstädten und zunehmend auch in mittelgroßen Städten führt er zu sozialen Spannungen. Inzwischen ist fast jeder zweite Mieterhaushalt in Großstädten durch die hohen Mieten finanziell überlastet! Das trifft vor allem Haushalte im niedrigen Einkommensbereich. Mit Blick auf steigende Ungleichheit und Polarisierung in der Gesellschaft ist die Dramatik der Wohnungskrise nicht zu unterschätzen.

Doch diese Situation ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Sie ist eine Folge jahrelang fehlgeleiteter Wohnungspolitik. Insbesondere der Verkauf gemeinnützig bewirtschafteter Wohnungen an internationale Finanzunternehmen unterwarf diesen Bereich der kurzfristigen Renditelogik. Finanzunternehmen sind nicht der Auslöser für die Wohnungskrise. Aber ihre besonders aggressiven Praktiken haben die Situation verschärft und den Druck deutlich erhöht.

Über 2 Millionen Euro mehr – jeden Tag

Große Finanzunternehmen haben im Laufe des letzten Jahrzehnts eine regelrechte Schar von Milliardär*innen produziert. Zum Vergleich: Weltweit gibt es laut Forbes deutlich mehr Milliardäre in der Private-Equity-Branche als im Bankensektor. Obwohl die Branche erst in den letzten 15 Jahren so rasant gewachsen ist und stark an Bedeutung gewonnen hat.

Und wer sind diese Finanzunternehmen? Zu den Finanzunternehmen gehören vor allem sogenannte Private-Equity-Firmen und Vermögensverwalter. Die größten unter ihnen, Blackstone und Carlyle etwa, handeln dabei in fast allen Bereichen der Wirtschaft. Andere Finanzunternehmen wie Heimstaden sind nur auf den Wohnungsbereich fokussiert.

Das hat einen Grund. Finanzunternehmen verwalten eine immense Summe an Geldern und versprechen ihren Geldgeber*innen große Gewinne, in der Regel um die 20 Prozent Rendite. Dafür entlohnen sie sich selber reichlich: Stephen A. Schwarzman, Gründer und Chef des größten Finanzinvestors der Welt, verdiente im Jahr 2023 satte 842.810.000 Euro – pro Tag sind das 2,3 Millionen Euro. Sein Vermögen wird auf circa 36 Milliarden Euro geschätzt. Es sind Dimensionen, die man nur versteht, wenn man sie in kleinere Teile herunter bricht.

Schwarzmann verdient in

eines Arbeitstages das durchschnittliche deutsche Jahresarbeitseinkommen
von 51.876 Euro in 2023.

Doch es sind nicht nur die Gründer der Unternehmen. Das Geschäft der Finanzunternehmen hat in den letzten Jahren viele weitere Milliardär*innen unter ihren Manager*innen hervorgebracht. Schwarzmanns Kollege Jonathan Gray, der bis 2018 die Immobiliensparte von Schwarzmann leitete, verdient in weniger als einer Stunde eines Arbeitstages das durchschnittliche deutsche Jahresgehalt. Das ergibt in einem Jahr ein Einkommen von schätzungsweise 280 Millionen Euro.

Was haben diese Männer mit Berliner Mieter*innen zu tun?

Das Finanzunternehmen, in dem Schwarzman und Grey arbeiten, heißt Blackstone. Es hat in Berlin Häuser gekauft, um damit hohe Renditen zu erzielen. Schwarzmann und Gray sind aber längst nicht die einzigen unvorstellbar reichen Männer, die mit Berliner Wohnungen hohe Renditen versprechen.

Der Gründer und Co-Chef von The Carlyle Group (Carlyle), David Rubenstein, der sein Anwesen über Thanksgiving auch gerne mal an den US-Präsidenten verleiht, hält ein geschätztes Vermögen von 3,4 Milliarden US-Dollar. Und auch Heimstaden, der zweitgrößte private Vermieter Berlins, hat einen Milliardär als Chef. Ivar Tollefsen hat sein Vermögen in den letzten zwei Jahren auf mittlerweile 8,3 Milliarden Euro verdoppelt und ist damit reichster Norweger während Heimstaden und ihre Mieter*innen in die Krise rutschen.


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Speed-Dating der Renditejäger*innen in Berlin

Berlin ist ein anschauliches Beispiel, denn in der Hauptstadt ist die Wohnungsnot besonders groß. Man kommt fast keinen Tag aus, ohne dem Thema in Gesprächen zu begegnen. Gleichzeitig trifft sich hier jedes Jahr die Elite der internationalen Finanzunternehmen bei der Konferenz „SuperReturn International“ (deutsch: SuperRendite). Es ist das „Who is who“ der Branche, eine Art Speed-Dating der Renditejäger*innen.

Doch die Konferenz ist weitestgehend unbekannt. Daran änderte der Besuch von Kim Kardashian 2023 nichts und auch die hohe Privatjetdichte am Berliner Flughafen erregte bisher wenig Aufmerksamkeit.

Bei der SuperReturn stehen der Austausch über neue Deals und die lukrativsten Renditeziele im Fokus. Was hat es damit auf sich?

Blackstone

(Auf das Bild klicken, um es in voller Auflösung zu sehen.)

Lange war es unklar, doch seit Herbst 2023 ist er weg. Der „Quicky Markt“ von René Grönke und Jennifer Gollnau in Berlin-Kreuzberg war für viele seiner Kund*innen ein wichtiger Teil der Gemeinschaft, mehr als nur ein Kiosk. Doch was hat der geschlossene Nachbarschaftsladen in Kreuzberg mit den überreichen Renditejäger*innen bei der SuperReturn zu tun?

Die Eigentümerin des Hauses ist die Ambelin GmbH. Die Ambelin GmbH forderte von René und Jennifer 2023 fast das Dreifache der bisherigen bisherigen Miete. Trotz großer Solidarisierung in der Nachbarschaft und einem Spendenaufruf bedeutete diese drastische Mieterhöhung nach 14 Jahren das Aus für den Berliner Kiosk im Herbst 2023. Seitdem steht der Laden leer. Doch wer steckt hinter der Mieterhöhung? Um die Eigentümerin zu finden, braucht es lange Recherchen.

Tatsächlich ist die Ambelin GmbH das Ende einer langen und unübersichtlichen Kette von Gesellschaften. Wer der Kette bis an ihren Anfang folgt, landet in der Konzernzentrale von Blackstone. Diese Zentrale befindet sich in einem New Yorker Wolkenkratzer an der Park Avenue. Dort treffen sich Steve Schwarzman und Jonathan Gray jeden Montag mit ihren Manager*innen, zugeschaltet aus den 26 Niederlassungen weltweit. Blackstone ist der größte kommerzielle Wohnungseigentümer der Welt. Er besitzt auch mindestens 3.700 Wohnungen in Berlin.

Nicht nur Kleingewerbe mussten aufgrund von Blackstone schließen. Auch Mieter*innen bekamen hohe Mieterhöhungen aufgebrummt. Auf Basis der Luxemburger Geschäftsberichte lässt sich errechnen, dass Blackstone in Berlin von 2019 bis 2023 seine Durchschnittsmiete um 22 Prozent erhöht hat, während im gleichen Zeitraum die durchschnittliche Gesamt-Berliner Bestandsmiete um 7 Prozent stieg.

Der Berliner Wohnungsmarkt als Ziel reicher Renditejäger*innen

Der Berliner Wohnungsmarkt war in den letzten 15 Jahren eines der beliebtesten Renditeziele von Finanzunternehmen. Wer beim Wort „Wohnungsmarkt“ an kleine Privatvermieter*innen oder andere Investor*innen denkt, ist auf dem Holzweg. Finanzunternehmen sind eine ganz andere Hausnummer. Sie unterscheiden sich von anderen Marktteilnehmer*innen, weil sie viel höhere Rendite erwarten. Es geht also nicht um Privatpersonen oder andere Eigentümer*innen, die Wohnungen vermieten. Im Gegenteil: Viele verantwortungsvolle Eigentümer*innen sind es leid, mit fragwürdigen Finanzunternehmen in einen Topf geworfen zu werden. Mit Recht.

Die Finanzunternehmen erlebten einen regelrechten Boom auf dem Wohnungsmarkt. Alleine zwischen 2007 und 2020 flossen 42 Milliarden Euro für große Wohnungsdeals nach Berlin und ins Umland – ein Sturm ins Betongold. Doch mehr erschwingliche Wohnungen gibt es deshalb nicht. Im Gegenteil, das Geld floss vor allem in den Ankauf bestehender Immobilien. Das hatte sogar eine Verknappung des Angebots an bezahlbarem Wohnraum zur Folge und erhöhte so den Preisdruck für alle.

Der hohe Renditedruck führt nicht dazu, dass Finanzunternehmen besonders innovative oder produktive Lösungen für die Wohnungskrise finden. Oft bauen Finanzunternehmen eher im hochpreisigen Bereich. Aber nicht nur das, sie wandeln auch gerne Wohnungen um. So werden zwei Altbau 60-Quadratmeter-Wohnungen zu einer 120-Quadratmeter-Luxuswohnung für den Privaterwerb. Auf der anderen Seite wird immer mehr Wohnraum auch verkleinert und zu möblierten Mikro-Apartments umgebaut. Denn diese werfen eine besonders hohe Rendite ab und fallen nicht unter die Mietpreisbremse.

The Carlyle Group

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Renovierungen, Modernisierungen und letztendlich die Umwandlung von Wohnungen in Eigentumswohnungen waren in den letzten Jahren die beliebtesten Werkzeuge für die SuperRendite. Dieses Modell zerstört nicht nur lang aufgebaute Lebensrealitäten, es führt auch zur Verknappung des Gesamtangebots bezahlbarer Wohnungen.

Das Firmenkonstrukt einer einzelnen Untergesellschaft (der Oslo Sarl), die ein von Carlyle gekauftes Haus in Berlin-Friedrichshain gehalten hat, ist am Ende einer langen Kette. Eine komplizierte Struktur aus mehreren luxemburgischen Gesellschaften führt zu drei Carlyle-Gesellschaften auf den Cayman-Inseln. Die Gewinne werden über komplexe Holdingstrukturen in eine Steueroase geleitet. Dort sitzt der Fonds, der die Investor*innen auszahlt – anonym und steuerfrei. Die mögliche SuperRendite ist erfolgreich versteckt.

Es war auch das Rendite-Modell des Finanzinvestors Carlyle, der 2017 ein Paket von Mietshäusern in Berlin kaufte. Darunter auch ein Haus in Friedrichshain mit mehr als 20 Mietparteien. Auf den Kauf für 6,4 Millionen Euro folgten Modernisierungen, Mieterhöhung und Aufsplittung. Letztendlich wurden wenige Monate später Wohnungen in dem gerade gekauften Haus für den fast doppelten Quadratmeterpreis angeboten. Für den Finanzinvestor bedeutete dies damals wohl eine Rendite von 1.000 bis 1.500 Euro pro Quadratmeter, also mehr als 30 Prozent.

Die drei goldenen Regeln eines Finanzinvestors

  1. So viel Geld wie möglich in kürzester Zeit herausziehen: Dafür erhöhen wir Mieten, senken Betriebskosten, vermeiden Investitionen oder widmen Mietwohnungen in Eigentum um.

  2. Mit hohen Schulden arbeiten! Denn die Mathematik der Finanzunternehmen ergibt eine steigende Rendite, wenn wir mehr fremdes Geld verwenden.

  3. Wir arbeiten im Geheimen und vermeiden Steuern. Unsere Eigentümer sind schwer zu ermitteln und unsere Firmensitze gerne mal versteckt, in Luxemburg, Jersey oder auf den Cayman-Inseln.

Das kurzfristige Modell der Finanzunternehmen mit hohem Renditedruck hat extreme Auswirkungen auf die Mieter*innen. Daran ändert sich auch nichts, wenn am Ende gar keine SuperRendite erzielt werden kann.

Heimstaden

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Die Aussicht auf SuperRenditen lockte auch Heimstaden 2018 nach Berlin. Der Finanzinvestor mit Ivar Tollefsen an der Spitze ist in Berlin inzwischen der zweitgrößte private Vermieter. Doch ihr Beispiel ist nicht die SuperRendite, sondern der Super-Irrtum.

Heimstaden kaufte 14.000 Berliner Wohnungen von Finanzinvestor Akelius, die mit dem Verkauf selbst eine SuperRendite erzielten. Nach dem 9,1 Milliarden Euro schweren Verkauf des Portfolios schüttete Akelius im selben Jahr satte 6 Milliarden Euro an Dividenden aus.

Die rasante Einkaufstour und der Ruf, der Heimstaden vorauseilt, sorgten bereits vor dem Kauf für große Sorgen bei Mieter*innen. Doch Heimstaden versicherte, die seien unbegründet: Als langfristig orientierter Vermieter sei sich das Unternehmen seiner großen Verantwortung bewusst. Es werde keine unnötigen Sanierungen, keine aggressiven Mieterhöhungen, erst recht keine Umwandlungen geben. Auch im Neubau werde man sich engagieren. Zentrale Versprechen, von denen in der Folge nur wenige gehalten wurde.

Denn Heimstaden hat sich verzockt. Sie haben die Wohnungen zu sehr hohen Preisen gekauft und bauten dabei auf weitere Wertsteigerungen. In Berlin stiegen die Preise von 2011 bis 2021 so schnell, dass Finanzunternehmen sogar ohne aktive Wertsteigerung jahrelang SuperRenditen erzielten. Doch seit Sommer 2022 sind aufgrund der Zinswende die Immobilienpreise zeitweise gesunken. Diese Krise traf insbesondere spekulative Finanzunternehmen, darunter auch René Benko und seine Signa Gruppe, die besonders stark von steigenden Preisen und günstiger Schuldenfinanzierung abhängig sind. Das durchkreuzte auch die SuperRendite-Pläne von Heimstaden.

Die Folgen tragen vor allem die Mieter*innen. So übersteigt Heimstaden mit seinen Mieten die jeweils umliegenden Durchschnittsmieten in Berlin besonders stark. Heimstaden deutet in seinen Geschäftsberichten außerdem an, dass sie wegen der Krise jetzt auch Wohnungen umwandeln und privatisieren wollen – entgegen dem ursprünglichen Versprechen.

Es droht eine neue SuperRendite-Welle

Es ist Teil des Selbstverständnisses von Finanzunternehmen, immer zu den ersten Nutznießer*innen einer Krise zu gehören. Dies sollte eine Warnung sein. Viele Private-Equity-Firmen sitzen momentan auf großen Mengen von Geldern. Blackstone hat zum Beispiel bereits 7,6 Milliarden US-Dollar an Zusagen für seinen siebten Immobilienfonds in Europa gesammelt. Der Multimilliardär Jonathan Gray von Blackstone verglich die jetzige Situation mit der nach der globalen Finanzkrise, in der die Werte von Immobilien 2009 ihren Tiefpunkt erreichten und ein Jahrzehnt der SuperRendite folgte. Nun droht eine neue SuperRendite-Welle.

Der Finanzinvestor CBRE zeigt uns eine Vision davon, wie die nächsten Jahre aussehen könnten: noch teurer! CBRE investiert in möblierte Wohnungen. Dieses Schlupfloch in der deutschen Mietpreisregulierung macht es momentan möglich, die Miete über die der Mietpreisbremse entsprechende Obergrenze hinweg zu erhöhen. In den Jahren 2018 bis 2022 stieg der Anteil von möblierten Wohnungen, die auf dem Immobilienportal Immoscout24 in Berlin angeboten wurden, von 13 Prozent auf 51 Prozent.

Auch die angebotenen Mieten stiegen in einem ähnlichen Tempo. Während der durchschnittliche Quadratmeter-Preis einer möblierten Wohnung in Berlin Ende 2018 noch bei 17,79 Euro lag, betrug er fünf Jahre später bereits 36,82 Euro. Schaut man in die Prospekte mancher Finanzunternehmen, sieht man, dass dies erst der Anfang und auch nicht die einzige schädliche neue SuperRendite-Strategie ist.

Das Eindringen dieser Finanzunternehmen in grundlegende Lebensbereiche wie dem Wohnen muss gestoppt werden.

Damit die Not nicht noch größer wird und die alltäglichen Bedürfnisse nicht noch teurer werden. Denn die Suche nach der SuperRendite führt auch in anderen systemrelevanten Bereichen – in Pflegeheimen, bei der Infrastruktur und bei Arztpraxen etwa – zu dramatischen Entwicklungen.

Der blinde Glaube, dass Finanzunternehmen in dieser Form der Gesellschaft dienen, ist gefährlich. Finanzunternehmen müssen raus aus der Daseinsvorsorge. Den Preis zahlen wir sonst alle.