Lasst uns über Zentralbanken sprechen!

Schwarz-weiß Portrait von Michael Peters mit hellblauem Hintergrund
12.11.2020
Michael Peters

Michael hat Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Makroökonomie und Finanzpolitik studiert. Danach hat er an der Schnittstelle von Digitalisierung, Transparenz und öffentlichen Finanzen gearbeitet. Bei Finanzwende leitet er den Bereich Finanzsystem und Realwirtschaft. Hier finden Sie ein Pressefoto.

Die EU schiebt die EZB mit einem Stapel Geld zu Unternehmen, wie EON, ENGIE und SHELL
  • Zentralbankpolitik ist nicht neutral
  • Geldpolitik sollte unser Finanzsystem stabilisieren
  • Die aktuelle Geldpolitik verschärft wirtschaftliche Ungleichheit und Klimakrise

Als Anfang März 2020 die Corona-Pandemie in Europa ankam, sprang die Ungewissheit schnell auf die internationalen Finanzmärkte über. Aktienmärkte stürzten dramatisch ein, Unternehmen und Staaten bekamen Probleme, sich frische Gelder zu leihen. Die Pandemie war dabei, in dramatischer Weise den Finanzmarkt zu ergreifen und damit die realwirtschaftlichen Probleme noch zu verschlimmern. Doch das konnten die Zentralbanken mit massiven Interventionen verhindern.

Die Pandemie hat starke Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft. Umso wichtiger war im März 2020 eine schnelle und gemeinsame Reaktion. Wie schon in der Eurokrise lag hier erneut eine große Last auf der Europäischen Zentralbank (EZB), die durch massive geldpolitische Intervention den Markt unterstützte. Dabei wurden sowohl Regierungen durch den Kauf von Staatsanleihen, als auch Unternehmen durch den Kauf von Unternehmensanleihen gestützt. Zudem wurde der Bankensektor durch die EZB subventioniert, um vergünstigte Kreditvergabe an Unternehmen zu ermöglichen[1].  

Also alles gut? Nein. Denn so richtig kurzfristige Krisenbekämpfung ist, so hat diese Form der Zentralbankpolitik negative langfristige Implikationen – etwa für den Klimawandel, Vermögensungleichheit und Finanzstabilität. Das könnte man vielleicht noch ignorieren, wenn es sich um einen wirklich einmaligen Ausnahmefall handeln würde. Doch in den letzten Jahrzehnten ist diese Vorgehensweise leider zum wiederkehrenden Muster geworden. Immer wieder wurden die Zentralbanken zur Krisenintervention gedrängt, ihre Bilanzsumme wuchs beständig. Sie kamen in die Rolle des mit Abstand wichtigsten wirtschaftspolitischen Akteurs.

Zentralbanken rücken in den Fokus

Dies liegt zum Großteil daran, dass Geldpolitik nicht in Parlamenten entschieden, sondern technokratisch umgesetzt wird. Das geht schneller und findet sich nicht unmittelbar im Staatshaushalt wieder. Zwischen dem EZB-Anleihekaufprogramm am 19. März und dem kleinen EU-Rettungspaket am 10. April vergingen drei Wochen, bis zur Verabschiedung des endgültigen „EU Recovery Fund“ am 21. Juli vier Monate. Dazu kommt die EU mit ihren strikten Staatsverschuldungsregeln, die dadurch expansive Geldpolitik relativ attraktiver macht gegenüber staatlicher Konjunkturpolitik, ohne deren Wirksamkeit abzuwägen.

Schon in der Bekämpfung der globalen Finanzkrise (2008-2009) spielten Zentralbanken kurzfristig eine wichtige Rolle. Während der Eurokrise mussten die Folgen der politischen Inaktivität und Austerität letztlich doch von der Europäischen Zentralbank durch gezielte Staatsanleihenkäufe bekämpft werden, obwohl die EZB die Austerität als Teil der Troika mitverantwortete.

 Der allgemeine Trend zur steigenden Bedeutung von Zentralbanken lässt sich auch durch einen Blick auf ihre Bilanzen verdeutlichen. Die Bilanzsummen der Amerikanischen (FED), Britischen (BOE) und Europäischen Zentralbank sind im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt seit 2008 alle stark gestiegen. Seit März 2020 ist der Anstieg besonders stark. Das allein ist noch kein Grund zur Sorge, wichtig ist jedoch, was mit dem Geld passiert.

Zentralbanken sind nicht neutral

Wenn die EZB als Teil ihres Anleihenkaufprogramms PEPP an den Märkten interveniert, weitet sie die Geldmenge aus und kauft damit Staatsanleihen und Unternehmensanleihen zum Beispiel von großen Unternehmen wie Volkswagen[2]. Das tut sie, um ihr Mandat der Preisstabilität zu erfüllen. Die EZB selbst definiert Preisstabilität als eine Inflation von ca. 2%. Dabei argumentiert die EZB stets, ihre Maßnahmen würden dem Prinzip der "Marktneutralität“ folgen, also das Ergebnis der Finanzmärkte nicht verzerren. Das klingt zwar sinnvoll, ist aber fern von der Realität.

Schon die Entscheidung, welchen ihrer geldpolitischen Kanäle die EZB wählt, spielt eine entscheidende Rolle. So profitieren beispielsweise von Veränderungen der Refinanzierungsbedingungen vor allem Banken und kleine und mittelständische Unternehmen, die sich in der Regel über Banken finanzieren. Von Wertpapierkäufen hingegen profitieren insbesondere größere Unternehmen, die am Kapitalmarkt aktiv sind. Eine Studie von Positive Money zeigt[3], dass dies zu einer Verzerrung führt, da insbesondere C02-intensive Sektoren an den Kapitalmärkten aktiv sind. Eine Analyse von Greenpeace zeigt, dass allein im Zeitraum von März – Juni 2020 über 7,6 Milliarden € in Anleihen von Unternehmen des fossilen Brennstoffsektors investiert wurden.[4]

Bilanzen der Zentralbanken EZB, BOE, US FED als Graph über den zeitraum 2008-2020

Stärkere Ungleichheit durch Geldpolitik?

Doch die Politik der expansiven Wertpapierkäufe beeinflusst nicht nur den Klimawandel, sondern auch die Vermögensungleichheit. In Folge der Pandemie waren im März die Aktienmärkte im Keller und die Arbeitslosenzahlen sind stark angestiegen (in Deutschland weniger stark auf Grund von Kurzarbeitergelder). Mittlerweile haben sich die Aktienmärkte bereits stark erholt, während die realwirtschaftliche Lage angespannt bleibt. Eine Analyse der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigt[5], dass der Anstieg auf den Aktienmärkte in großen Teilen auf die lockere Geldpolitik zurückzuführen ist.

Von steigenden Wertpapiermärkten profitieren insbesondere Menschen mit hohem Vermögen, die in der Regel mehr Wertpapiere besitzen. Dabei bleibt das Grundproblem, dass Zentralbanken ihre Geldpolitik durch die Finanzmärkte implementieren. Der Anstieg von Wertpapierpreise ist als Transmissionsmechanismus vorgesehen. Die Folgen für die Vermögensungleichheit werden dabei nicht thematisiert.  

Krisenherd Finanzsystem 

Die Verwerfungen der Finanzkrise 2008 wurden kurzfristig insbesondere durch lockere Geldpolitik gelöst. Die darunterliegenden Probleme in der Regulierung von Schattenbanken wurden allerdings nicht angegangen. Deswegen war auch im März 2020 eine massive Zentralbankintervention zur Stabilisierung des Finanzsystems nötig. 

Seitdem der Bankensektor im Nachgang der Finanzkrise nun etwas strenger reguliert wird, hat das sogenannte Schattenbankensystem noch mehr an Bedeutung gewonnen. Mittlerweile werden 48 Prozent der weltweiten Wertpapiere von Schattenbanken gehalten[6] und deren Wachstum ist eine Gefahr für die Finanzstabilität. Schattenbanken finanzieren sich häufig sehr kurzfristig am Geldmarkt, indem Sie Wertpapiere als Sicherheiten hinterlegen. Wenn allerdings diese Wertpapiere wie im März nicht handelbar sind und zeitgleich die Preise von Aktien, Staatsanleihen und Gold fallen, dann steht das Finanzsystem kurz vor dem Zusammenbruch.[7] Dann können nur noch die Anleihenkaufprogramme der Zentralbanken die Märkte stabilisieren. 

Progressive Geldpolitik für die sozial-ökologische Transformation

Der Trend der letzten Jahre zeigt eindeutig, dass Zentralbanken in unserem Wirtschafts- und Finanzsystems buchstäblich „zentraler“ werden. Sie sind in den letzten Jahren immer mehr zur Feuerwehr unseres Wirtschafts- und Finanzsystems geworden. So verstärken Zentralbanken zum Teil   bestehende Ungleichgewichte im Wirtschafts- und Finanzsystem. Ist es daher an der Zeit, sich von dem Credo der Marktneutralität zu verabschieden?

Das ziehen zumindest EZB-Präsidentin Christine Lagarde und EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel in Erwägung. Sie argumentieren, dass die Finanzmärkte die Risiken des Klimawandels nicht adäquat einpreisen und es sich hier um ein Marktversagen handelt. Das ist richtig und wichtig, Zentralbanken sollten sich der Auswirkungen ihrer Politik bewusst werden und diese proaktiv steuern.

Gleichzeitig können langfristige Probleme wie Klimawandel und Ungleichheit nicht allein von Zentralbanken gelöst werden. Im Gegenteil, progressive Politik würde dafür sorgen, dass die Zentralbanken sich wieder weniger um diese Fragen kümmern müssen. Gäbe es einen einheitlichen CO2-Preis in Europa, der die externen Kosten fossiler Brennstoffe internalisiert, müssten sich Zentralbanken kaum um die Klimafrage kümmern, denn sie wäre schon eingepreist. Gäbe es ein funktionsfähiges Finanzausgleichssystem zwischen den Euro-Staaten und eine wirklich europäische Finanzpolitik, müsste die Europäische Zentralbank deutlich weniger eingreifen. Wäre der Finanzmarkt aufgrund stabiler Regeln weniger krisenanfällig, müsste die Zentralbank seltener als Feuerwehr agieren. Doch all das geschieht seit Jahren nicht.

So befindet sich die Rolle von Zentralbanken im Wandel. Deshalb organisieren wir im Rahmen unseres Projektes Transformative Responses gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung eine Online Konferenz zum Thema. Während der Konferenz „Next Generation Central Banking: Climate Change, Inequality, Financial Instability“ werden wir die angesprochenen Themenkomplexe mit Politikern, Wissenschaftlerinnen, Zentralbankern und Zivilgesellschaft diskutieren. Mehr Informationen finden Sie hier.


[1] https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/ezb-geldsalve-banken-sichern-sich-bei-notenbank-rekordsumme-von-1-3-billionen-euro/25928300.html

[2] https://on.ft.com/3pcR8Yv

[3] https://www.positivemoney.eu/2019/09/ecb-market-neutrality-doctrine/

[4] https://www.greenpeace.org/luxembourg/de/presseerklaerungen/9026/europaeische-zentralbank-mehr-als-7-milliarden-euro-fuer-fossile-brennstoffe-seit-beginn-der-covid-19-krise/

[5] https://www.bis.org/publ/qtrpdf/r_qt2009a.pdf

[6] https://www.fsb.org/2020/01/global-monitoring-report-on-non-bank-financial-intermediation-2019/

[7] https://www.theguardian.com/business/2020/apr/14/how-coronavirus-almost-brought-down-the-global-financial-system