Vom Wirtschafts-Selbstbedienungs-Fonds WSF zum Transformationsfonds

04.12.2020
Gerhard Schick

Gerhard ist promovierter Volkswirt, ehemaliges Mitglied des Bundestages, Mit-Initiator des Vereins und dessen geschäftsführender Vorstand. Er hat sein Bundestagsmandat für die Arbeit in der Nichtregierungsorganisation zum 31.12.2018 niedergelegt. Hier finden Sie seinen Lebenslauf, ein Pressefoto und ein alternatives Pressefoto.

Eine Frau bekommt die Augen zu gehalten und Geldscheine werden an Flugzeuge, Kreuzfahrtschiffe und Strandliegen verteilt.

Die Freigiebigkeit, mit der Deutschland in den letzten Monaten Steuergelder an große Unternehmen verteilt, weckt Erinnerungen an die Finanzmarktkrise. Es werden wieder Milliarden aus dem Staatshaushalt an Unternehmen mit fragwürdigen Geschäftsmodellen gegeben. Wie in der Finanzkrise profitieren davon Investoren und Banken. Stattdessen sollten wir unsere Steuergelder nur zur Rettung derjenigen Unternehmen einsetzen, die einen Mehrwert für unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt bieten, andernfalls die bisherigen Geldgeber der Unternehmen zur Kasse bitten.

Unter den zahlreichen Corona-Programmen für die Wirtschaft zählt der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) zu dem fragwürdigsten und größten. An den WSF wenden sich Unternehmen, denen Investoren und Banken kein Geld mehr geben. Weil sie nicht glauben, dass sie es wiederbekommen. Vielleicht auch, weil vorher Umstrukturierungen notwendig wären, zu denen die Unternehmen nicht bereit sind. Die Bundesregierung hat diesen Unternehmen bereits über 10 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt – in den nächsten Monaten dürfte es noch wesentlich mehr werden. Die Zwischenbilanz der ersten vier Fälle (Lufthansa, TUI, FTI und MV-Werften) ist erschreckend.

  1. Erstens ist das Geschäftsmodell der geförderten Unternehmen nicht zukunftsfähig. Die Perspektive der ohnehin margenschwachen Luftfahrt ist wohl noch düsterer geworden, seit Unternehmen Videokonferenzen für sich entdecken. Deutschlands größter (TUI) und drittgrößter (FTI) Anbieter von Pauschalreisen ringen seit Jahren ums Überleben. Menschen buchen immer weniger Pauschalreisen, sondern stellen sich ihren Urlaub auf Online-Portalen individuell zusammen. Der Kreuzfahrschiffbauer MV-Werften hat es in dem übersubventionierten Sektor mit prognostizierten Überkapazitäten nicht leichter. Die Bundesregierung rettet also Unternehmen von gestern und bindet dort Ressourcen, die in Zukunftsbranchen fehlen. Die deutsche Wirtschaft wird nicht durch die Erbringung von Pauschaltourismus das 21. Jahrhundert meistern, sondern durch technologischen Fortschritt.
  2. Zweitens haben alle geförderten Unternehmen Verbindungen zu Schattenfinanzzentren. Das ist ein Indiz dafür, dass die Unternehmen Steuersparmodelle nutzen. Es besteht keine Transparenz darüber. Die Lufthansa verschiebt laut einer Studie im Auftrag von Finanzwende sehr wahrscheinlich Gewinne in Schattenfinanzzentren. TUI lässt u.a. seine Kreuzfahrtschiffe unter maltesischer Flagge fahren. Die Eigentümer von FTI und MV-Werften schleusen ihren Gewinn überwiegend über Zwischengesellschaften in Luxemburg, Schweiz und Bermuda. Die Bundesregierung teilt Steuergelder an Unternehmen aus, die selbst wenig Steuern zahlen.
  3. Drittens sind die Unternehmen in Branchen tätig, die für die Umwelt besonders schädlich sind. Flugzeuge, Kreuzfahrtschiffe und der Nord-Süd-Tourismus beschleunigen aufgrund ihrer hohen Emissionen den Klimawandel. Kreuzfahrtschiffe verschmutzen die Gewässer und verpesten die Luft. Schon vor Corona war absehbar, dass angesichts der Klimakrise hier ein Umsteuern in der Tourismusbranche dringend nötig würde. Die WSF-Förderungen waren jeder für sich ein Schlag gegen die Umwelt. Zusätzlich wurden keinerlei verpflichtende Klimaauflagen verhängt, die dem Pariser Klimaabkommen gerecht werden.
  4. Viertens hat Deutschland mit den Steuergeldern Investitionen von Milliardären und Kredite von Banken gerettet. Lufthansa gehört zu 12% dem deutschen Bremsenmilliardär Thiele. Dieser nutzte sein Vermögen nicht, um sich an der WSF-Rettung seines Unternehmens mit frischem Geld für die Lufthansa zu beteiligen. TUI wird von dem russischen Oligarch Mordaschow (25%) beherrscht. FTI gehört dem Ägypter Sawiri und der deutschen Familie Gunz. Und hinter MV-Werften steht der malaysische Kasinoinhaber Kok Thay. Die Banken haben allenfalls symbolische Beiträge geleistet und freuen sich nun, dass ihre Kredite mit Staatsgeld zurückgezahlt werden. Wie schon in der Finanzkrise scheinen Aktionäre und Banken in fetten Jahren eine gute Risikovergütung für ihr Kapital einzufordern. Sobald das Risiko eintritt, rettet der Steuerzahler ihre Investition.

Nichts gelernt aus der Vergangenheit

Die Bundesregierung hat diese Punkte weitgehend ignoriert. Sie war zu schwach, um „nein“ zu sagen. Sie hat allenfalls Lippenbekenntnisse für die Umwelt gefordert. Die Eigentümer und Banken sind mit keinen oder nur symbolischen Beiträgen davongekommen. Stattdessen verkündeten Lufthansa und TUI kurz nach der Staatsrettung Massenentlassungen, ohne dass die Bundesregierung besonders schutzwürdigen Arbeitnehmern half. Von wirklich fairen Steuerauflagen ist nichts bekannt. Und daran wird sich nichts ändern: Denn obwohl Deutschland zu den größten Investoren in diesen Unternehmen gehört, hat die Politik auf Mitbestimmungsrechte fast vollständig verzichtet.

Der WSF ist so zum Wirtschafts-Selbstbedienungs-Fonds geworden.

Die Minister Altmaier und Scholz lassen mit ihm ebenso großzügig wie blind Staatsgeld an große Unternehmen verteilen, die die Hand aufhalten. Das ist falsch. Es bedarf vielmehr eine wirkungsorientierte Förderung mit Biss, die klar definierte Ziele verfolgt. Es sollten nur diejenigen Unternehmen gefördert werden, die ein überzeugendes Geschäftsmodell für unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt haben. Konkret könnte man beispielsweise ein öffentliches Country-by-Country Reporting für große Unternehmen mit Staatshilfen einführen, damit kontrollierbar ist, ob es zu problematischen Steuergestaltungen zu Lasten des deutschen Steuerzahlers kommt.

Alle anderen Unternehmen dürfen nicht gefördert werden oder erst nach einem angemessenen Beitrag der Eigentümer und Gläubiger, durch den eine Förderung wirtschaftlich wird. Genau dies war auch die Lehre aus der Finanzmarktkrise: Nachdem die Bundesregierung mithilfe des Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS) ab 2008 Steuergelder in ungebremstem Maße in Banken versenkt hatte, führte man ein so genanntes Bail-in-Regime ein. Danach müssen zunächst die Eigentümer und einige Gläubiger einen finanziellen Beitrag (durch Rückgabe der Aktien und einem debt-equity-swap) leisten, bevor staatliches Geld fließen darf. Es ist erstaunlich, dass 12 Jahre später mit dem WSF zwar der FMS kopiert wird, aber man die Lehren aus dem FMS und die gesetzlichen Korrekturen ignorierte.

Stillstand ist der falsche Ansatz

Der WSF sollte also in einen Transformationsfonds umgebaut werden. Mit diesem kann der Staat Kapital für Innovationen, eine funktionierende, zukunftsfähige industrielle Standortentwicklung sowie die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft bereitstellen. So wird nicht nur die Corona-Krise wirtschaftlich abgemildert, sondern zugleich das Fundament für eine starke deutsche Wirtschaft mit einem nachhaltigen Strukturwandel gelegt. Der Transformationsfonds würde staatliche Gelder nur an ausgewählte Unternehmen und unter klaren Bedingungen vergeben. Eigentümer und Anleihegläubiger sind optimal zur Transformationsaufgabe heranzuziehen. Die staatlichen Gelder sollten dem Transformationsziel und der Beschäftigungssicherung dienen, nicht der Rettung von Aktionären und Anleihegläubigern. 

Wie bei privaten Impactfonds sollte die Erzielung von gesellschaftlichem Mehrwert in Vordergrund stehen, ohne die Wirtschaftlichkeit zu vernachlässigen. Ob sich der Transformationsfonds dafür auch als Eigentümer beteiligen sollte, ist in Deutschland immer wieder eine Streitfrage. Unstrittig ist jedoch die Notwendigkeit eines guten Beteiligungsmanagements für die Fälle, in denen der Staat Eigentümer ist oder wird. Ein solches systematisches Beteiligungsmanagement, in dem der Staat für seine verschiedenen Beteiligungen seine Eigentümerinteressen klar und öffentlich nachvollziehbar definiert und dann auch versucht durchzusetzen, fehlt bisher auf Bundesebene völlig. Der Staat muss eine klare Idee haben, was er bis wann mit seiner Investition erreichen will und wie dies zu den Zielen unserer Gesellschaft passt. Einerseits Klimaziele zu proklamieren und eine Nachhaltigkeitsstrategie zu beschließen, andererseits aber als (Mit-)Eigentümer von Unternehmen sich überhaupt nicht daran zu orientieren, ist inkonsistent, ist schlechte Politik.

Dieser Beitrag ist zuerst am 02.12.2020 in "der Freitag" erschienen.