Standpunkt: Ein nächstes Wirecard ist möglich!

08.12.2022
Dr. Gerhard Schick

Gerhard Schick ist promovierter Volkswirt und Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende. Für die Arbeit im Verein legte er sein Bundestagsmandat nieder.

Der Zusammenbruch des DAX-Konzerns Wirecard hätte Politik und Aufsichtsbehörden richtig wachrütteln müssen. Die Reformen sind allerdings oft auf halber Strecke stecken geblieben oder wurden gar nicht erst angestoßen.

Das bedeutet: Ein nächstes Wirecard ist möglich.

Heute beginnt einer der spektakulärsten Prozesse in Sachen Wirtschaftskriminalität in Deutschland. Markus Braun muss sich als Ex-Chef des damaligen DAX-Konzerns Wirecard für den Zusammenbruch des Finanzdienstleisters 2020 verantworten. Bandenbetrug, Bilanzfälschung und Untreue lauten die Vorwürfe. Um einen Betrug à la Wirecard zu verhindern, bedarf es allerdings nicht nur der Strafverfolgung der Verantwortlichen, sondern auch effektiver Aufsichtsstrukturen.

Zuerst die guten Nachrichten: Die Finanzaufsicht BaFin scheint inzwischen zumindest besser dazustehen. Bei der Aufdeckung von Wirecard versagte sie noch auf ganzer Linie und machte mit ihrer Inkompetenz sprachlos. Damals schützte sie Wirecard vor Kritiker*innen, statt den Betrug zu bekämpfen: unter anderem durch eine Anzeige von Dan McCrum, dem Finanzjournalisten, der maßgeblich zur Aufklärung beitrug. Unter neuer Führung agiert sie heute offensiver und testet neue Kompetenzen aktiv aus. In den nächsten Jahren werden wir sehen, ob die BaFin vom Wirecard-Skandal also tatsächlich wachgerüttelt wurde.

Damals schützte die BaFin Wirecard vor Kritiker*innen, statt den Betrug zu bekämpfen.

Doch nicht alle Stellschrauben wurden richtig angezogen: Ganz vorne dabei sind hier die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Über Jahre stellte EY Wirecard positive Testate aus. Anleger*innen vertrauten dem Siegel – und schauen jetzt in die Röhre. Zwar wurden die Regeln für Wirtschaftsprüfunsgesellschaften mittlerweile verschärft, die Marktmacht der Big Four – also der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die den Markt dominieren – und die Interessenskonflikte im Markt sind aber ungebrochen. Damit bleiben die Grundprobleme unangetastet.

Auch die Financial Intelligence Unit (FIU), die Verdachtsmeldungen zu Wirecard nicht rechtzeitig weiterleitete, kämpft seit Jahren mit Problemen. Noch immer gibt es über 100.000 Verdachtsmeldungen, die nicht final bearbeitet wurden. So kann man sich nicht darauf verlassen, dass die Behörde ihre Arbeit im Griff hat.

Und wie bei vielen Finanzthemen spielte auch bei Wirecard die Finanzlobby eine entscheidende Rolle – mit Millionenbudgets und Kontakten bis ins Bundeskanzleramt. Daraus wurden praktisch keine Konsequenzen gezogen. Das nach dem Amthor-Skandal eingeführte Lobby-Register ist hier nur ein erster Schritt hin zu mehr Transparenz. Doch bis heute ist nicht klar, woher Ideen in Gesetzen stammen oder wer Zugang zu Minister*innen bis hin zum Kanzler hatte.

Bis heute ist nicht klar, woher Ideen in Gesetzen stammen oder wer Zugang zu Minister*innen bis hin zum Kanzler hatte.

Die Kernstrukturen, die versagten, den Wirecard-Betrug aufzudecken und so ermöglichten, ihn so lange erfolgreich weiterzuführen, bestehen größtenteils noch immer. Die Politik muss dringend entsprechende Reformen auf den Weg bringen, damit es nicht zu einem neuerlichen großen Betrug in einem Unternehmen in Deutschland kommt.