Die immer größere Machtkonzentration der Big Four Wie internationale Bilanzierungsstandards den Big Four geholfen haben 26.10.2020 Die Big Four – PwC, EY, KPMG und Deloitte – sind die vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und konzentrieren immer mehr Macht untereinander. Das ist ein Problem, da sie wichtig für die Kontrolle von Geschäftsmodellen und der Bilanzen von Unternehmen sind. Während Übernahmen und der Zerfall von Arthur Andersen & Co., der ehemals größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, bei der Machtkonzentration eine wichtige Rolle spielen, ist die Harmonisierung der internationalen Bilanzierungs- und Berichtsstandards mindestens genauso wichtig. Bevor es die Big Four gab, gab es die Big Five, die Big Six, usw. - aus vielen wurden wenige. Durch Zusammenschlüsse, Aufkäufe und den Zusammenbruch von Arthur Andersen & Co., der damals größten globalen Prüfungsgesellschaft im Jahr 2003, entstanden die Big Four. Sie profitierten zusätzlich von einer internationalen Harmonisierung der gängigen Bilanzierungs- und Berichtsstandards, wodurch sich der globale Beratungs- und Prüfungsmarkt noch weiter vereinheitlichte und der Grundstein für die massive Konzentration der internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (WPG) gelegt wurde. Arthur Andersen – einst Primus, nun Warnung Arthur Andersen & Co. (AA) war bis zu seinem abrupten unrühmlichen Ende 2003 die unangefochtene globale Nummer 1 der Wirtschaftsprüfer*innen. Die besonderen Erfolgskriterien waren ein hoher Leistungs- und Qualitätsanspruch mit weltweit standardisierten Grundsätzen und Arbeitsmethoden. Die Mitarbeiter*innen wurden global nach einheitlichen Grundsätzen geschult, dabei auf die besonderen hauseigenen beratungsorientierten Standards getrimmt und auf unbedingte Loyalität eingeschworen. Zu Abgänger*innen unterhielt man mit Alumni-Programmen gezielt weiter enge Beziehungen. Zusätzlich setzte sich AA von seinen Konkurrent*innen durch frühe hochkarätige IT-Kompetenz ab, die für hohes zusätzliches Beratungseinkommen sorgten. AA nutzte diese Erfolge zur weiteren Akquise und Expansion auf nationaler und globaler Ebene. Das Prüfungsmandat war hierbei oft das Einfallstor zu umfassenden Beratungsleistungen. Großes Interesse gab es daher an der Betreuung von Börsengängen, um sich Mandant*innen für viele Folgejahre zu sichern. Die Kehrseite des Erfolges zeigte sich jedoch zunehmend in den 1990er Jahren. Das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Beratungs- und Prüfungshonoraren höhlte die erfolgsverwöhnte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft langsam von innen aus: Selbstverliebtheit, zunehmend unausgewogene Honorar- und Qualitätsrelationen, interne Konkurrenz und Neid und am Ende eine hohe Selbstüberschätzung bei nachlassendem Qualitätsniveau. Im Endeffekt war es der Energieriese Enron, dessen Wirtschaftsprüfer AA war, der die gesamte WPG zu Fall brachte. Nachdem bei Enron massive Bilanzierungsfehler aufgedeckt wurden, vernichtete AA wichtige Dokumente, weswegen AA wegen Behinderung der Justiz angeklagt wurde. Konfrontiert mit einem drohenden Lizenzentzug und strafrechtlichen Ermittlungen zerbrach der Riese. Aus den Big Five wurden die heutigen Big Four. Seitdem dient AA als eine Warnung, was bei einem ungezügelten Interessenkonflikt zwischen Beratung und Prüfung passieren kann. Die Amerikanisierung der Bilanzierungs- und Berichtsstandards Die Erfolgskriterien für die globale Vormachtstellung der heutigen Big Four sind vielfältig. Sie haben in hohem Maße mit dem Umstand zu tun, dass sich die Kapitalmärkte weltweit an den USA orientiert haben. Eine, wenn nicht die wichtigste, Entwicklung in dieser Hinsicht, war das Streben nach international anerkannten und vergleichbaren Bilanzierungs- und Reporting-Standards ab Mitte der 1990er Jahre. Die in Europa genutzten Bilanzierungsrichtlinien aus den späten 70er Jahren konnten die angestrebte Vergleichbarkeit von Bilanzen der Mitgliedsländer der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht wirklich gewährleisten. Da waren die eher kurzfristig und ergebnisorientierten UK GAAP (Generally Accepted Accounting Principles) auf der einen und die konservativen steuerorientierten deutschen oder französischen GAAP auf der anderen Seite der Skala. Grundsätzlich war keine dieser Regeln für eine Börsennotierung in den USA geeignet, dort waren ausschließlich die US GAAP zulässig. Als Daimler-Benz 1993 als erster deutscher Konzern in den USA gelistet wurde und einen Konzernabschluss nach US GAAP veröffentlichte, gab es große Verwirrung und Diskussionen, warum dort wesentliche Kennzahlen so stark von den deutschen Zahlen abwichen. Dabei stand im ersten Vergleichsjahr ein hoher Verlust nach US GAAP einem moderaten Gewinn nach deutscher Bilanzierung gegenüber. Es folgten lange Diskussionen über die Unterschiede in den nationalen Rechnungslegungsregeln. Nachdem die EU Anfang der 2000er Jahre die International Accounting Standards (IAS) als die einzigen international akzeptierten Standards für eine weitergehende Harmonisierung der EU-Bilanzen auswählte, erlaubten diese noch viele optionale Ausgestaltungen. In der Folge wurden dann die IAS im Rahmen von zwei mehrjährigen Projekten auf bessere Vergleichbarkeit und globale Kapitalmarkteignung getrimmt, also einer Ausrichtung der Unternehmen an den Interessen der Investor*innen. Einhergehend mit einem stärkeren Fokus auf den Berichtsumfang (Reporting) wurden alle wesentlichen IAS-Standards grundlegend überarbeitet und erhielten die neue Bezeichnung IFRS (International Financial Reporting Standards). Dabei wurde insbesondere auf eine Annäherung zu den US GAAP geachtet, damit irgendwann auch die USA diese anerkennen können. Dieser Prozess gilt erst heute als weitgehend abgeschlossen, als 2018 bzw. 2019 die letzten Standards IFRS 15 und IFRS 16 in Kraft traten. Allerdings werden die IFRS weiterhin nicht in den USA anerkannt, weshalb die Nutzung und Dominanz der US GAAP weiterhin besteht. Faktisch sind die IFRS über die vergangenen 20 Jahre kontinuierlich zu kleinteiligen hochkomplexen Regelungen weiterentwickelt worden. Die Big Four spielen bei der Auslegung der Anwendungsstandards eine wichtige Rolle und verteilen dazu ihre Bilanzierungshandbücher. Über die Zeit sind mittel- und längerfristige Risiken vorwiegend in die Disclosures (also den Anhängen) verlagert worden. Es ist ein Beispiel für die Anpassung an amerikanische Bilanzierungsstandards. Pax-Prüferica – Deutschland als Exempel globaler Trends Als ab Mitte der 1990er Jahre viele weitere Konzerne Daimler-Benz an die US Börse folgten oder freiwillig Konzernabschlüsse nach IAS erstellten, nahm in Deutschland der Bedarf an Expertise in US-amerikanischer Rechnungslegung wesentlich zu. Einen wichtigen weiteren Schub für die in Deutschland registrierten WPG amerikanischer Herkunft bedeutete das 1997 neu geschaffene Börsensegment „Neuer Markt“ (Aktienindex der Deutschen Börse für Unternehmen von 1997 bis 2003, die neue Technologien widerspiegelten). Für dieses Segment verpflichtete die Deutsche Börse erstmalig dort gelistete Unternehmen zur zwingenden Anwendung entweder der US GAAP oder der IAS. In direkter Konkurrenz mit den deutschen WPG erhielt Arthus Andersen erstmalig in hoher Zahl Prüfungsmandate börsennotierter Gesellschaften. Mit fast 20 Prozent aller 344 gelisteten Unternehmen gewann AA als US-WPG die meisten Mandate, gefolgt von PwC. Ähnliche Entwicklungen gab es auch in anderen europäischen Ländern mit neuen Börsensegmenten für junge technologische Unternehmen. Das Prüfungsgeschäft der US-WPG wuchs daraufhin stetig an. Durch zusätzliche Beratungsleistungen, insbesondere im Bereich der Steuerberatung, sowie der Begleitung von Akquisitionen bei größeren Börsenkonzernen erlebten diese in Deutschland wie in Europa über viele Jahre ein starkes Wachstum. Mit dieser Stärke und zunehmendem Marktgewicht waren sie ständig auf der Suche nach Kooperations- und Akquisitionskandidaten. In Hinsicht auf die rechtlichen und steuerlichen Strukturen der WPG, entwickelten die Big Four ausgeklügelte Netzwerk-Modelle, um sich einerseits steuerlich zu optimieren, aber insbesondere eine länderübergreifende Haftung auszuschließen. Geschlossene Gesellschaft Einhergehend mit der stark erhöhten Komplexität der Rechnungslegung nahmen Anfang der 2000er Jahre die Fälle fehlerhafter Bilanzierung massiv zu. Die Gründung der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) war eine Reaktion darauf. Offiziell sollte sie den Druck auf Unternehmen und Prüfer*innen erhöhen und zu mehr Kompetenz, Qualität und Sicherheit in den veröffentlichten Bilanzen nach internationalen Regeln führen. Ein willkommenes Argument für die Big Four war in den Folgejahren, dass die DPR eindeutig häufiger bei eher kleineren WPG Beanstandungen fand. Offenkundig konnten mit diesen Argumenten andere WPG insbesondere aus der Betreuung kapitalmarktorientierter Konzerne herausgedrängt werden, was sich in einer zunehmend exklusiven Prüferlandschaft bei den größeren Börsenunternehmen in Deutschland und international zeigt. Der frühere Prüfungsriese Arthur Andersen war einst Vorbild und dann Warnung vor zu starker Machtkonzentration und Marktabschottung. Eine Warnung die bisher nicht ernst genommen wurde. Die Big Four haben von der internationalen Harmonisierung der Bilanzierungs- und Rechnungslegung weiter profitiert und konnten somit ihre Machtkonzentration immer weiter ausweiten. Dabei entwickelten sie erneut eine asymmetrische Beziehung zwischen einem sehr profitablen Beratungsgeschäft und dem weniger profitablen aber ursprünglichen Prüfungsgeschäft.