Blinde Wirtschaftsprüfer*innen Hätten die Testate im Betrugsfall P&R-Container versagt werden müssen? 24.09.2020 Ein Großteil der rund 3,5 Milliarden Euro Anlegerkapital wurde beim wohl größten Anlageskandal Deutschlands vernichtet. Der seit Jahren gleiche deutsche Wirtschaftsprüfer will nichts von Containerfehlbeständen gewusst haben. Die Wirtschaftsprüfer*innen der Schweizer P&R-Gesellschaft haben bereits 2012 eine Überschuldung festgestellt. Der Charme von Direktinvestments besteht vor allem in ihrer Einfachheit. Ein*e Anleger*in kauft ein bestimmtes Wirtschaftsgut und lässt es von jemandem vermieten. Auch um den späteren Verkauf muss sich der*die Investor*in nicht selbst kümmern. Wird das ganze Investment ohne Fremdkapital finanziert, kann durch weniger Miete oder einen geringeren Verkaufspreis zwar ein Verlust entstehen, aber ein Totalverlust ist angesichts des gekauften Sachwertes eigentlich ausgeschlossen. Soweit die Theorie. In der Praxis taucht allerdings leider immer wieder das Problem auf, dass der angeblich für Anleger*innen mit ihrem Geld gekaufte Sachwert überhaupt nicht existiert. Frisches Geld wird dazu verwendet, um Altinvestor*innen auszuzahlen. Ein nach dem amerikanischen Betrüger Charles Ponzi benanntes Ponzi-System liegt vor. Manche nennen es auch Pyramiden- oder Schneeballsystem. Besonders schwierig zu durchschauen sind diese Modelle immer dann, wenn ein Teil der Investments vorhanden ist und nur ein Teil fehlt. Das Unternehmen kann dann ja gekaufte Sachwerte vorzeigen. Es täuscht „nur“ über die nicht ausreichende Anzahl. Eine Million Frachtcontainer fehlen Ein prominentes Beispiel für ein zumindest teilweise vorliegendes Schneeballsystem ist die in München ansässige Anlagefirma P&R. Sie verkaufte Seefrachtcontainer an Investor*innen. 3,5 Milliarden Euro waren beim Zusammenbruch im Frühjahr 2018 in 1,6 Millionen Container investiert. Vielleicht eine Milliarde Euro kann im Rahmen des laufenden Insolvenzverfahrens mit den vorhandenen 600.000 Containern noch gerettet werden. Die fehlenden 2,5 Milliarden Euro sind der größte Betrugsschaden, der in Deutschland jemals auf dem grauen Kapitalmarkt entstand. Viele der geschädigten 54.000 Investor*innen sind hochgebildet und in Finanzdingen sehr erfahren. Sie vertrauten einem 40 Jahre funktionierenden System. Und sie vertrauten einem Wirtschaftsprüfer, der jahrelang die Bilanzen testierte. Außerdem bestätigte er jährlich die von P&R immer pünktlich und vollständig geleisteten Zahlungen an Anleger*innen. Auch das suggerierte eine verlässliche Vertragspartnerin, bei der aber seit mindestens 2007 massive Fehlbestände bei den Containern vorlagen. In seinen Gutachten schrieb der Insolvenzverwalter, dass „spätestens seit Ende der 2000er Jahre“ für die deutschen P&R-Gesellschaften „keine positive Fortführungsprognose mehr“ vorlag. Anders sah das beispielsweise Werner Wagner-Gruper, der Wirtschaftsprüfer von P&R, in seinem Testat für das Jahr 2015 bei der P&R Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs GmbH. Zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit schrieb er: „Im Rahmen der von mir durchgeführten Prüfungen des Jahresabschlusses sind keine Umstände bekannt geworden, die gegen die Annahme der Fortführung der Unternehmenstätigkeit sprechen würden.“ Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen Um das Versagen des Wirtschaftsprüfers bei P&R noch besser zu verstehen, ist eine kurze Erklärung der Unternehmensstruktur notwendig. In Deutschland gab es insgesamt vier Unternehmen, die die Verträge mit den Anleger*innen abschlossen. Die Jahresabschlüsse dieser P&R-Firmen testierte ein deutscher Wirtschaftsprüfer. Die Container kaufte und managte allerdings ein P&R-Unternehmen mit Sitz in der Schweiz. Die Bücher dort testierte ein Schweizer Wirtschaftsprüfer. Zwischen der deutschen Gruppe und dem Arm in der Eidgenossenschaft bestand ein umfangreicher Rahmenvertrag, der die finanziellen Belange regelte. Deshalb argumentiert der von zahlreichen Anleger*innen verklagte deutsche Prüfer, er hätte ja nicht wissen können, dass in der Schweiz nur so wenige Container vorhanden seien. Klar dagegen spricht allerdings, was der Insolvenzverwalter in seinen Gutachten deutlich formulierte. Denn er hat festgestellt, dass „die tatsächliche Abwicklung der Geschäfte, insbesondere im Bereich der Zahlungswege, von den abgeschlossenen Vereinbarungen wesentlich abwich“. Müsste das einem*r Wirtschaftsprüfer*in nicht auffallen und zu genaueren Nachforschungen anregen? Es wäre bei Containern doch so einfach, den Soll-Bestand mit dem Ist-Bestand abzugleichen. Denn jede dieser Stahlboxen hat eine weltweit individuelle Nummer, die in öffentlich zugänglichen Verzeichnissen überprüft werden kann. Eine Liste mit den 1,6 Millionen an Anleger*innen verkauften Container ist also problemlos in Stichproben mit einer Liste der angeblich vorhandenen 1,6 Millionen Containernummern abgleichbar. Schon vor der öffentlichen Ankündigung der Fehlbestände wurde auf Investmentcheck von falschen Containernummern oder zu geringen Neueinkäufen berichtet. Die Stiftung Warentest hat lange vor der Insolvenz über massive Mietunterdeckungen oder die Mangelhaftigkeit der P&R-Investments berichtet. Überschuldung in der Schweiz Die Liste der massiven Warnsignale ist damit allerdings noch lange nicht erschöpft. So haben beispielsweise die Schweizer Wirtschaftsprüfer*innen in ihrem Revisionsbericht 2012 für die P&R Equipment & Finance Corp. formuliert: „Wir machen darauf aufmerksam, dass die Gesellschaft im Sinne von Art. 725 Abs. 2 OR überschuldet ist. Da einzige wesentliche Gläubigerin die verbundene P&R Container Vertriebs- und Verwaltungs GmbH München ist, hat der Verwaltungsrat von der Benachrichtigung des Richters abgesehen.“ Eine klare Ansage, die der deutsche Wirtschaftsprüfer bei der Beurteilung von Forderungen der von ihm geprüften P&R-Gesellschaften hätte berücksichtigen müssen. Denn die Bilanzen in Höhe von hunderten von Millionen Euro bestanden überwiegend eben aus „Forderungen gegen verbundene Unternehmen“. Ohne deren Werthaltigkeit wäre das Kartenhaus viel früher zusammengebrochen. Es ist schwer vorstellbar, dass der deutsche Wirtschaftsprüfer die Schweizer Bilanzen und deren Revisionsberichte nicht einsehen wollte. Wie hätte er sonst die Werthaltigkeit der Forderungen beurteilen können? Der deutsche Wirtschaftsprüfer hat also mindestens schlampig geprüft. Er hätte nach unserer Ansicht nicht bestätigen dürfen, dass die Jahresabschlüsse „ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz und Ertragslage“ aufzeigen. Er hätte die positiven Lageberichte der Geschäftsführung nicht als ein „zutreffendes Bild“ vermittelnd bezeichnen dürfen. Die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung wurden nicht wie bestätigt zutreffend dargestellt. Die von ihm als Argument angeführten Einschränkungen der Bestätigungsvermerke betrafen im Grunde nur zwei Formalien und ersetzen keinesfalls den eigentlich vorzunehmenden Versagungsvermerk. Grundsätzlich muss eine Wirtschaftsprüfung bei gewissenhafter Berufsausübung so angelegt sein, dass Aspekte erkannt werden, die sich wesentlich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens auswirken. Wenn die P&R Equipment & Finance als mit großem Abstand wichtigste Vertragspartnerin laut deren Wirtschaftsprüfer seit mindestens 2012 überschuldet war, dann dürfte das diesen Ansprüchen nicht genügen. Hat der Wirtschaftsprüfer – warum auch immer – die Anleger*innen in die Irre geführt? Am Ende werden dies Gerichte klären. Hunderte von Anleger*innen klagen auf Schadensersatz. Es wäre nicht der erste Fall, in dem Richter*innen zu Gunsten der Investor*innen entscheiden. Bleibt noch die Frage, warum der mehrheitlich sauber arbeitende Teil der Wirtschaftsprüfungsbranche nicht endlich strengere Regeln einführt, damit Interessenskonflikte und systematische Schwächen abgeschafft werden? Warum darf der gleiche Prüfer über zehn Jahre für ein Unternehmen tätig sein? Warum vergibt den Auftrag das Unternehmen und nicht eine unabhängige Institution? Wieso darf eine Prüferin gleichzeitig Beratungsleistungen erbringen? Allein diese drei Punkte würden ganz viel verändern und vermutlich Fälle wie P&R oder sogar den aktuell noch intensiver diskutierten Skandal um Wirecard verhindern.