Riester-Renten: Fragen & Antworten zur Klage

Was Sie zu dem Kölner Urteil wissen müssen

29.09.2023
Riester: Rentenkürzung

Im Kern geht es darum, eine Grundsatzfrage für viele Versicherte zu klären: Durfte sich die Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung tatsächlich das Recht vorbehalten, eine vereinbarte Riester-Rente nachträglich zu kürzen? Nein, urteilte die 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln. Die Richter*innen haben damit die Verbraucherposition deutlich gestärkt.

Als Folge ist die Rentenkürzung bei dem Kölner Riester-Kunden aus dem Jahr 2017 unwirksam – und, für den Mann ebenso wichtig, der Versicherer darf seine monatliche Zahlung auch in Zukunft nicht mehr einfach kappen. Die konkrete Klausel ist gekippt. Darüber hinaus entschieden die Richter*innen: Die Zurich hatte auch generell nicht das Recht, eine Rentenkürzung nach dem Gesetz vorzunehmen.

Der Kölner Angestellte zahlt seit dem Jahr 2006 in eine fondsgebundene Riester-Rente des Tarifs „Förder Renteinvest“. Im Jahr 2017 senkte die Zurich ihm per Mitteilung jedoch einseitig den sogenannten Rentenfaktor (siehe Frage 6). Die Folge: Je 10.000 Euro erspartem Kapital soll der Kunde ab Rentenbeginn statt der im Versicherungsschein vereinbarten 37,34 Euro Monatsrente nunmehr nur noch 27,97 Euro erhalten. Das entspricht einer Rentenkürzung um fast ein Viertel.

Diesen enormen Einschnitt bei seinem späteren Ruhegeld wollte der Kölner nicht einfach hinnehmen. Hinzu kam die Unsicherheit, ob der Versicherer bis zum Rentenbeginn im Jahr 2039 noch weitere Kürzungen vornimmt. Die Zurich hatte ihren Schritt mit dem dauerhaft niedrigen Zinsniveau am Kapitalmarkt begründet.

Im Wesentlichen hat das Gericht in drei strittigen Fragen klar zugunsten des Kunden entschieden. Die Verbraucherseite hatte damit in Köln einen 3:0 Punktsieg errungen.

Vertrauen: Gilt die ursprünglich vereinbarte Rentenumrechnung?

Hier ging es um die Frage, ob der Verbraucher auf den im Versicherungsschein vereinbarten Rentenfaktor von 37,34 Euro je 10.000 Euro Sparkapital vertrauen durfte. Der Rentenfaktor ist die Rechengröße, mit der das angesparte Kapital in eine lebenslange Monatsrente umgerechnet wird. Ja, urteilten die Richter*innen. Der Versicherte durfte sich auf diese Angabe verlassen – auch dann, wenn sie nicht mit dem Wort „Garantie“ versehen war. Der Versicherer hatte das bestritten.

Fairness: Durfte sich die Zurich im Vertrag vorbehalten, die Rente des Kölners nachträglich einseitig zu kürzen?

Nein, diese Klausel benachteiligt den Kunden und ist unwirksam, entschied das Gericht. Das bedeutet, dass der Versicherer die Riester-Rente ihres Kunden auch in Zukunft nicht aufgrund der Klausel kappen darf. Für die Planbarkeit seiner Altersvorsorge ist das ein wesentlicher Punkt. Einen Auszug aus der strittigen Vertragsklausel finden Sie unter Frage 7.

In Sachen Fairplay hat die Zurich also klar gefoult, weil sie sich selbst bessere Möglichkeiten einräumt als ihren Kund*innen. Die Anbieterin behält sich vor, die Rente bei einer schlechten Lage am Kapitalmarkt zu kürzen – ohne Kund*innen im Gegenzug auch eine Erhöhung einzuräumen, wenn es am Kapitalmarkt besser läuft als gedacht.   

Diese Regelung gehe zum Nachteil des Versicherungsnehmers, befanden die Richter*innen. Anpassungsklauseln müssten „das vertragliche Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung in beide Richtungen wahren. Vorliegend regelt die Klausel jedoch nur die Voraussetzungen für die Herabsenkung des Rentenfaktors. Aussagen über Voraussetzungen zur Heraufstufung des Rentenfaktors trifft sie nicht.“

Lesen Sie weitere Auszüge aus dem Urteil der Kölner Richter.

Rechtsgrundlage: Hält die rechtliche Grundlage für die Rentenkürzung, die die Zurich anführt, einer Überprüfung stand?

Auch hier stellten sich die Richter*innen auf die Seite des Versicherten. Die Regelung des Paragrafen 163 Versicherungsvertragsgesetz eröffnet dem Versicherer demnach „keine Anpassungsbefugnis für den Fall, dass der Versicherer geringere Kapitalerträge erwirtschaftet, als er bei der Festlegung des Rechnungszinses kalkuliert hat.“

Das Kölner Urteil ist für die Verbraucherseite ein Erfolg auf der ganzen Linie.

Finanzwende unterstützt Verbraucher*innen gegen die Zurich auch weiterhin, denn es geht um Fragen, die sehr viele Altersvorsorge-Sparer*innen betreffen: Welche einseitigen Rechte dürfen sich Versicherer vertraglich gegenüber Kund*innen sichern – zum Beispiel für den Fall, dass es am Kapitalmarkt nicht so läuft wie gedacht? Und wie planbar und verständlich muss eine Altersvorsorge geregelt sein? Kurzum: Es geht um die Frage, wie viel Freiheiten darf sich ein Versicherer herausnehmen.

Genau lässt sich das nicht sagen. Finanzwende schätzt aber, dass bundesweit einige zehntausend Versicherte mit Rentenkürzungen betroffen sein könnten.

Es gibt neben der Zurich zudem auch andere große Versicherer wie die Marktführerin Allianz, die bei fondsgebundenen Riester-Renten oder Rentenversicherungen aufgrund ähnlicher Klauseln einseitig die zukünftigen Renten ihrer Kund*innen gekappt haben. Allein bei der Allianz soll es Medienberichten zufolge um 700.000 Versicherte gehen. Das Landgericht Stuttgart hat eine Klage gegen die Allianz in erster Instanz abgewiesen (Az. 53 O 214/22). Dort hat die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg geklagt und Berufung eingelegt. Nun soll das Oberlandesgericht entscheiden, der Ausgang ist offen.

Von dem Urteil geht eine Signalwirkung aus, weil zum ersten Mal in der Frage einer einseitigen Rentenkürzung entschieden wurde – im Sinne der Verbraucher*innen. Es ebnet den Weg für andere Betroffene ein gutes Stück und hat ihre Chancen bei einem Streit verbessert. Versicherte mit laufenden Verfahren und vergleichbaren Klauseln können sich ab sofort auf das Kölner Urteil berufen (Az. 26 O 12/22).

Ganz so unmittelbar, wie es sich viele Versicherte erhoffen, ist die Wirkung auf andere Fälle aber nicht. Das hat rechtliche Gründe. Zum einen ist der Kölner Fall als Einzelklage nur für die konkret Beteiligten – also den Kölner Sparer und die Zurich – rechtlich bindend. Weil höchstrichterlich noch nichts entschieden ist, können Gerichte anderswo auch anders urteilen. Zum anderen kommt es stets auf die exakte Formulierung in den Vertragsbedingungen an. Weil sich diese je nach Tarif und Abschlusstermin sogar bei demselben Versicherer unterscheiden, müssen die möglichen Erfolgsaussichten bei jedem Versicherten individuell begutachtet werden.

Eine wichtige Rolle. Bei fondsgebundenen Riester-Renten und Rentenversicherungen wissen Kund*innen zum Sparstart nicht genau, wie viel Geld sie zu Rentenbeginn in ihrem Vorsorgetopf haben wird. Diese Summe hängt bei fondsgebundenen Produkten schließlich davon ab, wie gut die Börse und die Fonds der Kund*inne laufen.

Immerhin vereinbaren Versicherungsgesellschaften einen sogenannten Rentenfaktor. Das ist die maßgebliche Rechengröße, mit der das angesparte Kapital später in eine lebenslange Monatsrente umgerechnet wird. Je 10.000 Euro gibt es bei einem Rentenfaktor 30 dann also 30 Euro Monatsrente. Bei einem Sparkapital von beispielsweise 120.000 Euro wären es demnach 360 Euro Rente im Monat.

So weit, so überschaubar. Nur: Wenn die Anbieterin den ursprünglich vereinbarten Rentenfaktor noch bis zum Ruhestand absenken kann, stellt sich für die Versicherten die Frage, auf welche Rente sie sich verlassen können.

Bei juristischen Fragen geht es immer um ganz konkrete Vertragsklauseln, die sich von Tarif zu Tarif und auch von Versicherer zu Versicherer unterscheiden können. Im Fall des Kölner Kunden geht es unter anderem um die Produktbedingungen, in denen sich die Zurich das Recht vorbehält, den Rentenfaktor einseitig zu kürzen. In den Klauseln findet sich dazu folgender Passus:

 „Bereits bei Vertragsschluss nennen wir Ihnen die Monatsrente je 10.000 EUR Vertragsguthaben zum Ende der Ansparphase. […] Wenn sich die Lebenserwartung unerwartet stark erhöht bzw. die Rendite der Kapitalanlagen nicht nur vorübergehend absinkt und dadurch die langfristige Erfüllbarkeit einer lebenslangen Rentenzahlung nicht mehr sichergestellt ist, sind wir berechtigt, Ihre Monatsrente je 10.000 EUR Vertragsguthaben so weit herabzusetzen, wie dies erforderlich ist, um diese langfristige Erfüllbarkeit zu gewährleisten. […]“

Die Zurich kann die Rente demnach bis zum Rentenbeginn einseitig herabzusetzen, zum Beispiel, wenn die Rendite der Kapitalanlagen längerfristig sinkt. Es gibt aber auch Voraussetzungen für eine solche Absenkung: Zum einen muss die langfristige Erfüllbarkeit der Rentenzahlung gefährdet sein, zum anderen muss dies ein*e unabhängige*r Treuhänder*in bestätigen.

Der Schutz von Verbraucher*innen gehört zu den erklärten Zielen der Bürgerbewegung Finanzwende. Dazu gehört auch, Kund*innen vor Gericht bei der Durchsetzung ihrer Rechte zur Seite zu stehen – insbesondere dann, wenn es sich um grundlegende Fragen handelt, deren Klärung vielen Verbraucher*innen zugutekommt.

Im Fall der gekürzten Riester-Renten sehen wir eine solche grundlegende Rechtsfrage, die zigtausende Lebensversicherte betreffen kann. Denn wenn ein Versicherer aufgrund mauer Kapitalmärkte die vereinbarte Rente kappen kann, ändert er einseitig die Spielregeln zu seinen Gunsten – insbesondere dann, wenn er bei haussierenden Kapitalmärkten im Gegenzug keine höheren Renten als ursprünglich vereinbart verspricht.

Aus Sicht von Finanzwende handelt es sich um eine unfaire Regel – und eine Schieflage zulasten der Kund*innen. Die Folgen für die Altersvorsorge der Versicherten sind erheblich: Sie haben sich in aller Regel für eine Rentenversicherung entschieden, um ein verlässliches Ruhegeld zu erreichen. Das gilt besonders für staatlich geförderte Riester-Verträge. Wenn der Versicherer sich allerdings das Recht vorbehält, die Rente bis zum letzten Tag vor dem Ruhestand zu kürzen, ist eben diese Planbarkeit dahin.

Eine planbare Rentenzahlung ist das zentrale Leistungsversprechen einer privaten Rentenversicherung. Fällt es weg, stellt sich für Verbraucher*innen die Frage: Warum soll ich überhaupt eine Rentenversicherung abschließen und nicht anderweitig für das Alter sparen?

Die Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung ist hierzulande einer der großen Lebensversicherer. Die Gesellschaft mit Sitz in Köln ist seit vielen Jahrzehnten auf den Verkauf von fondsgebundenen Versicherungen spezialisiert. In diesem Bereich gehört die Zurich – gemessen am Marktanteil – zu den drei größten Anbieterinnen. Der Streit vor Gericht betrifft also eine der großen und typischen Anbieterinnen von fondsgebundenen Riester-Renten und Rentenversicherungen.

Auch abseits der umstrittenen Rentenkürzungen ist die Zurich bislang nicht als verbraucherfreundlich aufgefallen. Im Jahr 2021 zählte der Versicherer zum Beispiel zu den Unternehmen mit den höchsten Abschlusskostensätzen, ergab eine Auswertung des Fachdienstes Map-Report. Beim Kostenvergleich von Riester-Policen, den Finanzwende vor gut zwei Jahren veröffentlichte, gehörte der „Varioinvest“-Tarif der Zurich ebenfalls zu den teuren Angeboten.

Die Zurich arbeitet im Vertrieb unter anderem mit der Deutschen Bank, mit der es eine langjährige Kooperation im Privatkundengeschäft gibt. Viele Versicherte haben Verträge über diesen Weg abgeschlossen.

Die Bürgerbewegung Finanzwende begleitet die staatlich geförderte Riester-Rente bereits seit Jahren sehr kritisch – mit einer Studie zur Offenlegung der Riester-Kosten und einer Kampagne zum Stopp der Riester-Rente gemeinsam mit Verbraucherschützer*innen vom Bund der Versicherten und dem Verbraucherzentrale Bundesverband.

Mit dem Verfahren gegen die Zurich stand Finanzwende Verbraucher*innen nun auch ganz konkret zur Seite, um unfaire Vertragsklauseln anzugreifen und ihre Interessen gegenüber Finanzdienstleister*innen durchzusetzen – notfalls auch vor Gericht.

Wir bleiben dran.


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