CumEx: Finanzwende-Vorstand erstattet Strafanzeige wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt

17.07.2020
Gerhard Schick

Gerhard ist promovierter Volkswirt, ehemaliges Mitglied des Bundestages, Mit-Initiator des Vereins und dessen geschäftsführender Vorstand. Er hat sein Bundestagsmandat für die Arbeit in der Nichtregierungsorganisation zum 31.12.2018 niedergelegt. Hier finden Sie seinen Lebenslauf, ein Pressefoto und ein alternatives Pressefoto.

Video: Deshalb erstatte ich Strafanzeige

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Im Video-Statement erklärt Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick, wieso er Strafanzeige gegen Mitarbeiter des BZSt erstattet.
  • Finanzwende-Vorstand erstattet Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt) wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt
  • Bei CumEx handelt es sich um den wohl größten Steuerraub der deutschen Geschichte, der Staat wurde um Milliarden betrogen; bei der rechtlichen Aufarbeitung lässt er sich nun ein weiteres Mal vorführen
  • Eine für die Aufklärung zentrale Liste wurde erst im Juni 2020 in voller Länge an die ermittelnde Staatsanwaltschaft übergeben
  • Die BZSt-Mitarbeiter müssten gut über den Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft Bescheid gewusst haben. Außerdem sind sie per Gesetz zur Übermittlung solcher Informationen verpflichtet.

Die jüngsten Nachrichten zu CumEx erzeugen einen beunruhigenden Verdacht: Kann es sein, dass die schleppende Aufklärung der CumEx-Fälle damit zu tun hat, dass manche Behörden und ihre Mitarbeiter gar nicht aufklären wollen?

Dass sich der Staat von Finanzprofis über viele Jahre lang hat ausplündern lassen, ist nämlich leider nur der eine Teil des CumEx-Skandals. Der andere ist, dass sich der Staat nun bei der rechtlichen Aufarbeitung der Geschäfte erneut über den Tisch ziehen lässt. Zahlreiche Straftaten werden wahrscheinlich ungesühnt bleiben, Millionen oder gar Milliarden werden nicht wieder reingeholt werden können, weil der Staat bei der Überführung der Täter und dem Zurückholen der Gelder schlecht aufgestellt ist.

Geht man der Frage nach, warum das eigentlich so schlecht funktioniert, stößt man auf eine merkwürdige Zurückhaltung mancher Behörden bei der Unterstützung der Staatsanwaltschaft Köln, bei der die meisten CumEx-Verfahren nun gebündelt sind. Diese Zurückhaltung ist schon seit Längerem für alle ehrlichen Steuerzahler, die in den Rechtsstaat vertrauen, ein Ärgernis. Und jetzt ist nach der Rechtsauffassung von Finanzwende zumindest in einem Punkt sogar eine wichtige Schwelle überschritten: Wir halten das Verhalten einzelner Mitarbeiter des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt) für strafbar.

Die CumEx-Geschäfte als Ausgangspunkt

CumEx-Geschäfte wurden seit den 1990er Jahren getätigt. Dabei ging es darum, rund um einen Stichtag Aktien so schnell hin und her zu schieben, dass der Eindruck entstehen konnte, zu einem Zeitpunkt seien mehrere Akteure Eigentümer einer Aktie. Diesen Umstand nutzten dann die CumEx-Täter, indem sie im Anschluss Steuern zurückforderten, die sie jedoch als nur vermeintliche Eigentümer der Aktie nie gezahlt hatten (mehr Einzelheiten hier). Im Jahr 2007 gab es mit dem Jahressteuergesetz einen ersten Ansatz, die Geschäfte einzudämmen. Allerdings stieg die Anzahl der illegalen CumEx-Geschäfte nach 2007 nur noch weiter. Das Thema CumEx erhielt im Mai 2009 im Bundesfinanzministerium (BMF) erneut Beachtung, nachdem ein Brancheninsider vor Schäden für die öffentlichen Haushalte in Milliardenhöhe gewarnt hatte. Ab diesem Zeitpunkt begann das Bundesministerium der Finanzen erneut, gegen die Geschäfte vorzugehen. Erst zum Jahresende 2011 wurden die Geschäfte jedoch durch eine technische Neuregelung unmöglich gemacht. Quantitativ gelten die Jahre 2009 bis 2011 als die Jahre mit den umfangreichsten CumEx-Geschäften

2013 starteten Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Köln gegen Beteiligte. Ein erstes Strafverfahren gegen zwei geständige Mitwirkende kam im März 2020 vor dem Landgericht Bonn zum Abschluss. Inzwischen liegen weitere 68 Fallkomplexe bei der Staatsanwaltschaft Köln mit insgesamt 880 Beschuldigten. Der Präsident des Landgerichts Bonn hat kürzlich angesichts der Tatsache, dass die für diese Fallkomplexe zuständige Staatsanwaltschaft Köln nur mit 8,7 Stellen ausgestattet ist, vor drohenden Verjährungen gewarnt.

Die Einführung von Berufsträgerbescheinigungen

Ein erster Schritt des Ministeriums in der Bekämpfung von CumEx bestand 2009 in einer Rechtsverordnung, die die Einführung von so genannten Berufsträgerbescheinigungen vorsah.

Nun mussten alle Banken, Fonds und sonstige Akteure, die an CumEx-Geschäften mitwirkten, eine Erklärung abgeben, dass bei Geschäften um den Dividendenstichtag keine gegenseitigen Absprachen vorgenommen wurden. Ansonsten würde man keine Steuererstattung erhalten, die den Kern der CumEx-Geschäfte bildete. Die Bescheinigungen mussten Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ausstellen. Die Idee war zunächst einmal logisch: Die unerwünschten CumEx funktionieren nur mit Absprachen. Wenn man sicherstellt, dass es keine Absprachen gibt, dann ist das Problem gelöst.

Allerdings gingen die Geschäfte trotzdem munter weiter. Die CumEx-Akteure ließen sich einfach die Bescheinigungen ausstellen. Der Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer musste eh nur bestätigen, dass er keine Kenntnis von Absprachen hatte. Diese Bescheinigung war offenbar leicht zu erhalten.

Alle Meldungen wurden vom BZSt in einer Liste gesammelt. Alle, die zwischen Inkrafttreten der entsprechenden Verordnung und dem Ende der CumEx-Geschäfte Ende 2011 erfolgreich Steuererstattungen im Rahmen von CumEx-Geschäften erhalten haben, müssten also auf dieser Liste verzeichnet sein, einschließlich relevanter weiterer Informationen zu Personen und Transaktionen. Die Liste stellt daher einen idealen Ausgangspunkt für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu CumEx dar.

Die mühsamen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln zu CumEx begannen 2013. Zwar war staatlichen Stellen schon länger bekannt, dass CumEx-Transaktionen stattfanden. Allerdings waren die einzelnen Banken oder Fonds sowie die einzelnen Tatverdächtigen und ihre Rolle innerhalb der jeweiligen Akteursgruppe nicht bekannt, was die Strafverfolgung massiv erschwerte bzw. zunächst unmöglich machte. Zentral für den Einstieg in die Ermittlungen waren deshalb die Informationen aus einem zivilrechtlichen Verfahren, die der Stuttgarter Rechtsanwalt Eckart Seith der Staatsanwaltschaft übergab. Denn diese enthielten interne Dokumente einer an CumEx beteiligten Bank und erlaubten deshalb, einzelne Akteure und ihr Zusammenspiel zu identifizieren. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft wiederum motivierten einzelne Tatverdächtige zu Geständnissen. Es hat trotzdem 7 Jahre gedauert, bis die Staatsanwaltschaft Köln ihren ersten Erfolg vor dem Landgericht Bonn erzielte. Zwei Beschuldigte wurden im März 2020 wegen CumEx-Geschäften zu Bewährungsstrafen verurteilt. Beide hatten ausgiebig mit der Staatsanwaltschaft kooperiert.

Allerdings bezogen sich die genannten Informationen nur auf einen bestimmten Fallkomplex und damit nur auf einen Teil der CumEx-Geschäfte. In anderen Fällen fehlte ein entsprechender Ausgangspunkt für die Ermittlungen, was diese verzögerte. Möglicherweise sind weitere Fallkomplexe noch gar nicht bekannt und schon verjährt. Denn bis spätestens 10 Jahre nach der Tat muss die Staatsanwaltschaft bestimmte Schritte vorgenommen haben, damit eine Tat dieser Art nicht verjährt. Das kann sie aber nur, wenn sie bis dahin zumindest so viele Hinweise auf konkrete Tatverdächtige hat, dass solche verjährungshemmenden Maßnahmen eingeleitet werden können.

Die Rolle des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt) bei der Aufarbeitung von CumEx

Im Jahr 2011 fiel einer Mitarbeiterin des BZSt das große Volumen der Steuererstattungen an bestimmte Banken bzw. Fonds auf. In der Folge kam es zu einem Stopp der Auszahlungen des BZSt an die fraglichen Akteure. Zahlreiche Rechtsstreitigkeiten folgten. So verklagte der US-Fonds KK Law Firm Retirement Plan Trust das BZSt 2017 wegen nicht erfolgter Erstattungen. Der Prozess endete im Juli 2019 damit, dass der Richter des Finanzgerichts Köln CumEx-Geschäfte als „kriminelle Glanzleistung“ bezeichnete und die Klage abwies.

In den Jahren 2016/2017 nahm sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags der Rolle des BZSt an, forderte zahlreiche Unterlagen des BZSt an und lud die Hausspitze sowie zuständige Mitarbeitende als Zeugen vor. Zahlreiche Mitarbeitende im BZSt waren mit der Aufarbeitung von CumEx beschäftigt. Schon damals war es auffällig, dass manche Mitarbeiterinnen sehr engagiert die CumEx-Geschäfte bekämpften, die Hausspitze hingegen machte auf manche Beobachter einen erstaunlich uninformierten und desinteressierten Eindruck.

Der Umgang mit der Liste der Berufsträgerbescheinigungen

Während des ersten strafrechtlichen CumEx-Prozesses am Landgericht Bonn wurde am 19. November 2019 ein Referatsleiter des BZSt geladen. In seinen Aussagen erwähnte er erstmals die Liste der Berufsträgerbescheinigungen. Laut Medienberichten soll die Liste im November 2009 angelegt worden sein und 566 Einträge haben. Von der Existenz dieser Liste hatte die Staatsanwaltschaft Köln offenbar bis dahin keine Kenntnis. Die Staatsanwaltschaft Köln forderte diese Liste in der Folge beim Bundesfinanzministerium an und erhielt sie im Juni 2020. Die Staatsanwaltschaft kritisierte, dass ihr die Existenz der Liste nie mitgeteilt worden und die Liste selbst „auch auszugsweise“ nicht vorgelegt worden sei. Das Dokument sei in jedem Fall ermittlungsrelevant. Die Liste soll vom BZSt an das Finanzministerium weitergegeben worden sein.

Nach Auskunft des BMF hat das BZSt die Liste auch vor der Übersendung an die Staatsanwaltschaft eigenständig geprüft, jedoch der Staatsanwaltschaft nur „fallbezogen, also im Zusammenhang mit konkreten Fällen, Informationen aus der Liste übermittelt.“

Die Existenz der Liste war also offenbar in den über zehn Jahren zwischen ihrer Erstellung im November 2009 bis zur Übersendung an die Staatsanwaltschaft im Juni 2020 den für die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Köln Verantwortlichen im BZSt nicht nur bekannt, sie wurde auch aktiv verwendet. Indem nur bei bereits konkreten Fällen auf Anfragen der Staatsanwaltschaft hin aus ihr berichtet, die Liste aber nicht insgesamt übermittelt wurde, wurde der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit verwehrt, aus der Gesamtheit der Einträge möglicherweise noch unbekannte Fälle frühzeitig zu erkennen und für die Ermittlungen zu nutzen.

Man kann das eigentlich nur so interpretieren, dass die Mitarbeiter des BZSt der Staatsanwaltschaft jeweils nur dort Auskunft gaben, wo die Staatsanwaltschaft den Tatverdächtigen eh schon auf der Spur war. Das jedoch ist nicht die aktive Unterstützung der Ermittlungen, die man von einer mit der Ermittlung von Steuerstrafsachen betrauten Behörde erwarten würde.

Die rechtliche Einordnung von Finanzwende

Das BZSt ist nicht irgendeine Behörde. Es ist sozusagen das Finanzamt auf Bundesebene und hat die Zuständigkeit, in Steuerstrafsachen entweder selbst zu ermitteln oder die relevanten Informationen an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterzugeben. Die Staatsanwaltschaft kann auch von sich aus Steuerstrafsachen an sich ziehen und die Ermittlungen übernehmen. Damit das möglich ist, muss das Bundeszentralamt für Steuern der zuständigen Staatsanwaltschaft die Informationen, die sie braucht, übermitteln. Wenn ermittlungsrelevante Informationen zurückgehalten werden, wird das Bestrafen der Täter erschwert. Wenn das wissentlich oder vorsätzlich geschieht, ist das ein Straftatbestand, nämlich Strafvereitelung im Amt.

Diejenigen Mitarbeitenden des BZSt, die die Liste kannten, mussten aufgrund ihrer offenbar mehrfachen Kontakte mit der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit CumEx relativ gut über den Stand der Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft Bescheid wissen. Außerdem mussten sie aufgrund einer vom Finanzministerium allgemein bekannt gemachten Gerichtsentscheidung wissen, dass sie zur Übermittlung von solchen Informationen an die zuständige Staatsanwaltschaft verpflichtet sind. Es ist vor diesem Hintergrund wenig plausibel, dass die Liste der Berufsträgerbescheinigungen der Staatsanwaltschaft nicht wissentlich vorenthalten wurde.

Deswegen erstattet Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick Strafanzeige gegen Mitarbeiter des BZSt wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt.

Der Verdachtsvorwurf von Finanzwende richtet sich gegen alle Bedienstete des BZSt, die Einsicht in die Liste hatten und diese nicht an die Staatsanwaltschaft weitergereicht beziehungsweise die Staatsanwaltschaft nicht hiervon informiert haben. Unter anderem richtet sich der Verdachtsvorwurf gegen den Referatsleiter, der im Verfahren der Staatsanwaltschaft Köln am 19.November 2019 in der Hauptverhandlung beim Landgericht Bonn vernommen wurde. Uns ist zugetragen worden, dass er inzwischen von dieser Aufgabe entbunden wurde. Diese Information konnten wir jedoch bisher nicht verifizieren.

Die Rolle des Bundesfinanzministeriums

Die Liste der Berufsträgerbescheinigungen ist vom BZSt an das Bundesfinanzministerium übermittelt worden und war dort bekannt. Von dort hat im Juni 2020 die Staatsanwaltschaft auch die Liste erhalten. Anders als das BZSt ist das BMF allerdings keine Steuerbehörde und hat keine Ermittlungsbefugnisse oder –pflichten. Dass die Mitarbeiter der Steuerabteilung, die Kenntnis von der Liste haben, diese auch nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet oder beim BZSt eine entsprechende Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft veranlasst haben, ist extrem ärgerlich. Nach unserer Rechtsauffassung ist dieses Verhalten allerdings nicht strafrechtlich relevant, weil es zu einer Mitwirkung an der Aufklärung von Steuerstrafsachen hier keine Verpflichtung gibt.

Das Ziel von Finanzwende

Deutschland hat ein Problem mit Finanzkriminalität. Anlagebetrug (wie bei P&R), Bilanzmanipulation (wie offenbar bei Wirecard), Geldwäsche (wie bei der Danske Bank mittels Deutscher Bank als Korrespondenzbank), Steuerkriminalität (CumEx etc.) – die Liste ist erschreckend. Das alles ist möglich, weil Behörden wegschauen, sich nicht für zuständig erklären oder sogar das Falsche tun. Finanzwende setzt sich für weniger Kriminalität am Finanzmarkt ein. Mit dieser Strafanzeige wollen wir erreichen, dass in diesem konkreten Fall die Verantwortlichen für die schleppende Aufklärung von CumEx zur Rechenschaft gezogen werden.

Dies ist auch ein Signal für die Zukunft: Wir werden ein sehr genaues Auge haben auf alle Behörden, die bei der Aufklärung von CumEx mitwirken sollten. Wir erwarten eine optimale Zusammenarbeit, um möglichst alle Täter zur Verantwortung zu ziehen und möglichst viel von dem verlorenen Geld zurückzuholen. Vor allem aber muss durch eine optimale juristische Aufarbeitung, zu der auch eine ausreichende Personalausstattung zählt, jedem am Finanzmarkt deutlich gemacht werden, dass Finanzkriminalität in Deutschland professionell verfolgt und nicht einfach toleriert oder gar gedeckt wird.


Quellen:

https://www.tagesschau.de/cum-ex-135.html  Stand: 29.06.2020 18:03 Uhr, abgerufen am 12.07.2020.

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/urteil-gegen-cum-ex-investor-gericht-weist-klage-auf-steuererstattungen-bei-cum-ex-handel-ab-mit-deutlichen-worten/24681450.html Stand: 19.07.2019 18:28 Uhr, abgerufen am 13.07.2020.

https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/127/1812700.pdf Stand: 20.06.2017, abgerufen am 13.07.2020.