Die nicht so grüne Bundesanleihe

Warum die grüne Bundesanleihe nicht hält, was sie zu versprechen scheint.

08.09.2020
Dr. Moritz Kraemer

Dr. Moritz Kraemer ist Chief Economic Advisor der Kapitalmarktberatungsfirma Accreditus und Mitglied der Initiative "Neues Wirtschaftswunder" für eine sozial-ökologische Transformation. Bis 2018 leitete er die globale Staatenratingsabteilung von Standard & Poor’s. Er lehrt am House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt und dem Centre International de Formation Européenne (Nizza).

Gießkanne gießt Geldscheine auf Windräder und Fahrradfahrer.
  • Die grüne Bundesanleihe hält nicht, was sie zu versprechen scheint. Sie ist allenfalls dazu geeignet offenzulegen, wie niedrig die im Bundeshaushalt eingestellten und großzügig berechneten „grünen“ Ausgaben tatsächlich sind.
  • Die Finanzagentur wird im Anleihemarkt intervenieren mit dem Ziel, die Zinskurve der grünen Bundesanleihen derjenigen konventioneller Anleihen anzugleichen. Diese ungewöhnliche Strategie  verhindert die Entstehung eines echten grünen Referenzrahmens für die Bepreisung der Green Bonds anderer Emittenten. Der mögliche Beitrag des Bundes zur Weiterentwicklung des grünen Marktsegmentes wird damit potentiell unterhöhlt.
  • Weiterhin werden mit den Erlösen lediglich solche „grünen“ Staatsausgaben refinanziert, die bereits in der Vergangenheit getätigt wurden. Diese Rückwärtsgewandtheit ist ein Novum im Green Bond Segment. Da dieses Vorgehen wenig geeignet ist, eine Diskussion über die Zusammensetzung von Staatsausgaben anzuregen handelt es sich hierbei um eine negative „Innovation“.

Anfang September verkaufte Deutschland ihre allererste grüne Bundesanleihe. Einige Analysten und Kommentatoren halten diese Emission für einen Wendepunkt für den Markt für grüne und nachhaltige Anleihen insgesamt. Bei näherer Betrachtung wird die grüne Bundesanleihe jedoch wahrscheinlich hinter den Erwartungen zurückbleiben. Es gibt zwei Hauptgründe, warum die Anleihe weniger richtungsweisend ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

Kaum mehr als ein Feigenblatt?

Erstens wird die Anleihe zu keinen zusätzlichen Umweltschutzbemühungen führen. Die Finanzierung folgt den Projekten, nicht umgekehrt. Der Mangel an sogenannter „Additionalität“ lässt sich natürlich für die meisten grünen Anleihen konstatieren. Aber das von Deutschland geplante eigenwillige Design macht jede Zusätzlichkeit noch unwahrscheinlicher. Normalerweise sollen die Erlöse aus dem Verkauf von grünen Anleihen für zukünftige grüne Projekte verwendet werden. Die Verknüpfung von Einnahmen mit zukünftigen Projekten bedeutet natürlich nicht, dass notwendigerweise grüne Ausgabenprogramme angestoßen werden, die es ohne die grüne Anleihe nicht gegeben hätte. Aber mit einem vorausschauenden Ansatz lässt sich zumindest argumentieren, dass er eine gesunde Debatte innerhalb der Regierungskabinette und Ministerien darüber fördert, wie die Budgetstruktur stärker auf Ausgabenprogramme zugunsten einer nachhaltigeren Wirtschaftsentwicklung ausgerichtet werden kann.

Im Gegensatz dazu werden die Einnahmen aus grünen Bundesanleihen vollständig für grüne Projekte verwendet, die bereits in der Vergangenheit abgewickelt wurden. Es ist nicht leicht vorstellbar, wie dieser rückwärts gewandte Ansatz auch nur ansatzweise zu strukturellen Verschiebungen im Haushalt führen wird. In diesem Rahmen sind grüne Anleihen kaum mehr als ein Feigenblatt. Für 2019 hat die Regierung bis zu 12,7 Milliarden Euro an förderfähigen Ausgaben identifiziert, die nun durch grüne Anleihen refinanziert werden sollen. Angesichts des für dieses Jahr erwarteten Budgets von über 500 Milliarden Euro ist dies in der Tat eine dürftige Summe.

Darüber hinaus hat die Regierung großzügig gerechnet. Die 12,7 Milliarden Euro umfassen beispielsweise Investitionen in die Modernisierung des Schienenverkehrs, die teilweise nur eine Korrektur der jahrelangen Unterinvestitionen darstellen, als man die Infrastruktur still und leise verfallen ließ. Nach einer strengen Definition beliefen sich die Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt für den "Umweltschutz" im vergangenen Jahr auf etwas mehr als 1 Milliarde Euro.

Diese unbedeutende Zahl ist zum Teil der föderalen Struktur Deutschlands geschuldet: ein erheblicher Anteil der „grünen“ öffentlichen Investitionen erfolgt über lokale und regionale Regierungen. Sie deutet aber auch darauf hin, dass eine radikale Neuausrichtung des Haushalts auf umweltpolitische Ziele eine viel dringendere Aufgabe ist als die Ausgabe grüner Anleihen.

Nur ein Zwilling konventioneller Anleihen?

Zweitens wird die Hoffnung, dass die Entwicklung einer risikofreien grünen Renditekurve eine Sogwirkung ausübt, die andere Emittenten in den Markt für grüne Anleihen zieht, wahrscheinlich enttäuscht werden. Diese Skepsis basiert auf der Tatsache, dass die deutsche Regierung die innovative Struktur der "Zwillingsanleihen" entwickelt hat. Nach dem Zwillingskonzept ist die grüne Anleihe lediglich eine grüne Kopie einer bestehenden konventionellen Anleihe mit identischem Kupon und identischen Laufzeiten.

Die Regierung hat klargestellt, dass die Finanzagentur des Bundes die grüne Zwillingsanleihe auf dem Sekundärmarkt kaufen wird, sollte ihr Kurs unter den Kurs der konventionellen Benchmark-Zwillingsanleihe fallen. In einer so genannten Switch-Transaktion würde die Agentur gleichzeitig den gleichen Betrag der konventionellen Zwillingsanleihe an den Markt geben, um die ausstehende Gesamtverschuldung unverändert zu halten. Theoretisch könnte der grüne Zwilling durch Intervention der Agentur vollständig vom Sekundärmarkt verschwinden. In ähnlicher Weise würde die Agentur, sollte der Preis des grünen Zwillings über den Preis des konventionellen Zwillings steigen, den umgekehrten Tausch vornehmen, solange sie grüne Anleihen in Reserve hält, die sie zuvor erworben hat.

Mit anderen Worten, die Regierung strebt einen "Wechselkurs" von 1:1 zwischen dem konventionellen und dem grünen Zwilling an. Dadurch werden potenzielle Bedenken der Investoren ausgeräumt, dass das grüne Segment weniger liquide sein könnte. Denn das würde dazu führen, das bei der Emission eine Liquiditätsprämie verlangt würde. Eine solche Prämie würde die Finanzierungskosten der Regierung erhöhen, was sie verständlicherweise vermeiden möchte.

Gleichzeitig verhindert ein gezielter Preisausgleich das Entstehen einer echten grünen Zinskurve, entlang derer andere grüne Anleihen bepreist werden könnten. Die Regierung möchte, dass die grüne Renditekurve die konventionelle imitiert. Die grüne und die konventionelle Anleihe sind nicht nur Zwillinge. Sie sind eineiige Zwillinge. Auf diese Weise bleibt der deutsche Beitrag zum Markt für grüne Anleihen hinter seinem Potenzial zurück.

Darüber sollten wir uns keine allzu großen Sorgen machen. Tatsächlich gibt es bereits AAA-Emittenten, die eine "reine", nicht-interventionistische grüne Zinskurve bieten, darunter auch Deutschlands eigene staatlich garantierte Entwicklungsbank KfW. Die Europäische Investitionsbank (EIB) hat bereits eine grüne Zinskurve, die bis auf 25 Jahre hinausreicht. Der ausstehende Betrag der grünen Anleihen der EIB (35 Milliarden Euro) wird mit der Erweiterung ihres politischen Mandats als grüne Bank der EU vermutlich weiter rasch anwachsen.

Lösen die Anleger die Problematik?

Trotz des gewählten eigenwilligen grünen Anleihendesigns ist ein positives Ergebnis durchaus möglich. Die erste Begebung läßt es wahrscheinlich erscheinen, dass der Appetit der Anleger auf grüne Bundesanleihen so groß sein wird, dass ihre Kurse beständig über denen ihrer konventionellen Zwillinge zu liegen kommen. In diesem Fall kann die Schuldenagentur nicht eingreifen, um die Renditekurven auszugleichen. Sie wird schlichtweg nicht ausreichend grüne Anleihen in Reserve halten, um sie auf dem Markt zu verkaufen. Die Preise der grünen Bundesanleihen würden sich somit nicht sinken. Sie blieben dauerhaft höher als die ihrer konventionellen Zwillinge.

Eine grüne Zinskurve würde sich dann unterhalb der konventionellen etablieren. Die Regierung könnte einen Finanzierungsvorteil realisieren, indem sie in Zukunft mehr grüne Anleihen ausgibt. Das würde über kurz oder lang eine Erhöhung der klimaschonenden öffentlichen Investitionen erfordern, um die Einnahmen aus grünen Anleihen mandatsgerecht zu absorbieren. Vielleicht werden der Finanzierung doch noch Projekte folgen? Das wäre ein doppelter Gewinn und würde das Klima sowohl auf dem Markt für grüne Anleihen als auch auf dem Planeten verbessern. Das wären gute Nachrichten für Anleihenbullen und Eisbären.
 

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autoren geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.