Nachhaltige Finanzierung – Wenn Anspruch auf Wirklichkeit trifft

19.07.2019
2 Hände halten Geldscheine, auf welchen Windräder wachsen und ein Vogel fliegt durch die Luft.

In Brüssel vergeht keine Woche ohne Tagungen, Konferenzen, neuen Kommissionen, und öffentlichen Konsultationen zum Thema „nachhaltige Finanzierung“. Sustainable Finance aller Orten! Gut so, sollte man denken! Endlich tut sich etwas im Finanzmarkt bezüglich Klimaschutz und der Nachhaltigkeit.

Der „Aktionsplan Nachhaltige Finanzierung“ der EU Kommission ist ehrgeizig und beinhaltet eine ganze Reihe von Initiativen: Zentrale Bedeutung kommt dabei der Expertengruppe für die Taxonomie zu. Diese soll eine Systematik erarbeiten, anhand derer es möglich ist, Investments als umweltverträglich und nachhaltig einzustufen. Denn alle Finanzdienstleister, seien es Banken, Versicherungen oder Fondsgesellschaften werden zukünftige ihre Finanzprodukte hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit bewerten müssen. Insofern beinhaltet der Aktionsplan die Integration von sogenannten „ESG Faktoren“ (Environmental, Social and Governance) in alle europäischen Finanzgesetze. Auch Ratingagenturen werden zukünftig verpflichtet, Nachhaltigkeitsfaktoren in ihre Beurteilung der Schuldnerqualität einzubeziehen. Zusätzlich werden noch die Indices der verschiedenen Wertpapiergattungen geändert. Diese dienen für Portfoliomanager als Maßstab zur Messung des Anlageerfolgs und sollen zukünftig auch den CO2-Verbrauch der Investitionen widerspiegeln.

Bei all dem Aktionismus stellt sich doch die Frage, welchen Beitrag kann ein nachhaltig agierendes Finanzsystem zur notwendigen Transformation der Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit leisten? Hier sollten man die Erwartungen nicht allzu hochschrauben. Denn die Finanzwirtschaft ist nur wenig geeignet, den Umbauprozess in der Realwirtschaft zu forcieren. Sie finanziert alles, was erlaubt ist, um Rendite zu erwirtschaften. Die Finanzwirtschaft folgt also der Realwirtschaft und kann nicht umgekehrt darüber bestimmen.

Dies lässt sich trefflich anhand des Beispiels grüner Anleihen beschreiben. Die Finanzierung einer Investition bestimmt nicht den Verwendungszweck des Geldes. Oder anders ausgedrückt, auf dem Geldschein steht nicht der Verwendungszweck, ansonsten wäre es ein Gutschein und kein universales Zahlungsmittel. Wenn beispielsweise der Staat Polen eine grüne Anleihe emittiert, dann steht diese als Verbindlichkeit auf der Passivseite der Gesamtbilanz des polnischen Staates. Der Erlös aus der Emission der Anleihe finanziert insofern alle staatlichen Ausgaben auf der Aktivseite, nachhaltige und nicht nachhaltige. Eine Zuordnung des Geldes zur ausschließlichen Verwendung, wie beispielsweise bei der Finanzierung eines Windparks auf der Aktivseite, ist lediglich metaphorische Augenwischerei. Es ist in etwa so, als hätte man beim Gelddrucken noch ein grünes Label eingearbeitet. Anders wäre es, wenn Polen für die Erstellung eines Windparks eine rechtlich selbstständige Einzweckgesellschaft gründete und diese der Emittent der grünen Anleihe wäre. Nur in diesem Fall stände der Verwendungszweck des Geldes fest. Dies ist allerdings bei den meisten „grünen“ Anleihen nicht der Fall.  Sie vermitteln den Anlegern insofern nur ein gutes Gefühl, indem sie vorgaukeln, in etwas gesellschaftlich Wertvolles investiert zu haben, obwohl das Geld ebenso auch zur Finanzierung von nicht-nachhaltigen Staatsausgaben, wie beispielsweise der Subvention von Kohlekraftwerken dient.

Bleiben wir beim obigen Beispiel: Würde ein Windpark nur deshalb errichtet, weil die Finanzierung über eine grüne Anleihe einige Basispunkte günstiger ist als ein herkömmlicher Bankkredit? Nein, die realwirtschaftliche Investition in einen Windpark erfolgt, weil es genügend Abnehmer für den grünen Strom zu einem kostendeckenden Preis gibt. Die Finanzierungskosten spielen somit bei der unternehmerischen Investitionsentscheidung der Errichtung eines Windsparks nur eine untergeordnete Rolle. Wenn sich die Investition rechnet, wird sich auch eine Finanzierung dafür finden. Gerade beim jetzigen Zinsniveau nahe Null wird die Zinszahlung zu einem zu vernachlässigenden Kostenfaktor und die Finanzierung zur Residualgröße der Investitionsentscheidung.

Also bitte keine falschen Illusionen bezüglich der Wirksamkeit nachhaltiger Finanzierungen. Die staatliche Fiskal- und Steuerpolitik ist hier deutlich besser geeignet, unternehmerische Investitionsentscheidung hin zur Nachhaltigkeit zu steuern. Der Verbrauch an natürlichen Ressourcen muss sich als Kostenfaktor in der unternehmerischen Kosten- und Investitionsrechnung widerspiegeln, dann wird auch die Finanzierung mit den veränderten Renditeerwartungen für nachhaltige Investitionen ihren Beitrag leisten. Aber nicht umgekehrt. Der Finanzwirtschaft kommt also eine akkommodierende, eine dienende und keine aktiv bestimmende Rolle im gesellschaftlichen Transformationsprozess zu.

Im Gegenteil, die derzeit größte Gefahr für die Nachhaltigkeit der Realwirtschaft geht vom Finanzsektor selbst aus. Noch immer ist das Finanzsystem in weiten Teilen von der Realwirtschaft entkoppelt und führt auch nach der Finanzkrise ein weitgehendes Eigenleben. Die Preise am Kapitalmarkt, seien es Aktienkurse oder auch Zinsen spiegeln in nur geringem Maße realwirtschaftliche Knappheiten von Ressourcen oder Gewinnerwartungen von Unternehmen wider. Aktienkurse folgen dem Herdenverhalten von maschinengesteuerten Algorithmen im High-Frequency-Trading. Zinssätze werden durch die ausufernde Geldschöpfung der Europäischen Zentralbank determiniert, welche allein dem politischen Zwang des wirtschaftlichen Zusammenhalts der Eurozonen-Staaten folgt. Die Entwicklung der Geldmenge ist entkoppelt von der Entwicklung der Gütermenge mit der Folge, dass das Geldvermögen und die Schulden nicht durch realwirtschaftliche Leistungskraft gedeckt sind. Neue Kredite sind notwendig, um Zins- und Rückzahlungen laufender Kredite zu bedienen. Es nur eine Frage der Zeit, wann dieses Kartenhaus zusammenbricht. Kurz gesagt: Nachhaltigkeit im Finanzsystem beginnt mit Stabilität der Banken, Versicherungen und Schattenbanken und ihrer engen Anbindung an die Realwirtschaft. Geeignete Maßnahmen hierfür, wie höhere Eigenkapitalquoten, Finanztransaktionssteuer, Trennbankensystem, Einschränkung der Giralgeldschöpfung der Banken, Neuausrichtung der Geldpolitik etc. wurden ohne Ende diskutiert. Was fehlt, ist allein der ordnungspolitische Wille zur Systemänderung. Es scheint fast so, als ob die derzeitige Diskussion um nachhaltige Finanzierung höchst willkommen ist, um von den fundamentalen Defiziten im Finanzsystem abzulenken. Oder schärfer nachgefragt: Ist es nicht eine bewusste Verlagerung der Nachhaltigkeitsdebatte, um vom politisch zu verantwortendem Versagen einer fehlenden Ordnungspolitik im Finanzsystem abzulenken?

Warum also der ganze Aufwand der EU-Kommission in Sachen „nachhaltiger Finanzierung“? Na ja, der Finanzsektor spürt schon den gesellschaftlichen Druck seitens der Kunden hin zur Nachhaltigkeit. Dabei gelingt dem gesamten Finanzsektor mit Geschäftsbanken[1], Versicherungen, Börsen, Ratingagenturen, Zentralbank und nationalen und europäischen Aufsichtsinstitutionen eine besondere Verkaufsstrategie: Sie verkaufen der Öffentlichkeit Nachhaltigkeit ohne jedoch selbst nachhaltig zu sein. Die Erklärung für diese Paradoxie liegt sowohl in der Komplexität der Finanzgesetzgebung als auch in der fehlenden Taxonomie! Nun streitet ein kleiner Kreis an Experten, welche die komplexe Finanzgesetzgebung noch versteht, wie in den zigtausenden Seiten von Gesetzestexten, Ausführungsbestimmungen und EU-Direktiven auch noch der Aspekt der Nachhaltigkeit zu integrieren sei. Die Komplexität der Finanzgesetzgebung wird so noch weiter auf die Spitze getrieben und schützt zugleich vor Transparenz und Kontrolle. So gelingt es den Finanzdienstleistern, eine neue Boutique für nachhaltige Produkte zu eröffnen ohne ihr eigenes Geschäftsmodell nachhaltig zu verändern.

Aber wer kann Nachhaltigkeit kontrollieren, wenn keine europaweit einheitliche und gesetzlich verankerte Taxonomie zur Einstufung von nachhaltigen Anlagen existiert? Für das Fehlen von gesetzlichen Standards lassen sich im wesentlichen drei Gründe anführen:

  1. Es ist schwierig, wenn gar unmöglich, einen gesellschaftlichen Konsens zur Bewertung der Nachhaltigkeit eines Unternehmens zu finden. Bei Nachhaltigkeitsratings werden zahlreiche ethische Entscheidungen getroffen für die es keine einfachen und eindeutigen Lösungen gibt. Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen werden bezüglich der Einschätzung der Relevanz von Themenfeldern, deren Gewichtung sowie der Vergabe von Punkten zu sehr differierenden Werturteilen gelangen. Zweifelhaft ist zudem, ob die gegenseitige Verrechnung der Punkte für verschiedene Themenfelder gerechtfertigt ist. Kann ein Unternehmen beim Nachhaltigkeitsrating beispielsweise eine schlechte Bewertung in Bezug auf Menschen- und Arbeitsrechte mit einer guten Bewertung in Sachen Gender- und Tierschutz kompensieren? Ein ethisch fragwürdiges Verfahren.
  2. Bisher fehlt es an Standards und Pflichten zur Veröffentlichung von Unternehmensinformationen zur Nachhaltigkeit. Dies wird sich hoffentlich bald mit der Pflicht zur Veröffentlichung auch nicht monetärer Informationen in der Bilanz ändern.
  3. Private Ratingagenturen für Nachhaltigkeit haben natürlich kein Interesse an einheitlichen Bewertungsstandards. Damit würde der eigentliche Mehrwert ihrer Arbeit, ihr eigenes System der Bewertung, für den die Kunden bereit sind zu zahlen, verloren gehen.

Nun soll die EU Kommission bzw. die Experten der Taxonomiegruppe helfen, Standards zu entwickeln. Es wäre extrem wünschenswert, wenn dies gelingen würde, aber leider ist ein Erfolg sehr unwahrscheinlich. Auch eine solche „EU Taxonomy“ wird den gleichen ethischen Entscheidungsproblemen unterliegen, für die es keine einfachen und eindeutigen Lösungen gibt. Der ersehnte Bewertungsstandard wird hieraus nicht resultieren. Allein das politische Ansinnen der EU-Kommission, in einem zentralen Top-down Ansatz, europaweit bestimmen zu wollen, was als nachhaltig gut oder schlecht zu bewerten ist, ist zum Scheitern verurteilt. Dies mag in China funktionieren, jedoch nicht im demokratisch verfassten Europa.

Besser wäre es, die EU Kommission würde sich bei der Bewertung von Nachhaltigkeit auf die wesentlichen international anerkannten Normen beschränken: die Rüstungskonventionen, die ILO Kernarbeitsnormen und die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie die Vereinbarungen zum Klimaschutz. Inhaltliche Diskussionen würden sich damit erübrigen, da sich mit der Ratifizierung dieser Konventionen bereits ein internationaler Konsens gebildet hat. Es ist insofern nur folgerichtig, dass ein Unterzeichner-Staat seinen Investoren vorgibt, nur in jene Unternehmen zu investieren, die diese Konventionen einhalten.

Damit wäre zugleich die inhaltliche Grundlage zum Erstellen einer Negativliste (sog. „braunen Liste“) geschaffen. Es ist weit einfacher, zu beurteilen, welche Investment nicht nachhaltig sind als umgekehrt. Eine solche Negativ-Liste muss, um wirksam zu sein, komplementiert werden von Veröffentlichungspflichten und -standards von Unternehmensinformation zu diesen Normen. Die Pflicht zur einheitlichen Berichterstattung soll für alle Unternehmen einer Lieferkette unabhängig von ihrer Jurisdiktion gelten.

Mit der Konzentration auf eine überschaubare Anzahl international vereinbarter Normen verbunden mit weitreichenden Veröffentlichungspflichten würde/n die Ratings für Nachhaltigkeit transparenter und vergleichbarer werden und ein einfacher Maßstab zur Orientierung wäre geschaffen, ohne notwendigerweise die Komplexität die Finanzgesetzgebung zu erhöhen. Gesellschaftliche Veränderungsprozesse benötigen solch einfache und für jedermann nachvollziehbaren Maßstäbe, ohne diese wird es keine breite Akzeptanz von nachhaltigem Verhalten in der Bevölkerung geben. Nachhaltige Geldanlagen sind nur wirksam, wenn sie in eine breite gesellschaftliche Bewegung eingebunden sind, weil diese auch auf die Realwirtschaft einwirkt (siehe Deinvestmentbewegung).

Nachhaltigkeit in der europäischen Finanzwirtschaft ist nur glaubhaft, wenn die Finanzdienstleister ihre Geschäftsmodelle, ihre Unternehmenskultur und ihre Governance nachhaltig ändern. Dies bedeutet ein Systemwechsel und keine kosmetischen Veränderungen mit einem grünen Anstrich.

*Zum Autor und zur Autorin:
Rainer Lenz ist Professor für Int. Finanzierung an der Fh Bielefeld, Vorsitzender des Vorstandes von Finance Watch in Brüssel, Mitglied des Aufsichtsrates der Bürgerbewegung Finanzwende in Berlin und vertritt die Interessen der Konsumenten gegenüber der Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) in Paris im Rahmen der SMSG Stakeholdergruppe.

Antje Schneeweiß ist wissenschaftliche Mitarbeiterin/Researcher von SÜDWIND e.V. - Institut für Ökonomie und Ökumene in Bonn und Sprecherin des Aufsichtsrates der Bürgerbewegung Finanzwende in Berlin

Beide Autoren/innen vertreten hier ihre eigene Meinung.


[1] Fairerweise sind jene Geschäftsbanken mit einem Geschäftsmodell, welches explizit auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, hier auszunehmen.