Verfassungswidrig ungerecht: Drei Gründe für eine Erbschaftsteuer ohne Privilegien für Superreiche

04.11.2022

Erben gleicht einer Lotterie: Manche Familien können Vermögen weitergeben – andere eben nicht. Lediglich 30 Prozent der Menschen in Deutschland erben überhaupt in einem nennenswerten Umfang – mehr als zwei Drittel der Bevölkerung gehen damit bei der Erbschaftslotterie von vornherein leer oder fast leer aus. Nur ein verschwindend geringer Anteil von 0,03 Prozent der Menschen erbt ein besonders großes Vermögen von 20 Millionen Euro oder mehr.

Insgesamt werden in Deutschland jedes Jahr etwa 400 Milliarden Euro vererbt, Tendenz steigend. Das sind mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Doch gleichzeitig machen die Einnahmen aus Erbschaft- und Schenkungsteuer nur etwa 0,2 Prozent des Staatshaushalts aus.

Erbschaft- und Schenkungsteuern sollen ein wenig Chancengleichheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft herstellen. Es geht nicht darum, dass alles beim Staat landet, aber zumindest ein geringer Prozentsatz. Dies ist nur fair.

Allerdings wurde die Erbschaftsteuer in den letzten Jahrzehnten gezielt ausgehöhlt. Die Löcher finden sich nicht zufällig genau da, wo es um die ganz großen Vermögen geht. Das wollen wir ändern. Es geht darum, dass alle ihren fairen Anteil bezahlen. Hier finden Sie drei gute Gründe, warum wir das so sehen.

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1. Die jetzige Steuer widerspricht dem Leistungsprinzip.

Das Ziel der Erbschaftsteuer ist, die unterschiedlichen Startbedingungen in Deutschland zumindest ein bisschen anzugleichen. Jede Person soll die Chance haben, durch eigene Leistung Vermögen aufzubauen – unabhängig davon, ob und wie viel sie erbt. Die jetzige Regelung verfehlt dieses Ziel, und zwar deutlich. Trotz jahrelanger Buckelei können sich selbst Menschen mit vergleichsweise hohen Einkommen zum Beispiel keine Immobilie mehr leisten.

Momentan gilt in Deutschland im Schnitt: je höher das Erbe, desto niedriger die Steuern. Damit ist die Verteilung der Steuerlast genau umgekehrt wie bei der Einkommensteuer: Wer mehr Geld verdient, zahlt dort auch mehr Steuern für die Gemeinschaft.

Wer mehr erbt, muss also durchschnittlich weniger abgeben. Intuitiv ist das nicht. Fair schon gar nicht. Und vor allem zeigt es, dass die aktuellen Regeln mit Achtung von Leistung nichts zu tun haben. Schließlich hat niemand für sein Erbe gearbeitet.

Doch wie sieht die Regelung im Konkreten aus?

Normalerweise sind für Erbschaften je nach Verwandtschaftsgrad oberhalb der möglichen Freibeträge zwischen sieben und 50 Prozent Steuern fällig. Das gilt aber häufig nicht für Superreiche – sie zahlen im Gegensatz zu allen anderen viel weniger. 

Zum Beispiel lag der durchschnittliche Steuersatz für Erbschaften und Schenkungen jenseits von 20 Millionen Euro im Zeitraum zwischen 2011 und 2020 bei nur 2,8 Prozent, während bei niedrigeren Erbschaften im Schnitt neun Prozent gezahlt werden musste.

Der durchschnittliche Steuersatz auf Erbschaften und Schenkungen von über 20 Millionen Euro beträgt mickrige 2,8 Prozent. Bei unter 20 Millionen Euro liegt er bei satten 9, Prozent.

Der Grund für die geringe Besteuerung sind zahlreiche Schlupflöcher und Sonderregelungen, die Steuerprivilegien in Milliardenhöhe ermöglichen, gerade für Betriebsvermögen. So tragen starke Schultern weniger als schwache – eine Umkehr der Idee des Sozialstaats.

Die logische Folge dieser im Schnitt regressiven Steuersätze ist eine steigende Vermögensungleichheit. Wer in Deutschland wie viele finanzielle Ressourcen zur Verfügung hat, wird so immer mehr allein durch Erbschaften bestimmt. Inzwischen wird über die Hälfte aller Vermögen vererbt oder verschenkt – Reichtum durch Arbeit wird zur Seltenheit. So kommt es auch, dass nur zwei Familien in Deutschland so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung besitzen. 

Die Idee einer Gesellschaft, in der Leistung die treibende Kraft für das Vermögen und die soziale Position einer Person darstellt, verkommt mit der aktuellen Erbschaftsteuer zur Legende. 

2. Die jetzige Steuer ist verfassungswidrig.

Die Regelungen bei der Erbschaftsteuer kritisieren nicht nur wir. Sie wurden bereits mehrfach von höchsten deutschen Gerichten für verfassungswidrig erklärt. Bis heute sind bestimmte Regelungen nicht mit dem Gleichheitssatz in Artikel 3 des Grundgesetzes vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht urteilte so schon 2006. 

Es geht dabei übrigens nicht um das oft genannte Argument, dass eine Erbschaftsteuer Vermögen doppelt besteuere – darauf seien ja bereits einmal Steuern gezahlt worden. Doch das ist im Steuerrecht ganz normal. Schließlich gehen wir alle mit Geld, auf das wir zum Beispiel Einkommensteuer gezahlt haben, einkaufen und zahlen dann Mehrwertsteuer. Das Wirtschaftssystem ist ein Kreislauf, in dem Steuern an verschiedensten Punkten als Korrektur von unerwünschten Effekten wirken oder als Maßstab zur Leistungsfähigkeit ansetzen. Vielmehr sollte die Frage gestellt werden, warum Arbeit und Konsum besteuert werden, die unproduktive Weitergabe von Millionenvermögen aber mitunter gar nicht.

Dem ersten Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgte 2008 ein Reformversuch, doch der machte die Sache nicht besser. Kritisch sahen das Gericht vor allem eines der größten Steuerprivilegien: die Ausnahmen von Betriebsvermögen von der Erbschaftsteuer. Für vererbte Betriebe werden nur sehr selten überhaupt Steuern fällig. Ein großer Teil der Vermögen in Deutschland besteht jedoch aus Firmenanteilen.

Selbst milliardenschwere und hochprofitable Unternehmen können oft völlig steuerfrei weitergegeben werden, Ausnahmeregelungen bei Erbschaft- und Schenkungsteuer sei Dank. Das gängige Argument dafür ist, dass ein Erbfall ohne ein solches Privileg Arbeitsplätze gefährden könnte. So argumentieren etwa Lobbyverbände des großen Geldes wie die Stiftung Familienunternehmen oder der Verband Die Familienunternehmer. Tatsächlich gibt es jedoch keinerlei Hinweise auf gefährdete Arbeitsplätze durch eine konsequente Anwendung der Erbschaftsteuer. Das hat auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium bestätigt. 

 Finanzminister Lindner: Eine höhere Erbschaftsteuer für Firmenerben hätte unmittelbare Folgen für die Arbeitsplatzsicherheit. Gutachten des Finanzministeriums: Eine Bedrohung der Existenz von Unternehmen und Arbeitsplätzen wird empirisch nicht bestätigt.

Auf dieses Gutachten berief sich auch der Bundesfinanzhof 2012, als er feststellte, dass auch die Erbschaftsteuer-Reform von 2008 verfassungswidrig ist. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Auffassung 2014. Spätestens das hätte Grund genug sein müssen für eine vernünftige Umgestaltung der Steuer. Doch auch der nächste Reformversuch von 2016 scheiterte ein Jahr später erneut vor dem Bundesfinanzhof.

Im Kern ging es bei dem Urteil von 2017 um eine besonders absurde Regelung in der Erbschaftsteuer: Der Besitz von Wohnimmobilien ab 300 Wohnungen wird darin pauschal als Betriebsvermögen klassifiziert. Auf 3 vererbte Wohnungen müssen Steuern gezahlt werden, 300 vererbte Wohnungen sind aber steuerfrei. Das geht so nicht, entschied der Bundesfinanzhof.

Ungerechte Steuerprivilegien: 3 Wohnungen erben und Steuern zahlen oder 300 Wohnungen erben und keine Steuern zahlen

Mit dieser Situation beschäftigen möchte sich die Politik aber nicht: So reagierten die Obersten Finanzbehörden der Länder 2018 mit einem sogenannten Nichtanwendungserlass auf das Urteil des Finanzhofes. Die Finanzämter sind damit angewiesen, die aktuelle Verfassungswidrigkeit der Regelung einfach zu ignorieren. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung kommt das Wort „Erbschaftsteuer“ nicht vor. Ein erneuter Anlauf, die offen verfassungswidrigen Schlupflöcher zu stopfen, ist damit ohne öffentlichen Druck nicht in Sicht.

In einem Rechtsstaat darf es nicht sein, dass die Politik wiederholt die Urteile höchster Gerichte nicht ernst nimmt. Eine Neuerung des Gesetzes ist aus unserer Sicht allein deshalb unerlässlich. 

3. Von der geltenden Regelung profitieren nur wenige – und das schadet uns allen.

Der Personenkreis, der jährlich von den aktuellen Regelungen tatsächlich profitiert, ist überschaubar. So erhielten nur zehn Erbende 2021 zusammen einen Steuererlass von knapp einer halben Milliarde Euro.

10 Großerben über 26 Mio. Erbe und Schenkungen haben 2021 über 450 Mio. € Steuererlass erhalten!

Insgesamt ließ sich die öffentliche Hand 2021 durch die Ausnahmen für Superreiche mindestens 5,1 Milliarden Euro durch die Lappen gehen. Das sind 5,1 Milliarden Euro Steuergeschenke an die Reichsten, die zur Finanzierung vieler sinnvoller Projekte mehr als nötig wären.

Das Geld könnte so allen zugutekommen – und nicht nur dem superreichen Rand der Gesellschaft. Zum Beispiel durch Zuschüsse zu den immer weiter steigenden Energiekosten oder durch ein Nachfolgemodell für das 9-Euro-Ticket. Die unsolidarische und ungerechte Umverteilung von unten nach oben muss enden – gerade in Zeiten, in denen viele die nächste Energierechnung fürchten. Zeitenwende muss auch heißen: Schluss mit Steuerprivilegien für Superreiche.

Können wir uns leisten: Investitionen in eine gerechte Zukunft. Können wir uns NICHT leisten: Steuerprivilegien für Superreiche.

Auch ökonomisch ergeben die Steuerausnahmen keinen Sinn und sind nicht mit einem Verweis auf das Gemeinwohl zu rechtfertigen. Stattdessen gibt es Hinweise darauf, dass sie dem Wirtschaftsstandort Deutschland sogar schaden und Arbeitsplätze eher gefährden als sie zu erhalten.

Denn durch die Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen werden, so das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, sogenannte Lock-In-Effekte in der Führungsstruktur begünstigt. Das bedeutet, dass nicht die am besten geeignetste Person entscheidet, wo es mit dem Unternehmen hingeht, sondern eben die Person, die erbt. Diese Lock-In-Effekte gehen mit „erheblichen Produktivitäts- und Wachstumseinbußen“ einher und führen „eher zu weniger als zu mehr Arbeitsplätzen“, heißt es in dem Gutachten. 

Fazit:

Dem Staatshaushalt entgehen jedes Jahr Milliarden durch Steuerprivilegien für Superreiche bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Dadurch wird nicht nur das Ziel der Steuer verfehlt, sondern auch ökonomischer Schaden angerichtet. Außerdem ist die Regelung schlicht verfassungswidrig – allein deshalb muss den Privilegien für Superreiche dringend ein Riegel vorgeschoben werden.

Angesichts der vielen Herausforderungen der heutigen Zeit ist das Festhalten an den Ausnahmen nicht tragbar. Die Steuerprivilegien in der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung müssen endlich gekippt werden!

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