Standpunkt: Die Erbschaftsteuer ist ungerecht – aber anders als Markus Söder denkt

18.06.2023
Veza Clute-Simon

Veza Clute-Simon hat Soziologie, Politik- und Kulturwissenschaften in Berlin, Frankfurt (Oder) und Paris studiert. Als Campaignerin schafft sie öffentliche Aufmerksamkeit für die Forderungen von Finanzwende.

Wer die Erbschaftsteuer fair gestalten will, muss zuerst die verfassungswidrigen Privilegien für Superreiche abschaffen – statt Wahlkampf auf dem Rücken der Steuerzahler*innen zu machen.

Markus Söder hat Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen die Erbschaftsteuer eingereicht. Und Markus Söder hat Recht: Die Erbschaftsteuer ist in ihrer jetzigen Form ungerecht. Markus Söder hat allerdings auch, und zwar noch mehr, Unrecht. Denn die größte Ungerechtigkeit bei der Erbschaftsteuer geht er mit seiner Klage gar nicht an. Das wahre Problem, die verfassungswidrigen Privilegien der Reichsten in unserem Land, würden fortbestehen, selbst wenn Herr Söder seine Klage gewinnen würde.  

Das zentrale (Verfassungs-)Problem der Erbschaft- und Schenkungsteuer sind ihre zahlreichen Privilegien für Betriebsvermögen, und damit de facto für einige wenige Superreiche. Solche Privilegien sind nicht nur falsch, sondern auch verfassungswidrig. Dazu gab es gleich mehrere Urteile höchster deutscher Gerichte – und fast ebenso zahlreiche Reformversuche, allerdings ohne Verbesserung der Lage. Im Gegenteil: Auch in ihrer aktuellen, seit 2016 geltenden Form ist die Erbschaftsteuer verfassungswidrig, manche Probleme hat die Reform sogar noch verschärft.

Nun möchte Markus Söder höhere Freibeträge für Immobilienbesitzer*innen durchsetzen. Aber die belegt verfassungswidrigen Privilegien der Superreichen, die will er unangetastet lassen. 

Laut Söder ist die Erhöhung der Freibeträge eine Frage der Gerechtigkeit zwischen Nord- und Süddeutschland. Und es stimmt, die Erbschaftsteuer sorgt wirklich für regionale Ungerechtigkeit in Deutschland. Nur halt nicht auf der Nord-Süd-, sondern auf der Ost-West-Achse: Nur ein Bruchteil der steuerfrei gestellten Unternehmensvermögen erben Menschen in Ostdeutschland – 2009 bis 2020 waren es zum Beispiel 1,6 Prozent. So und auf anderen Wegen spaltet die Erbschaftsteuer in ihrer jetzigen Form unsere Gesellschaft.

Die Erbschaftsteuer sorgt wirklich für regionale Ungerechtigkeit in Deutschland. Nur halt nicht auf der Nord-Süd-, sondern auf der Ost-West-Achse.

In Karlsruhe zu klagen, ohne diese verfassungswidrigen Probleme anzugehen, ist deshalb absurd. Und dient nicht Bayern, sondern Superreichen bundesweit. Denn von den Ausnahmen profitieren Milliardäre in der ganzen Bundesrepublik. Für die regulären Steuerzahler*innen hingegen verursachen sie erhebliche Kosten – auch in Bayern. Jährlich fehlen den Landesfinanzminister*innen mindestens 5 Milliarden Euro. Die Erbschaftsteuerprivilegien sind damit – laut Subventionsbericht der Bundesregierung – die größte Steuersubvention in unserem Land.

Söders Klage verfolgt vermutlich das Ziel, etwas Applaus auf dem Weg zur bayerischen Landtagswahl einzusammeln. Wäre es nur das, könnte man sie ignorieren. Doch Söder lenkt mit seiner Klage von real existierender Ungerechtigkeit ab – für die er sogar verantwortlich ist, weil er das geltende Recht als bayerischer Finanzminister mit verhandelt hat. Das ist unredlich. Wer die Erbschaftsteuer fair gestalten will, muss zuerst die verfassungswidrigen Privilegien für Superreiche abschaffen.