Die aktuelle Debatte um die Finanztransaktionssteuer

Wie aus einer guten und wichtigen Idee ein krasser Etikettenschwindel wurde

12.09.2019
Digitale Börsenanzeige mit Zahlen.
  • Die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer ist seit Ende der 70er Jahre immer wieder diskutiert worden.
  • Mit ihr könnte zum einen der Finanzsektor an den von ihm durch Bankenrettungen verursachten Krisenkosten beteiligt werden, zum anderen könnten systemische Probleme wie der Hochfrequenzhandel eingedämmt werden.
  • Der aktuelle Entwurf auf europäischer Ebene wird dieser Idee nicht gerecht.
  • Damit steht die Finanztransaktionssteuer bis heute symbolisch für eine lange Abwehrschlacht der Finanzlobby gegen weitere Regulierung.

Als Reaktion auf die Bankenrettungen bildeten sich nach der Pleite der Bank Lehman 2009 wütende Proteste und quer durch alle Schichten drang eine Forderung durch: Die Finanzindustrie soll stabiler und an den Milliardenkosten der Finanzkrise beteiligt werden. Eine alte Idee der 70er Jahre rückte wieder in den Fokus der Öffentlichkeit: die Finanztransaktionssteuer.

Über 66.000 Bürger*innen unterschrieben in Deutschland im Rahmen der Kampagne „Steuer gegen Armut“ eine Petition mit dem Ziel, diese Finanztransaktionssteuer wieder einzuführen. Darüber hinaus war die Steuer dazu gedacht, den extrem schnellen und unproduktiven Spekulationshandel einzudämmen und mit dem erzielten Geld die Entwicklungszusammenarbeit zu fördern. Hunderte Nicht-Regierungsorganisationen in Europa forderten die Einführung dieser Steuer. Sie wurde zum Symbol dafür, ob es gelingt, die Finanzmärkte wieder in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.

Seit 2010 unterstützte auch die Bundesregierung offiziell eine Finanztransaktionssteuer. Bereits kurz darauf legte die EU-Kommission einen ersten, durchaus gelungenen Vorschlag vor. 2014 sollte die Steuer mindestens in der Eurozone bereits eingeführt werden. Man stand dem Ziel also richtig nahe. Doch es blieb bei diesem Vorschlag, der leider nie abgesegnet wurde.

Im Rahmen einer vertieften Zusammenarbeit versuchten einige EU-Länder das Projekt noch zu retten. Doch das eigentlich vorgesehene Instrument wurde im Laufe dieses Prozesses und über die Jahre bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. Es wurde immer kleiner und weniger umfassend. So debattieren zwar Scholz und andere europäische Finanzminister aktuell noch unter dem Slogan „Finanztransaktionssteuer“ und wollen noch dieses Jahr eine Einigung erzielen. Doch in Wahrheit drehen sich die Gespräche nur noch um eine Aktiensteuer light, die sogar noch den Handel von Aktien innerhalb eines Tages ausschließt. Bei der nun vorgesehenen Einigung würden über 90 Prozent der Finanztransaktionen unbesteuert bleiben.

Wir haben es also mit einem massiven Etikettenschwindel zu tun. Durch eine Einigung bei diesem Thema will man der Bevölkerung vermeintliche Handlungsfähigkeit vorspielen, in die Richtung: „Ja, wir legen uns auch mit der Finanzlobby an“. Doch mitnichten, ist dem so. Wenn erste Zahlen über die erzielten Einnahmen die Runde machen werden, wird sich spätestens das Märchen von Herrn Scholz und Co. entpuppen. Keine der erhofften Wirkungen der Steuer wird eintreten. Und zusätzlich verspielt Politik mit einem solchen Etikettenschwindel auch massiv Glaubwürdigkeit, denn das ist eine reine Alibisteuer. Sie geht praktisch nur zu Lasten der privaten Anleger*innen und Unternehmen. Deshalb lehnen wir den Vorschlag ab.

Fast 10 Jahre nach Beginn der Kampagne und viele Verhandlungsrunden stellen wir fest, dass die Ziele keineswegs erreicht worden sind. Über 68 Milliarden hat alleine die Bundesrepublik Deutschland bislang an direkten Kosten für die Finanzkrise aufgewandt. Dennoch hat es die Finanzlobby geschafft, sich bei der geplanten Umsetzung der Besteuerung fast vollständig aus der Verantwortung zu stehlen und die Veränderungen auszubremsen, die eine echte Finanztransaktionssteuer bewirkt hätte. Ein klares 1:0 der Finanzlobby gegen die Bevölkerung. Wir werden uns dafür starkmachen, das zu ändern und das Spiel zu drehen.

Warum wir von diesem 1:0 sprechen, verdeutlichen die folgenden vier Punkte unter dem Motto „Was war geplant und was soll jetzt kommen?“

1. Aufkommen

Eigentlich sollte die Finanztransaktionssteuer jährlich eine zweistellige Milliardensumme zum Bundeshaushalt beisteuern. In einem Gutachten für das Bundesfinanzministerium wurden 2014 etwa Mehreinnahmen über mindestens 17,6 Milliarden Euro prognostiziert. Bei solchen Summen hätte man von einer wirklichen Verantwortungsübernahme durch die Krisenverursacher für die Milliardenkosten sprechen können. Mit dieser Summe hätte man beispielsweise den 2019 vorgesehenen Haushalt des Entwicklungsministeriums (10,2 Milliarden Euro) mehr als verdoppeln können. Bei der nun vorgesehenen Lösung werden maximal 1,5 Milliarden Euro als Einnahmen erwartet. Wir sprechen also nicht einmal mehr von einem 10.-tel (!) der im Auftrag des Finanzministeriums mal geschätzten Einnahmen. Mit einer Summe, die gerade so die Milliardenschwelle überschreitet, kommen wir jedenfalls nicht wirklich weit, zumal Finanzminister Scholz diese Einnahmen bereits für Vorhaben verplant hat.

2. Besteuerte Finanztransaktionen

Dass das Aufkommen der Alibisteuer so gering ausfällt, hängt vor allem damit zusammen, dass die Geschäfte, welche steuerpflichtig sind, immer weiter zusammengestrichen wurden. Wenn ich immer weniger Dinge besteuere, kann ich bei gleichem Steuersatz natürlich nicht das Gleiche erhalten. Am Anfang hatte man beispielsweise noch das richtige Anliegen, Derivate und jede Einzeltransaktion zu besteuern (also keine Aufrechnung verschiedener Transaktionen zu erlauben). Doch das fiel alles im langen Verhandlungsprozess hinten herunter. Wir haben es also jetzt mit einer angestrebten Lösung zu tun, die Handelsaktivitäten, die innerhalb eines Tages stattfinden, nicht besteuert. Geschäfte mit spekulativen Derivaten bleiben genauso unberührt wie der Handel mit Staatsanleihen oder Devisen. Am Ende kommt die geplante „Finanztransaktionssteuer“ bei neun von zehn eben dieser Finanztransaktionen nicht zum Einsatz.

3. Verteilungswirkung (progressiv, jetzt Belastung von Kleinanleger*innen)

In ihrer Grundform hätte die Steuer dafür gesorgt, dass Finanzinstitute zumindest einen Teil der durch sie verursachten Milliardenkosten für die Finanzkrise übernommen hätten. Doch durch die nun vorgesehenen zahlreichen Ausnahmen sind viele ihrer Geschäfte nicht betroffen oder sie können die Besteuerung leicht umgehen. Somit wurde eine Frage der Gerechtigkeit und der Verantwortung durch den jetzigen Vorschlag zu Grabe getragen. Auch besonders reiche Menschen und Beteiligungsgesellschaften werden Wege finden, um die Steuer zu umgehen. Diese Option haben Kleinanleger*innen oder kleine und mittelständische Unternehmen oftmals nicht. So wird mit der Alibisteuer die hierzulande ohnehin schwache Aktienkultur weiter geschwächt. Statt also einer progressiven Steuer, die eher die Reichen und Krisenverursachenden besteuert, haben wir es nun mit einer Steuer zu tun, welche die Altersvorsorge der Mittelschicht belastet. So werden genau die Falschen getroffen.

4. Eindämmung der Spekulation und Erhöhung der Finanzstabilität

Mit einer wirklichen Finanztransaktionssteuer sollten unnötige und wahnsinnig schnelle Transaktionen unrentabel gemacht werden. Dadurch sollten die Kapitalmärkte auch wieder stabiler und weniger spekulativ werden. Weil nun jedoch der Aktienhandel innerhalb eines Tages von der Besteuerung ausgeklammert ist, sind kurzfristige Geschäfte in diesem Bereich sogar im Vergleich zu mittel- und langfristigen Kapitalanlagen bevorzugt. Gerade der Hochfrequenzhandel bleibt also unbelastet, bei dem im Millisekundenbereich große Aktienpakete gehandelt werden – ein Nullsummenspiel zum Vorteil der Hochfrequenzhändler*innen und zum Nachteil der langfristig Orientierten. Ausgerechnet Derivate sind von der Alibisteuer ebenfalls komplett ausgenommen, sodass sie nun zudem zur Umgehung der Steuer genutzt werden könnten. Auch werden gefährliche Finanzmarktgeschäfte vor allem durch Derivate getätigt. Aktien spielten dagegen bei den jüngsten Bankenkrisen im Gegensatz zu Finanzinstrumenten keine nennenswerte Rolle. Die Steuer wird also keinen Beitrag zur Finanzstabilität leisten. Die Alibisteuer geht ebenso in Bezug auf die ursprünglich vorgesehene Lenkungswirkung völlig am Ziel vorbei, nämlich gesellschaftlich unproduktive Geschäfte einzudämmen. Im Gegenteil, sie verstärkt sie durch zu erwartende Ausweichmanöver eher noch.