Wirtschaftsprüfungsgesellschaften

Warum das Oligopol der Big Four schädlich ist

23.09.2020
Ein Börsengraph ist abgebildet und 4 Männer im Anzug, die für PwC, EY, KPMG, Deloitte stehen.
  • Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (WPG) sollen unabhängig die Bilanzen und Zahlen von Unternehmen prüfen, doch das System funktioniert nicht richtig.
  • Der Wirecard-Skandal steht symptomatisch für die Probleme der WPG und vor allem der Marktdominanz der sogenannten Big Four: PwC, KPMG, EY und Deloitte.
  • Reformvorschläge liegen schon lange auf dem Tisch, scheiterten aber bisher.

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) verweigerte im Juni 2020 erstmals nach zehn Jahren das positive Testat für den Zahlungsdienstleister Wirecard. Rund 1,9 Milliarden Euro waren nicht aufzufinden. Dass EY diesen Sachstand erst so spät feststellte, steht symptomatisch für die strukturellen Probleme der Big Four: Interessenkonflikte, gedeckelte Haftung und eine unglaubliche Marktdominanz. Die Big Four bilden unlängst ein Oligopol und spielen bei den verschiedensten Wirtschafts- und Finanzskandalen eine teilweise entscheidende Rolle.

Die Big Four

Alle DAX-Konzerne werden von vier WPG geprüft: KPMG, EY, PwC und Deloitte. Zusammen werden sie als Big Four bezeichnet, da ihre Marktdominanz weltweit unbestritten ist. Sie beraten zusammen in 180 Ländern und haben gemeinsam etwa eine Millionen Angestellte. Entgegen ihrer ursprünglichen Daseinsberechtigung verdienen sie einen größeren Teil ihres 120 Milliarden Euro schweren Umsatzes aus Beratungsleistungen.

Ob beim Fifa-Skandal (KPMG), der Finanzkrise (EY prüfte Lehman Brothers, Deloitte Bear Stearns und PwC AIG), dem Untergang der Hypo-Real-Estate (KPMG), der SachsenLB (PwC) oder CumEx, wo alle vier die Banken berieten, die den Staat ausraubten - die Big Four gaben immer positive Testate und berieten munter.

Viel zu selten spielten sie die Rolle der nüchternen unabhängigen Aufklärerin. Doch es gab selten ernste Konsequenzen.

Rechtlich ist es schwer den WPG einen Vorsatz nachzuweisen. Zusätzlich gibt es in Deutschland eine Deckelung der Haftungshöhe auf vier Millionen Euro. Nicht gerade viel bei den jährlichen Umsätzen der Big Four. Eine Beschreibung der Rolle der WPG bei Deutschlands größtem Anlegerbetrug P&R finden Sie hier.

Zwei fundamentale Probleme: der Interessenkonflikt und die finanzielle Abhängigkeit

Beratungsleistungen und Abschlussprüfungen unterscheiden sich fundamental. Für das erste wird ein zukunftsorientierter Blick und eine Kultur des „can-doism“ (des alles-ist-möglich) angewandt. Für Prüfungen hingegen muss eine skeptische, rückwärtsgewandte Grundhaltung angenommen werden. Doch oft werden beide Formen von den gleichen Abteilungen ausgeführt. Der Anteil an Einnahmen, die aus Beratungsdienstleistungen allgemein und der gesonderten Steuerberatung entstanden, stiegen rasant an und übertreffen seit den 90er Jahren die der Prüfungsmandate.

Das zweite Problem ist die finanzielle Beziehung zwischen Prüfungsgesellschaft und geprüftem Unternehmen. Vor der Lehman-Pleite segnete EY zwischen 2001 und 2008 alle Bilanzen ab. Dafür erhielt EY insgesamt $150 Millionen Dollar. Als ein Prüfer intern auf Ungereimtheiten hinwies, wurden diese ignoriert. Denn die Struktur, dass das geprüfte Unternehmen die Prüfungsgesellschaft bezahlt, führt zu einer bizarren Situation: Es gibt keinen Anreiz für den*die Prüfer*in, die ihn*sie fütternde Hand zu kritisieren.

Dieses Problem zu lösen geht an den Kern der heutigen WPG. So schlägt der britische Experte und Journalist Richard Brooks vor, alle systemrelevanten Unternehmen von einer komplett unabhängigen staatlichen Behörde prüfen zu lassen, die aus Steuergeldern finanziert wird. Eine weitere Idee von Universitätsprofessor Kai-Oliver Knops und dem Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Schirp wäre, eine übergeordnete Stelle zwischen Prüfungsgesellschaft und Prüfling zu setzen, die mit beiden jeweils einen Prüfungsvertrag eingeht. Die unabhängige Stelle würde den*die Prüfer*in auswählen und beauftragen, bezahlen müsste aber nach wie vor das geprüfte Unternehmen. Somit wäre das Verhältnis zwischen Prüfungsgesellschaft und geprüftem Unternehmen unterbrochen.

Know-How-Monopol und das Geschäft mit der Steuerberatung

Die Deutsche Bank ließ sich von 1952 bis 2019 von der KPMG prüfen. Es gibt kaum eine Bank, bei der einem schneller unzählige Skandale einfallen. KPMG sah dies nie als ein Grund, auch nur einmal kein positives Testat auszustellen. Nachdem die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wegen Problemen in der Geldwäscheprävention bei der Deutschen Bank ein Sondergutachten erstellt haben wollte, sandte sie: die KPMG.

Durch diese Überdominanz der Big Four sprechen Expert*innen auch von einem Know-How-Monopol. Selbst der Staat lässt sich oft von den Big Four beraten. Allein seit 2015 verdienten die Big Four durch Beratungsleistungen an den deutschen Staat rund 400 Millionen Euro. Dabei ist zweifelhaft, ob die Big Four zum Beispiel die Bundesregierung zu Fragen in der Energiepolitik beraten sollten, wenn sie gleichzeitig Energieunternehmen beraten und prüfen?

Zusätzlich sind Alumni der Big Four in den Aufsichtsbehörden absolut dominierend. Bei der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) haben rund 80 Prozent der Mitarbeitenden vorher bei einem der Big Four gearbeitet. Bei der Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) sind es 60 Prozent.

Während sie staatliche Behörden beraten, konzipieren sie Steuertricks für weitere Kund*innen.

Die Veröffentlichung der LuxLeaks vor sechs Jahren zeigte im Detail auf, welche Rolle die WPG bei der Steuerumgehung großer Unternehmen über Luxemburg spielen: Die Big Four beraten ihre Kund*innen so, dass deren realer Steuersatz auf ein Minimum gesenkt wird, das teilweise unter den Steuersätzen in jedem einzelnen beteiligten Staat liegt. PwC war der größte Treiber in den LuxLeaks. Jährlich legte PwC rund 400 Anträge dem zuständigen Leiter der Steuerabteilung Marius Kohl vor. Der Whistleblower hinter den LuxLeaks berichtete, PwC habe Kund*innen auch durch die enge Beziehung zu Kohl anwerben können.

EY und Wirecard

Oft kommen und gehen große Finanzskandale und die Namen der betroffenen Unternehmen bleiben uns im Kopf, doch selten erinnert man sich an die dahinterstehende Prüfungsgesellschaft. Das muss sich ändern. Wer an Lehman Brothers denkt muss auch an EY denken; wer von der SachsenLB berichtet oder die Steuermodelle der LuxLeaks beschreibt kann eigentlich nicht drum herum auch PwC zu beleuchten; wer von den abgeworbenen Steuerermittler*innen der Wuppertaler Steuerfahndung geschockt ist, sollte dabei an den Werber Deloitte denken und bei dem nächsten Skandal in den die Deutsche Bank verwickelt ist, auch die bisherige Arbeit der KPMG nennen.

Denn sie spielen eine Rolle! Genauso ist es bei EY und Wirecard. Die derzeit ermittelnde Staatsanwaltschaft in München geht inzwischen von einem „gewerbsmäßigen Bandenbetrug“ der Wirecard AG seit 2015 aus. Während EY positive Testate ausstellte, begann Dan McCrum, Investigativjournalist der Financial Times, bereits vor rund 6 Jahren seine Recherche zur Wirecard. Die BaFin ging nach seinen Berichten über Unstimmigkeiten juristisch gegen ihn vor, da sie vermutete, er oder mit ihm kooperierende Fondsmanager spekulierten auf einen Kursfall der Wirecard-Aktie. Doch seine Recherche war akribisch. Zusammen mit Kolleg*innen kontaktierte er zum Beispiel Kund*innen des Wirecard Geschäftspartners Al Alam über den immerhin 50 Prozent der konzernweiten Gewinne aus 2016 vermittelt wurden. Doch ausgewiesene Kund*innen von Al Alam kannten das Unternehmen gar nicht.

Zurück zu EY. Wirtschaftsprüfer*innen sind keine forensischen Ermittler*innen, wie EY sich nun auch verteidigt, doch gehört es zu der Aufgabe des Prüfendens, die Bilanzen zu prüfen. Dazu gehört eben auch sich Bilanzen von Banken und Treuhandkonten bestätigen zu lassen. Wieso die offenbar kriminellen Zustände bei Wirecard nicht früher aufgedeckt wurden, ist bisher nicht eindeutig erwiesen. Doch deutet es auf das strukturelle Problem der WPG hin. Eine Beschreibung wie ein Bilanzbetrug funktioniert, warum EY den Betrug eventuell nicht früher erkannte und welche Kontrollinstanzen offenbar versagt haben, finden Sie hier.

Das Grünbuch und die „Mutter allen Lobbyings“

Gute Ideen die WPG zu reformieren liegen seit gut 10 Jahren auf dem Tisch. Nach der Finanzkrise 2008/2009 sah der damalige EU-Kommissar für den Binnenmarkt Michel Barnier eine Mitschuld der WPG. Im November 2011 legte er ein sogenanntes Grünbuch vor, in dem seine Gesetzesvorschläge enthalten waren. Sein damaliger Kabinettschef beschrieb die Antwort der Big Four als die „Mutter allen Lobbyings“. Entsprechend wenig blieb übrig von den ambitionierten Ideen. Unter anderem schlug er vor:

  • Eine unabhängige Regulierungsbehörde zu etablieren, die Prüfungsaufträge vergeben und Honorare festgelegt hätte;
  • Prüfende zu verpflichten, den Behörden Ungereimtheiten zu melden;
  • Bestimmte Beratungsleistungen zu verbieten;
  • Sogenannte Joint Audits einzuführen;
  • Reine Prüfungsgesellschaften aufzubauen und eine Pflichtrotation einzuführen. 

Eine genaue Beschreibung der Reformideen und was daraus wurde finden Sie hier.

Ein paar Ideen wurden in sehr verwässerter Form übernommen. Es gibt inzwischen zum Beispiel eine Pflichtrotation, doch ist der Zeitraum zwischen den Rotationen sehr lange. Die fundamentalen und strukturellen Probleme hinter der Macht der Big Four bestehen weiter. 

Andere Länder machen es vor. Nach dem Zusammenbruch des Baukonzerns Carillion in 2018 in Großbritannien begann eine Debatte über die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Der Financial Reporting Council, die britische Aufsichtsbehörde für die WPG kündigte an, Beratung und Prüfung zu trennen. Zumindest operativ müssen die beiden Geschäftszweige getrennt werden. In Frankreich gibt es gemeinsame Prüfungen von zwei unabhängigen WPG. Zusätzlich müssen Prüfende melden, wenn sie eine Gefahr für das geprüfte Unternehmen in den Zahlen entdecken. In den USA muss der*die Prüfer*in alle fünf Jahre gewechselt werden. Allerdings nicht die komplette WPG, sondern nur der*die Hauptverantwortliche für eine Prüfung. All diese Beispiele zeigen, was möglich ist.