Christian Lindner und der nächste Coup der Bankenlobby 18.04.2023 Weil sie als einer der Auslöser für den Zusammenbruch der Finanzmärkte 2008/2009 gelten, wurden Verbriefungen nach der globalen Finanzkrise etwas schärfer reguliert. Jetzt will die Bankenlobby die Regeln aufweichen. Finanzwende hat interne Dokumente ausgegraben, die zeigen: Das Finanzministerium kopiert die Forderungen und Argumente der Lobby. Das Instrument der Verbriefung erlaubt es Banken, ihre Risiken an andere Investor*innen zu verkaufen. Dazu werden Kredite – für Autos, den privaten Hausbau, Unternehmen – zu Bündeln geschnürt und in Form von Wertpapieren an den Kapitalmärkten verkauft. Der Vorteil für die Bank: Die Kredite verschwinden aus der Bilanz. Das Eigenkapital, das sie für den Fall zurücklegen muss, dass Kredite nicht zurückgezahlt werden können, wird reduziert. Im Vorfeld der Finanzkrise 2008/2009 wurden die Risiken vieler US-Immobilienkredite durch solche Neu-Verpackungen verschleiert und überall im Finanzsystem verteilt – bis hin zu den deutschen Landesbanken. Als die Blase am US-Immobilienmarkt platzte, wurden die als sicher angepriesenen Investments wertlos und rissen die Bankbilanzen mit in den Keller. Es war der Beginn der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Viele Verbriefungen galten von nun an als „Giftmüll“ der Finanzmärkte. Jetzt will die Bankenlobby Verbriefungen wieder salonfähig machen. Davon würden Großbanken wie die Deutsche Bank profitieren, die das Instrument nutzen, um weniger Eigenkapital einzusetzen und mehr Gewinne machen zu können. In Brüssel und Berlin trommeln Banken und ihre Interessenvertreter*innen dafür, bestehende Transparenzvorschriften und Eigenkapitalanforderungen für Verbriefungen zu schleifen. Es brauche eine Erleichterung der „überholten und restriktiven europäischen Vorschriften”, so Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing auf dem Europäischen Bankenkongress in Frankfurt im November 2022. Was treibt die Bankenlobby? Jetzt Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben: E-Mail* Unsere Datenschutzerklärung finden Sie hier. Anmelden Deutsch-französischer Deregulierungs-Vorstoß Schon wenig später hatten Sewing und die Bankenlobby Anlass zur Freude. Anfang Januar 2023 schickten das Finanzministerium in Berlin und das Ministerium für Wirtschaft und Finanzen in Paris ein gemeinsames Papier an die Europäische Kommission nach Brüssel. Ihre Forderung: eine „umfassende Überprüfung“ der EU-Regeln für Verbriefungen sowie eine Reihe konkreter Deregulierungs-Vorschläge, die kurzfristig umgesetzt werden sollten.[1] Es sei an der Zeit „unsere äußerst restriktive Haltung zur Verbriefung [zu] überprüfen“, erklärte Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Vorstoß. Deutsche-Bank-Chef Sewing dankte ihm „ausdrücklich für seine Initiative”. Nur: Woher kam Lindners Initiative? Wie kamen die Finanzministerien in Deutschland und Frankreich zu einer gänzlich anderen Einschätzung als die EU-Kommission und die europäischen Finanz-Aufsichtsbehörden? Die hatten den Rechtsrahmen für Verbriefungen nämlich kurz vorher umfangreich analysiert, für gut befunden und größere Änderungen ausgeschlossen. E-Mails aus dem Finanzministerium, die Finanzwende durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten hat, zeigen nun: Lindner und sein französischer Kollege Bruno Le Maire verabredeten den Vorstoß im Herbst 2022; Le Maires Ministerium schickte dann den ersten Entwurf.[2] Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Denn ein anderes internes Papier, das Finanzwende vorliegt, belegt: Die Bankenlobby hat lange auf einen Deregulierungs-Vorstoß bei den Verbriefungen gedrungen. Und Berlin und Paris haben ihre Forderungen eins zu eins übernommen. Informationsfreiheitsanfrage Bankenverbände diktieren den Tenor So heißt es in einem gemeinsamen Brief der Bankenverbände aus Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden an den Parlamentarischen Staatssekretär im Finanzministerium, Florian Toncar (FDP), vom 04. Mai 2022: „Wir müssen den europäischen Verbriefungsmarkt fördern, indem wir den zu konservativen und generell zu komplexen Regulierungsrahmen neu kalibrieren.” Die exakt gleichen Formulierungen – über vermeintlich „konservative” und „zu komplexe” Regeln für Verbriefungen, die „rekalibriert” werden müssen – tauchen Monate später im deutsch-französischen Brief an Brüssel wieder auf. Dass „Rekalibrierung” nichts Anderes als Deregulierung meint, zeigen die Änderungsvorschläge, die Berlin und Paris zeitnah umgesetzt sehen wollen und die ganz den Wünschen der Bankenlobby entsprechen: So soll es weniger Transparenz bei Verbriefungen geben – dabei macht Transparenz über die enthaltenen Kredite Verbriefungen sicherer. Und die sowieso schon geringen Eigenkapitalanforderungen für Verbriefungen sollen weiter reduziert werden – dabei bräuchte ein sicherer und solider Bankensektor wesentlich mehr Eigenkapital. Zudem wiederholen die Finanzministerien aus Deutschland und Frankreich klassische Lobby-Erzählungen der Banken, die Verbriefungen in ein gutes Licht stellen sollen. Dazu gehört die Behauptung, dass es Verbriefungen braucht, die zusätzliche Kreditvergabe ermöglichen sollen, um Investitionen – beispielsweise in die Energiewende – zu finanzieren. Dabei gibt es in Europa gar keinen Mangel an Krediten und erst recht ist dieser vermeintliche Mangel nicht der Grund für niedrige Investitionen. Auch das Bild von Verbriefungen als Kern der europäischen Kapitalmarktunion ist Teil einer Lobby-Erzählung, die wichtigere Aspekte eines integrierten EU-Finanzmarkts ausblendet, zum Beispiel einheitliche europäische Regeln für die Insolvenz von Unternehmen. Mehr Details Lobbykampagne für ein Revival von Verbriefungen Die Botschaft des Briefs der Bankenverbände vom Mai 2022 findet sich in zahlreichen weiteren Papieren der Finanzlobby. Wer sie studiert, stößt auf weitere Punkte, die sich auch im deutsch-französischen Vorstoß finden. So greifen Berlin und Paris die Forderung der Bankenlobby nach einer Aufweichung des EU-Standards für grüne Anleihen auf, der ab 2024 eingeführt werden soll. Verbriefungen sollen demnach selbst dann als grün gelten, wenn die verbrieften Vermögenswerte überhaupt nicht nachhaltig sind – so lange nur die Erlöse nachhaltig investiert werden.[3] So könnten beispielsweise verbriefte Kredite für den Kauf besonders klimaschädlicher Autos als grün gelten, wenn der Erlös aus der Verbriefung in Darlehen für Elektroautos fließt. Auch die Zahl der Lobbytreffen zum Thema Verbriefungen nimmt zu. Seit 2020 klopfen Großbanken wie die Commerzbank, BNP Paribas, Société Générale sowie Lobbygruppen wie der französische Bankenverband und die einflussreiche AFME (Association for Financial Markets in Europe) dazu vermehrt an die Türen der Europäischen Kommission.[4] Bei einem Mittagessen unter dem Motto „Finanzierung der Transformation des deutschen Mittelstands” wurden Anfang 2023 Bundestagsabgeordnete zum Thema Verbriefungen lobbyiert – von der staatlichen Förderbank KfW und True Sale International, der wichtigsten deutschen Lobbyorganisation zum Thema.[5] Im Kern ist die Erzählung der Finanzlobby immer die gleiche: Die Finanzkrise sei schon lange her und alle Lehren daraus seien gezogen; das Instrument Verbriefung sei nie das Problem gewesen, sondern nur die Art und Weise, wie es vor der Krise aufgelegt wurde; der Markt für Verbriefungen stagniere und müsse wachsen, damit die großen gesellschaftlichen Herausforderungen finanziell gestemmt werden können; dazu müssten die Vorschriften über Eigenkapitalanforderungen gelockert werden. Der deutsch-französische Vorstoß zu Verbriefungen stimmt in das Mantra der Finanzlobby ein – zu Lasten der Stabilität der Finanzmärkte. In einem Interview mit der Börsen-Zeitung sprach Christian Lindner das Anfang 2023 offen aus, als er sagte: „Die Abwägung zwischen Transparenz und Stabilität einerseits und der Stärkung der Finanzierungsmöglichkeiten der Banken andererseits kann aktualisiert werden.“ Auf Deutsch: Lehren aus der Finanzkrise haben wir gestern gezogen. Heute zählen wieder nur die Profite der Banken. Abgeschlossene Petition Finanzlobby in die Schranken weisen Die Finanzindustrie ist eine der mächtigsten Lobbygruppen Deutschlands. Finanzwende hat sich für eine wirksame Reform der Lobbyregistergesetzes eingesetzt. Über 19.000 Personen haben sich unserem Aufruf angeschlossen. Mehr erfahren So sehr ähnelt der deutsch-französische Vorstoß den Wünschen der Bankenlobby Auswahl von Beispielen Kernbotschaft Bankenlobby-Brief, Mai 2022 [6] Deutsch-französischer Vorschlag, Januar 2023 [7] Verbriefungen sind ein zentrales Instrument, um die Realwirtschaft und Herausforderungen wie die Energiewende zu finanzieren. Securitisation should be given an important role in „unlocking the significant amounts of capital that are much needed to finance the real economy, the fight against climate change and the digital transformation” „the EU securitisation market […] appears all the more relevant to finance the energy transition and gather the additional investments required on top of existing financing requirements for the real economy” Einordnung: Ein vorgeschobenes Argument, das suggeriert, fehlende Investitionen in Realwirtschaft und Energiewende seien die Folge fehlender Kredite (und nicht von falschen politischen Weichenstellungen, fehlender Nachfrage...). Es verschweigt, worum es den Banken vor allem geht: Mit Verbriefungen weniger Eigenkapital vorhalten. Der Verbriefungsmarkt hat sich schwach entwickelt, weil er in der EU zu stark reguliert ist. Die Regeln müssen gelockert werden. „We need to foster the European securitisation market by recalibrating the regulatory framework, which is too conservative and generally too complex.” „imbalances in the regulatory framework have contributed to the under-development of the EU securitisation market” „post crisis regulatory framework appears to be rather conservative” „some deem [… the EU securitisation regulation] criteria too complex” „opportunity for a targeted recalibration” Einordnung: Ein gesunder Markt heißt nicht, dass immer mehr Kredite neu verpackt und verkauft werden. Das Ziel eines wachsenden Marktes für Verbriefungen sollte daher als Lobby-Erzählung hinterfragt werden. Das tun auch die Europäischen Aufsichtsbehörden. Laut ihnen funktionieren die erst 2019 in Kraft getretenen Regeln für Verbriefungen gut und sollten nicht grundlegend geändert werden. Weniger Transparenz bei privaten Verbriefungen „Adjust the transparency requirements” for „private securitisation market participants”, which are „considered an unnecessary and costly burden”. „review the disclosure templates […] particularly in the case of private transactions” Einordnung: Da private Verbriefungen bereits weniger Offenlegungspflichten unterliegen, fordern Organisationen wie Finance Watch hier mehr und nicht weniger Transparenz. Denn: Für Behörden ist Transparenz Voraussetzung, um ihrer Aufsichtstätigkeit nachkommen zu können. Zudem zeigt die Forschung, dass Transparenz das Risiko für Anleger*innen reduziert und zu besseren Produkten führt. Banken müssen bei der Verbriefung von Risiken zu viel Eigenkapital vorhalten. Die Kapitalanforderungen (Risikogewichtungen) müssen gesenkt werden. „recalibrate capital charges and floors on senior tranches, in line with their low-risk profile” Transactions are „excessively burdensome, especially given the very conservative prudential charges” including „overly conservative capital requirements that increase the cost of retained tranches” „opportunity for a targeted recalibration” „the Commission should examine the possibility of further measures for recalibrating appropriately the risk weights” Einordnung: Hohes Eigenkapital schützt vor instabilen Banken. Deswegen raten auch Aufsichtsbehörden davon ab, die Risikogewichtungen zu verändern. Auch die Eigenkapitalanforderungen für Versicherer (laut Solvency II Richtlinie der EU) sind zu hoch und müssen gesenkt werden. „the capital treament of Solvency II limits – or in some cases even prevents – investment by insurers.” „the review of Solvency II is an opportunity to reassess the capital requirements associated with securitisation investments.” Einordnung: Auch bei Versicherern gefährden geringere Kapitalanforderungen die Finanzmarktstabilität (siehe vorherigen Punkt). Laut europäischen Aufsichtsbehörden liegt das mangelnde Interesse des Versicherungssektors an Verbriefungen an der Komplexität der Produkte – und nicht an zu hohen Kapitalanforderungen. Riskantere Verbriefungen sollen als erstklassige liquide Aktiva (high quality liquid assets, HQLA) anerkannt werden, die Banken sich anrechnen lassen können, um die Anforderungen an ihre Liquiditätsdeckung (Liquidity Coverage Ratio, LCR) zu erfüllen. „We consider the current treament of securitisations in the liquidity coverage ratio rather penalising” proposal: „senior STS tranches with an AA-rating […] should be allowed to be treated as high quality liquid assets of the highest level” „extending the HQLA eligibility to a broader set of tranches, i.e. tranches with a BB-rating” „for banks […] eligibility to the LCR ratio is deemed too restrictive” Einordnung: Verbriefungen sind riskante Produkte, die in Krisenzeiten schnell wertlos werden können. Sie als erstklassige liquide Aktiva einzustufen ist daher schon fragwürdig – und den Kreis der Verbriefungen, die dieses Siegel erhalten, auf riskantere Typen von Verbriefungen auszuweiten erst recht. Quellen [1] Reviving the EU securitisation market: Key priorities for the coming months, January 2023. Veröffentlicht durch das Finanzministerium im Rahmen einer Informationsfreiheitsanfrage von Finanzwende: Zum Dokument. Übersetzung: Pia Eberhardt. [2] Siehe die Antwort des Finanzministeriums sowie den veröffentlichten E-Mail-Verkehr im Rahmen dieser Informationsfreiheitsanfrage: Zur gesamten Anfrage [3] Das versteckt sich hinter der Forderung, die Anforderungen des Standards für grüne Anleihen (Green Bonds Standard, GBS) auf der Ebene des Originators von Verbriefungen anzuwenden – nicht auf Ebene der Emittent*innen beziehungsweise Verbriefungsgesellschaften. Dadurch können Verbriefungen, die nicht mit einem Portfolio grüner Vermögenswerte unterlegt sind, die GBS-Anforderungen erfüllen, wenn sich die Bank als Verkäuferin verpflichtet, den gesamten Erlös aus dem Verkauf zur Schaffung neuer grüner Vermögenswerte zu verwenden. Auch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA stützt diesen Vorschlag. [4] Eine Suche nach „securitisation” sowie „securitization” im Integrity Watch Portal von Transparency International ergibt für 2020 drei und für 2022 neun Lobbytreffen zum Thema, darunter zwei von der Commerzbank. [5] Das Mittagessen fand am 26. Januar 2023 in den Gebäuden der KfW statt. Die Einladung liegt Finanzwende vor. [6] Bankenverband und andere (2022) Fostering the Europen securitisation market. Joint proposal by the Dutch, French, German and Italian banking federations, 4. Mai. Veröffentlicht im Rahmen einer Informationsfreiheitsanfrage an das Finanzministerium. Übersetzung: Pia Eberhardt. [7] S. Verweis [1]
Finanzlobby in die Schranken weisen Die Finanzindustrie ist eine der mächtigsten Lobbygruppen Deutschlands. Finanzwende hat sich für eine wirksame Reform der Lobbyregistergesetzes eingesetzt. Über 19.000 Personen haben sich unserem Aufruf angeschlossen. Mehr erfahren