Nichts gelernt aus der Finanzkrise: Verbriefungen sollen wieder dereguliert werden 16.06.2025 Verbriefungen waren einer der Auslöser der Finanzkrise 2007/08 und wurden deswegen schärfer reguliert. Nun fordert die Bankenlobby jedoch eine Lockerung dieser Vorgaben. Der Nutzen liegt allerdings allein bei den Banken, wohingegen wir alle die Risiken tragen würden. Durch Verbriefungen können Banken ihre Kreditrisiken an andere Investor*innen übertragen. Dabei fassen sie verschiedene Kredite – etwa für Immobilien, Fahrzeuge oder Unternehmen – zu Paketen zusammen. Diese platzieren die Banken anschließend als handelbare Wertpapiere am Kapitalmarkt. Die Käufer*innen (Banken, Versicherer, institutionelle Anleger) übernehmen so auch das Risiko, dass der Kredit nicht zurückgezahlt wird. Der Vorteil für die verkaufende Bank: Die Kredite verschwinden aus der Bilanz und sie muss weniger Eigenkapital vorweisen. Im Ergebnis kann die Bank theoretisch neue Kredite vergeben oder aber das freigewordene Eigenkapital in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen an ihre Aktionär*innen weitergeben. Was treibt die Bankenlobby? Jetzt Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben: E-Mail* Unsere Datenschutzerklärung finden Sie hier. Anmelden Verbriefungen, ein Auslöser der Finanzkrise 2007/08 In der Theorie ist das ein Win-win, aber in der Praxis teilweise ziemlich gefährlich. Insbesondere in der Finanzkrise 2007/08 erwiesen sich Verbriefungen als toxisch. Da die Haftung (das Ausfallrisiko) nicht beim ursprünglichen Kreditgeber verblieb, wurden viele Kredite ohne angemessene Prüfung an Kund*innen mit schlechter Bonität vergeben. Zusätzlich waren die Verbriefungen sehr komplex. Denn es wurden nicht einzelne Kredite weiterverkauft, sondern verschiedene Tranchen mit unterschiedlichem Risiko geschaffen. Als 2007 die Blase am US-Immobilienmarkt platzte, wurden die als sicher angepriesenen Investments wertlos und die Käufer*innen erlitten hohe Verluste. Am Ende mussten viele Finanzinstitutionen durch die Steuerzahler*innen gerettet werden. Während Gewinne stets privatisiert wurden, trug nun die Gesellschaft die Verluste. Viele Verbriefungen galten von nun an als „Giftmüll“ der Finanzmärkte. Nach 2007 wurden Verbriefungen scharf reguliert, sowohl in der Europäischen Union wie auch in den USA. So muss der ursprüngliche Kreditgeber jetzt einen signifikanten Anteil der Kredite selbst behalten. Die Käufer*innen, sofern sie regulierte Banken oder Versicherungen sind, müssen für ihre Position etwas mehr Eigenkapital vorhalten. Auch die Informationspflichten wurden verschärft. Die Regeln waren erfolgreich: Seit ihrer Einführung gab es keine großen Probleme im Verbriefungsmarkt. Die Bankenlobby drängt auf Deregulierung – mit fadenscheinigen Argumenten Doch nun mehren sich die Stimmen der Finanzlobby, die die Regulierung von Verbriefungen in der EU aufweichen wollen. Verharmlosend spricht man von einer Rekalibrierung. Argumentiert wird wie so oft mit dem gesellschaftlichen Nutzen: Nur wenn die Banken durch Verbriefungen Eigenkapital freisetzen können, seien sie in der Lage, die erforderlichen Kredite – beispielsweise für Investitionen in die Energiewende – zu vergeben. Doch das Argument ist fadenscheinig. Denn wenn Eigenkapital wirklich so knapp ist, warum verteilen europäische Banken es dann so großzügig an ihre Aktionär*innen? Laut Financial Times verteilten Banken in der EU für das Jahr 2024 circa 88 Milliarden Euro in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen an ihre Aktionär*innen. Im Vorjahr schütteten sie bereits einen ähnlichen Betrag aus. Banken könnten 1.100 Milliarden Euro zusätzliche Kredite vergeben – ganz ohne Verbriefungen Wenn die Banken die kompletten 88 Milliarden Euro nicht an ihre Aktionär*innen ausschütten, sondern als Grundlage für die Kreditvergabe nutzen, dann könnten sie damit selbst bei konservativer Schätzung mindestens Kredite in Höhe von circa 1.100 Milliarden Euro darstellen.* Es ist ein vorgeschobenes Argument, dass knappes Eigenkapital der Banken die Kreditvergabe einschränkt. Es geht den Banken nicht um mehr Finanzierungen für die Transformation, sondern um mehr Geld für die Aktionär*innen. Wie Verbriefungen dereguliert werden sollen Mit den sogenannten „Rekalibrierungen“ ist vor allem Deregulierung gemeint. Das zeigen die konkreten Änderungsvorschläge, die aktuell diskutiert werden. So soll die Transparenz über die in Verbriefungen enthaltenen Kredite zurückgefahren werden. Und die sowieso schon geringen Eigenkapitalanforderungen für Verbriefungen sollen für Banken und Versicherungen reduziert werden. Dabei bräuchte ein sicherer und solider Bankensektor wesentlich mehr Eigenkapital. Doch wem nutzt die Deregulierung eigentlich? Eine Publikation des European Systemic Risk Board hat darauf hingewiesen, dass nur zehn Großbanken für den Großteil der Aktivitäten im Verbriefungsmarkt stehen. Für kleinere Banken sind Verbriefungen wegen ihrer erheblichen Komplexität gar nicht attraktiv. Es geht nicht um eine Verbesserung des Kapitalmarktes. Die Deregulierung dient lediglich den Spezialinteressen einer kleinen Gruppe großer Banken. Leider neigen Regierungsvertreter*innen immer wieder dazu, sich die Argumentation der Bankenlobby zu eigen zu machen. Schon Anfang 2023 griffen die deutsche und die französische Regierung die Argumentation der Banken auf. Dabei übernahmen der damalige Finanzminister Christian Lindner und sein französischer Amtskollege einige Vorschläge aus einem Papier der Bankenlobby Wort für Wort. Es ist wichtig, dass sich die Politiker*innen nicht vor den Karren der Finanzlobby spannen lassen. Denn eine effektive Regulierung von Verbriefungen bleibt wichtig. Die Finanzkrise 2007/08 hat die potenziellen Risiken von Verbriefungen gezeigt. Die aktuelle, wirksame Regulierung muss bestehen bleiben. Es gibt keine Notwendigkeit, die Regeln aufzuweichen. Der Nutzen läge allein bei den Banken, aber die Risiken tragen wir am Ende alle. * Banken müssen Kredite mit 8 Prozent Eigenkapital unterlegen. 100 / 8 = 12,5, der Multiplikator für die 88 Milliarden Euro. (88 *12,5 = 1.100 Milliarden Euro). Das ist eine konservative Rechnung. Da aufgrund der Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung viele Kreditarten nicht voll angerechnet werden und im Ergebnis weniger als 8 Prozent Eigenkapital benötigen, wäre die tatsächliche Zahl wohl viel höher.