Der Staat vs. CumEx

Worum es bei den CumEx-Prozessen geht

04.09.2019
Gerhard Schick

Gerhard ist promovierter Volkswirt, ehemaliges Mitglied des Bundestages, Mit-Initiator des Vereins und dessen geschäftsführender Vorstand. Er hat sein Bundestagsmandat für die Arbeit in der Nichtregierungsorganisation zum 31.12.2018 niedergelegt. Hier finden Sie seinen Lebenslauf, ein Pressefoto und ein alternatives Pressefoto.

Nach Terroranschlägen, Bandenkriminalität oder Gewaltverbrechen wird gebetsmühlenartig die Forderung nach der ganzen „Härte des Rechtsstaates“ gegenüber den Beschuldigten geäußert. Wie sieht eigentlich diese ganze „Härte des Rechtsstaates“ aus, wenn es nicht um Drogendealer oder islamische Terroristen geht, sondern um Kriminelle aus der Mitte unserer Gesellschaft? Kann und will unser Staat auch zurückschlagen, wenn rücksichtslose Betrüger in Nadelstreifen ihn in unvorstellbaren Dimension berauben?

Heute beginnt am Landgericht Bonn der erste Prozess gegen zwei an CumEx beteiligte Börsenhändler. Ihnen wird vorgeworfen, CumEx-Geschäfte zulasten des Steuerzahlers in Höhe von 440 Millionen Euro getätigt zu haben. Auch wenn das eine unvorstellbare Summe ist, handelt es sich nur um die Spitze des Eisbergs, denn Schätzungen gehen von mindestens 10 Milliarden Euro Schaden aus (lesen sie hier wie CumEx-Geschäfte funktionieren).

Der deutsche Staat gegen CumEx. Es geht um Steuerraub. Es geht um Vertrauen in unseren Rechtsstaat; um Vertrauen in unsere Demokratie. In der ersten und auch zweiten Runde hat der Staat bereits verloren. Als Initiator des Untersuchungsausschusses im Bundestag sah ich aus erster Hand wie durch den CumEx-Skandal Grundfeste unseres Staates ausgehebelt wurden – und der Staat hilflos an der Seite stand, ja sogar lange Zeit im Dunkeln tappte.

Was wir bei CumEx erlebt haben, war keine Ignoranz, keine Gleichgültigkeit, kein Ablehnen - es war eine Frontalattacke auf unseren Staat. Und eine Frontalattacke bekämpft man „erfahrungsgemäß“ mit der ganzen Härte des Rechtsstaates, dem ganzen Arsenal an staatlicher Gewalt gegenüber einem Angriff. Doch die Exekutive und Legislative haben Augen und Ohren jahrelang verschlossen:

Die Exekutive, also die Regierungen, die öffentliche Verwaltung und auch die Finanzaufsicht haben angesichts massiver Kriminalität am Finanzmarkt komplett geschlafen. Der Staat ignorierte Hinweise von Informanten aus der Branche, die die Finanzaufsicht 2007 bzw. das Bundesfinanzministerium und das hessische Finanzministerium 2010 erreichten. Mit deren Hilfe wäre schon viel früher die Verfolgung der Betrüger möglich gewesen. Unter den damaligen Bundesfinanzministern Steinbrück und Schäuble wurden klare Hinweise auf die Geschäfte ignoriert. Finanzminister in den Bundesländern haben zugelassen, dass sogar Landesbanken diese Geschäfte machten – der Staat beraubt sich selber. Schlimmer geht es kaum.

Die Legislative in Form von Bundestag und Bundesrat. Wie konnte es sein, dass trotz jahrelanger Hinweise, CumEx in seiner stärksten Ausprägung bis Ende 2011 möglich war? Tatsächlich erreichte ein „Maulwurf“ im Finanzministerium sogar, dass ein Gesetzesvorschlag der Bankenlobby 2007 vom Bundestag verabschiedet wurde – ein Gesetzesvorschlag der eigentlich dazu gedacht war, das Problem zu beheben (lesen Sie hier mehr über den CumEx-Trojaner). Mit der Folge, dass danach CumEx erst richtig boomte. Doch dass der Vorschlag vom Bankenverband kam, konnte der Finanzausschuss des Bundestags nicht wissen – und winkte den Vorschlag durch. Auch bei der Gesetzgebung 2011 war der Bundestag nicht wirklich informiert, um was es ging. Keine überzeugende Leistung unseres Parlaments.

Dies setzte sich fort im Untersuchungsausschuss. Systematisch wurde von CDU/CSU und SPD das Problem CumEx klein geredet, um ihre Parteifreunde zu schützen, anstatt im Interesse der Steuerzahler die Fehler aufzuarbeiten, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und Konsequenzen zu ziehen, damit solche Geschäfte nicht noch einmal vorkommen können. Nur die Opposition aus Linken und Grünen sorgte wirklich für Aufklärung.

Jetzt ist die Judikative am Zug, die richterliche Gewalt. Die Staatsanwaltschaft in Nordrhein-Westfalen hat bislang viel zu wenig Unterstützung bekommen für die Aufklärung dieses gigantischen Kriminalfalls. Wie sollen denn ein paar wenige Juristen hochkomplexe Finanztransaktionen so aufbereiten, dass die Täter bestraft werden können? Hier braucht es genug kompetente Fachleute aus der Justiz und der Finanzverwaltung. Denn jetzt vor Gericht entscheidet sich, ob wir als Gesellschaft „wehrhaft“ sind, eine reiche, eingeweihte Kaste zu bestrafen, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert hat.

Es ist höchste Zeit, dass im größten Steuerraub der deutschen Geschichte die ersten Täter zur Verantwortung gezogen werden. Ich hoffe, dass die zentralen Verantwortlichen hinter Gitter landen, denn das ist die einzige Sprache, die diese Menschen verstehen.