Ausnahme für den Finanzsektor

Wie Teile der Finanzlobby europäische Sorgfaltspflichten aushebelten

31.03.2025
Report: Financial irresponsibility
  • Der Finanzsektor ist weitgehend vom europäischen Lieferkettengesetz und somit von Sorgfaltspflichten für Umwelt und Menschenrechte ausgenommen. 
  • Das ist kein Zufall: Diese Ausnahme ist das Ergebnis intensiver Lobbyarbeit des Vermögensverwalters BlackRock und anderer einflussreicher Lobbygruppen. Die Ausnahme wurde durchgesetzt, obwohl die Finanzbranche selbst gespalten war. 
  • Mit dem „Omnibus“-Paket plant die Europäische Kommission aktuell unter anderem, die Ausnahme für den Finanzsektor dauerhaft festzuschreiben. Europäische Entscheidungsträger*innen sollten sich stattdessen den Versuchen der Deregulierung entgegenstellen, alte Fehler korrigieren und den Finanzsektor in die Sorgfaltspflichten einbeziehen.

In einem neuen Bericht zeigt Finanzwende auf, wie es der Finanzlobby auf europäischer Ebene gelungen ist, dass der Finanzsektor weitgehend aus dem Lieferkettengesetz ausgenommen wurde. Ein beispielloser Lobbyerfolg, der im aktuellen Prozess der Überarbeitung europäischer Regeln für nachhaltige Finanzmärkte rückgängig gemacht werden sollte. 

Europäische Regeln für Sorgfaltspflichten

2024 verabschiedete die Europäische Union (EU) die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD). Große Unternehmen tragen damit die Verantwortung für Schäden an Mensch oder Natur, die entlang ihrer Lieferkette entstehen. 

Die damit verbundenen Sorgfaltspflichten verpflichten Unternehmen, Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden in ihrer Lieferkette zu identifizieren und zu verhindern. Die Richtlinie gilt als bedeutender Fortschritt für Transparenz globaler Lieferketten und unternehmerischer Verantwortung innerhalb der EU.


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Der erste Entwurf: Der Finanzsektor in der Verantwortung

Der im Februar 2022 veröffentlichte Entwurf der Richtlinie sah umfangreiche Sorgfaltspflichten für den Finanzsektor vor. Die Kommission stellte darin ausdrücklich fest, dass Finanzinstitute erheblichen Einfluss auf das Verhalten von Unternehmen haben und daher sicherstellen müssen, dass Kredite und Investitionen keine schädlichen Geschäftspraktiken unterstützen. 

Der Entwurf verpflichtete Banken, Investmentfirmen, Fondsgesellschaften, Versicherungsunternehmen, Rückversicherer und Pensionsfonds, ihre Geschäftspartner*innen auf Umwelt- und Menschenrechtsrisiken zu prüfen.

Die Reaktion der Finanzlobby: Eine gespaltene Branche

Innerhalb der Finanzbranche gab es unterschiedliche Positionen zur CSDDD. Einige Verbände unterstützten den Einbezug des Finanzsektors, wenn auch mit Einschränkungen: 

  • Die European Banking Federation (EBF), die mehr als 30 nationale Bankenverbände repräsentiert, akzeptierte Sorgfaltspflichten für Unternehmenskredite, lehnte diese jedoch für Privatkund*innen ab. 
  • Der niederländische Bankenverband (NVB) sprach sich ausdrücklich für Sorgfaltspflichten im Finanzsektor aus, da diese das Branchenbewusstsein für Menschenrechts- und Umweltrisiken schärfen würden. 
  • Der deutsche Fondsverband BVI befürwortete explizit die Verknüpfung von Managementvergütung mit Nachhaltigkeitszielen. 
  • Andere Finanzverbände lehnten dagegen jegliche Sorgfaltspflichten ab. 

Der im Europäischen Parlament verhandelte Kompromiss sah letztlich Sorgfaltspflichten für Finanzunternehmen vor, schränkte die Pflichten jedoch auf das Unternehmensgeschäft ein.

BlackRock setzt sich für eine Ausnahme für Vermögensverwalter ein

Der US-amerikanische Vermögensverwalter BlackRock war nicht bereit, sich mit diesem Kompromiss abzufinden. BlackRock hatte bereits Monate auf eine Ausnahme von der Sorgfaltspflicht gedrängt. Als Begründung führte Blackrock an, dass Vermögensverwalter keine direkten operativen Verbindungen zu den Unternehmen hätten, in die sie investieren. 

Nachdem der Vermögensverwalter damit beim Europäischen Parlament keinen Erfolg hatte, richtete er seine Lobbybemühungen auf die Mitgliedstaaten – und fand dabei offenbar Unterstützung in der französischen Regierung. Was auch immer hinter geschlossenen Türen geschah, ein durchgesickerter Ratskompromiss vom November 2022 zeigt das Ergebnis: Die sogenannte „BlackRock-Ausnahme“. Der Entwurf sah vor, dass die Richtlinie für Banken und Versicherungen gilt, nicht jedoch für Vermögensverwalter. Letztere wurden vollständig von jeglichen Sorgfaltspflichten für investierte Unternehmen befreit.

Der „Upstream“-Trick: Wie sich ein gesamter Sektor aus der Verantwortung stiehlt

Was als Ausnahme für Vermögensverwalter begann, weitete sich rasch zur vollständigen Aufhebung der Sorgfaltspflichten für den gesamten Finanzsektor aus. Auf der Ratssitzung im Dezember 2022 setzte sich die französische Vertreterin erneut für eine Ausnahmeregelung ein, die Finanzinstitute faktisch von jeglicher Verantwortung befreite. 

Bereits zuvor hatten mehrere Mitgliedstaaten um Frankreich durchgesetzt, dass Sorgfaltspflichten vor allem für „Upstream“-Aktivitäten gelten sollten – also für die Beschaffung von Rohstoffen und die Produktion bei Zulieferunternehmen. „Downstream“-Aktivitäten wie Nutzung, Weiterverarbeitung und Entsorgung blieben weitgehend unberücksichtigt. Was in Industrien wie der Textil- oder Elektronikbranche als sinnvolle Verantwortung entlang der Wertschöpfungskette gelten kann, führt Sorgfaltspflichten im Finanzsektor ad absurdum – denn sein Kerngeschäft liegt im Downstream-Bereich. 

Frankreichs Argument für eine „Gleichstellung der Sektoren“ – also die Beschränkung auf „Upstream“-Aktivitäten auch für den Finanzsektor – führte damit faktisch zur Abschaffung jeglicher Sorgfaltspflichten für Finanzinstitute. Banken und Investmentfirmen mussten damit lediglich ihre eigenen Lieferketten prüfen – etwa Büroausstattung oder IT-Dienstleister – nicht aber die Unternehmen, die sie finanzieren. Trotz Widerstand aus Deutschland und den Niederlanden hielt der Rat an dieser Ausnahme fest.

Lobbysieg im Trilog: Finanzsektor entkommt der Verantwortung

Die Ausnahme war noch nicht endgültig, sahen die Entwürfe von Kommission und Parlament doch weiterhin Sorgfaltspflichten für den Finanzsektor vor. Kein Wunder also, dass die Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission über die endgültige Fassung der Richtlinie unter massivem Lobbyeinfluss stattfand – darunter auch die Association for Financial Markets in Europe (AFME) und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). 

Der endgültige CSDDD-Text von 2024 bestätigte schließlich, dass Finanzinstitute keine Sorgfaltspflichten gegenüber den Unternehmen haben, die sie finanzieren. Lediglich eine Revisionsklausel ermöglicht es, den Finanzsektor zu einem späteren Zeitpunkt einzubeziehen.

Das Omnibus-Paket: Ausnahme soll zementiert werden

Die Entbindung des Finanzsektors von unternehmerischen Sorgfaltspflichten zeigt, wie Partikularinteressen sich gegen den Willen gewählter Parlamentarier*innen und der Mitgliedstaaten durchsetzen. Anstatt diese unfaire Ausnahme aufzuheben, arbeitet die Europäische Kommission nun daran, sie zu verstetigen. 

Teil des im Februar 2025 veröffentlichten Omnibus-Pakets ist die Streichung der CSDDD-Revisionsklausel, die eine Überprüfung der Finanzsektor-Ausnahme nach zwei Jahren vorsieht. Wird sie beschlossen, könnte der Finanzsektor sich dauerhaft von der Verantwortung für die sozialen und ökologischen Auswirkungen seiner Investitionen drücken.

Omnibus als Chance: Finanzakteur*innen in die Verantwortung nehmen!

Die Europäische Kommission sollte stattdessen die Omnibus-Verhandlungen nutzen, um diesen Fehler zu korrigieren – nicht, um ihn zu zementieren. Die europäischen Gesetzgeber*innen haben jetzt die Möglichkeit, sich der vorgeschlagenen Deregulierung entgegenzustellen, den Finanzsektor in die Verantwortung zu nehmen und sicherzustellen, dass Kapitalflüsse nicht weiter menschenrechtliche und ökologische Schäden finanzieren. Alles andere wäre ein weiterer Sieg für Lobbyinteressen.


Diese Seite ist eine Kurzfassung des Reports „Financial Irresponsibilty: How finance escaped European supply chain legislation - and what it means for the 'Omnibus'“. Hier geht es zur englischsprachigen Seite.

Dieses Projekt wird unterstützt von der KR Foundation

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