Grüne Zertifikate: Mogelpackung mit grünem Anstrich

10.05.2024
Nachhaltigkeit
  • Viele Menschen wollen nachhaltig anlegen. Sparkassen und Genossenschaftsbanken nutzen den Trend zum Verkauf vermeintlich grüner Zertifikate.
  • Wo grün draufsteht, steckt noch lange nicht grün drin: Die meisten als nachhaltig deklarierten Zertifikate sind es nicht.  
  • Anleger*innen finanzieren mit den Produkten potenziell alles, was Banken tun, zum Beispiel auch Ölgeschäfte. Zur grünen Transformation trägt das eher selten bei. 

Immer mehr Menschen wollen nachhaltig leben und investieren. Übersetzt auf die Geldanlage heißt das: Die Investition sollte sich nicht nur rentieren, sondern auch gut für Umwelt und Klima sein. Banken und Sparkassen haben dieses Bedürfnis von Verbraucher*innen erkannt und versprechen dafür vermeintlich maßgeschneiderte Produkte.

Wer nachhaltige Anlagemöglichkeiten sucht, stolpert schnell über eine besondere Produktklasse: grüne Zertifikate. Landauf, landab stehen die Produkte massenhaft in den digitalen Schaufenstern der Anbieter*innen. Die Deka – die Fondsgesellschaft der Sparkassen - bietet derzeit 7.604 grüne Zertifikate an. Bei der LBBW sind es gar 31.161 Produkte. Die Zahlen zeigen: An Auswahl mangelt es nicht.

Interessent*innen sollten sich jedoch nicht täuschen lassen. Die vermeintlich nachhaltigen Zertifikate sind in der Regel Mogelpackungen mit grünem Anstrich. Das bedeutet: Der Begriff „Nachhaltig“ ist vor allem ein Marketingversprechen, entspricht aber nicht unbedingt der Mittelverwendung.

Zertifikate nützen vor allem den Anbieter*innen 

Ohnehin sind Zertifikate oftmals Produkte, die eher den Banken dienen als ihren Kund*innen. Es handelt sich dabei um Inhaberschuldverschreibungen. Das heißt: Die Anleger*innen leihen der Bank mit diesen Papieren Geld. Die Rückzahlung der Investition hängt häufig von der Entwicklung am Finanzmarkt ab. Den Zertifikaten liegen nämlich sogenannte Basiswerte zugrunde, etwa Aktien, Rohstoffe oder Indizes. Anleger*innen wetten mit Zertifikaten also in der Regel auf Kursentwicklungen.

Der Markt für Zertifikate in Deutschland ist riesig. Dem Bundesverband für strukturierte Wertpapiere zufolge lag das Volumen zum Jahresende 2023 bei 112 Milliarden Euro. Die Banken, vor allem Genossenschaftsbanken und Sparkassen, erledigen den Vertrieb im großen Stil und verdienen damit Provisionen. Das Geschäft lohnt sich: Insbesondere Sparkassen profitierten zuletzt stark von ihrem aggressiven Vertrieb von Zertifikaten.

Für Verbraucher*innen hingegen sind Zertifikate nicht unbedingt segensreich. Unabhängigen Expert*innen zufolge sind die Produkte oftmals teuer, komplex und riskant. Geht etwa die Bank pleite, droht Anleger*innen ein Totalverlust ihres Geldes. Gleichzeitig sind die Papiere immer wieder so strukturiert, dass die Renditemöglichkeiten begrenzt bleiben – und üppige Vertriebsgebühren enthalten. Die Stiftung Warentest rät Verbraucher*innen konsequenterweise vom Zertifikatekauf ab.


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Außen hui, innen pfui

Grüne Zertifikate sind oft ungefähr so nachhaltig wie die Obstauslage im Supermarkt – von regionaler Biokost bis zum tropischen Flugobst kann alles dabei sein. Denn ohne strikte Regeln für die Mittelverwendung platzt das grüne Versprechen. Übrig bleibt dann nur eine Mogelpackung, in der alle dreckigen Investments stecken, die die Banken auch sonst so tätigen. Aber der Reihe nach.

Banken und Sparkassen müssen die Gelder, die sie mit grünen Zertifikaten einsammeln, nicht nach spezifischen Nachhaltigkeitsregeln verwenden. Stattdessen gelten nur die allgemeinen Ausschlüsse, die sich die Geldhäuser gegeben haben. Kundengelder aus grünen Zertifikaten könnten also durchaus auch in Kredite fließen, die der Erschließung neuer Ölfelder dienen. Eine Nachhaltigkeitswirkung über den Basiswert bleibt in der Regel ebenfalls aus.

Zudem hat sich die Branche bestenfalls laxe Standards für die Vergabe von grünen Zertifikaten gesetzt. Gefordert wird eine „A“-Bewertung der Ratingagentur MSCI. Dieses Rating ist in Sachen Nachhaltigkeit höchstens Mittelklasse. Es wird von allen wichtigen deutschen Banken erfüllt. Wer noch dazu den UN Global Compact – das sind Grundsätze zu Menschen- und Arbeitsrechten – unterzeichnet hat, gilt schon als nachhaltig. Diese niedrigen Anforderungen gelten – mit ein paar Zusätzen – auch für Basiswerte.

Selbst Öl-Multis wie TotalEnergies und Shell dienen zuweilen als Basiswerte für nachhaltige Zertifikate.

Das führt zu widersinnigen Ergebnissen: Selbst Öl-Multis wie TotalEnergies und Shell dienen zuweilen als Basiswerte für nachhaltige Zertifikate. Zugleich untergräbt der laxe Standard die EU-Taxonomie, denn ein Großteil der als nachhaltig etikettierten Zertifikate bleibt hinter den europäischen Anforderungen zurück. Dennoch vermarkten etwa die Sparkassen ihre Produkte als „ESG-Strategieprodukte mit Berücksichtigung von Umwelt- und Sozialthemen“.

Finanzwende Recherche, eine Tochter von Finanzwende, resümierte nach einer Studie im Jahr 2023 zu grünen Zertifikaten: Verbraucher*innen können ihren Wunsch nach Nachhaltigkeit nicht mit grünen Zertifikaten erfüllen.


Unterm Strich: Tipps und Tricks

Verbraucherproblem: Für Verbraucher*innen sind Zertifikate meist keine gute Idee. Das gilt insbesondere für all jene, die gezielt in grüne Projekte investieren wollen. Entgegen typischer Werbeaussagen sind grüne Zertifikate in der Regel nämlich nicht nachhaltig.

  • Vorsicht geboten. Teuer, komplex und sehr oft risikoreich bei begrenzten Chancen – so urteilen unabhängige Expert*innen über Zertifikate. Geht die Bank pleite, können Anleger*innen alles verlieren. Wenn Sie eine Anlage mit vernünftigem Chance-Risiko-Profil und geringen Kosten suchen, sollten Sie Zertifikate eher links liegen lassen.  
  • Mogelpackungen entlarven. Wie im Supermarkt können Sie auch bei Finanzprodukten wie grünen Zertifikaten an Mogelpackungen geraten. Oft ist auf das Nachhaltigkeitsversprechen kein Verlass. Eine Orientierung zum Thema Nachhaltigkeit bei deutschen Banken bietet Ihnen der unabhängige Fair Finance Guide.
  • Auf die Mittelverwendung achten. Das Geld grüner Zertifikate kann durchaus in dreckige Investments fließen. Anders ist es etwa bei grünen Anleihen, sogenannten Green Bonds. Hier sorgen die Regeln dafür, dass angelegtes Geld tatsächlich größtenteils in nachhaltige Projekte fließt. Und auch sonst gibt es echte grüne Alternativen für Ihr Geld, wie die Stiftung Warentest zeigt.