Offene Immobilienfonds: Die Sicherheitsillusion

16.01.2025
Offene Immobilienfonds: Die Sicherheitsillusion
  • Banken und Sparkassen verkaufen ihren Kund*innen offene Immobilienfonds häufig als sichere Anlage. Die Daten der Branche sprechen allerdings eine andere Sprache, zeigt ein Gutachten im Auftrag von Finanzwende.
  • Zudem wurden Anleger*innen massenhaft so beraten, dass sie ihre Anteile teurer als nötig einkauften. Ihre Verluste summieren sich auf gut 1 Milliarde Euro.
  • Viele offene Immobilienfonds enthalten von vornherein so hohe Kosten, dass für Kund*innen kaum etwas übrigbleiben kann.

Illusionskünstler*innen faszinieren, ob im Fernsehen oder beim Zirkus. Beim Thema Geldanlage dürften magische Maschen bei vielen Menschen hingegen Unbehagen auslösen. Aber wer denkt schon an Illusionen, wenn die Bank zu einer scheinbar risikoarmen und grundsoliden Anlage rät?

Offene Immobilienfonds sind eine dieser als solide beworbenen Anlagen. Die Anbieter*innen schwärmen, damit ließen sich „attraktive Erträge“ bei „geringem Risiko“ erzielen. Die Rendite sei „oft höher als bei festverzinslichen Anlagen“. Und Kursschwankungen seien zwar „möglich, aber gering“. All das klingt so, als seien offene Immobilienfonds super für all jene, die ihr Geld konservativ anlegen wollen.

Und viele Anleger*innen griffen zu. Schätzungen zufolge geht ihre Zahl in die Millionen. Ende Oktober 2024 lag das Marktvolumen offener Immobilienfonds bei mehr als 125 Milliarden Euro. Das ist eine gewaltige Summe.


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Nach zahlreichen Negativschlagzeilen dürften Kund*innen allerdings tief verunsichert sein: Einzelne Fonds haben seit Ende 2023 dramatisch abgewertet. Der Volksbanken-Fonds UniImmo: Wohnen ZBI verlor im Sommer 2024 auf einen Schlag fast 17 Prozent an Wert. Noch härter traf es die Anleger*innen des Leading Cities Invest vom Fondsanbieter KanAm. Der Wertverlust ihrer Anteile betrug in den 13 Monaten bis Dezember 2024 ganze 24 Prozent.

Doch die Branche zeigt sich bislang unbeeindruckt und bewirbt offene Immobilienfonds weiterhin eifrig als Sicherheitsbaustein. Zu Unrecht, wie Finanzwende meint. Denn diese Versprechen sind häufig vor allem eins: eine Sicherheitsillusion.

Über das Gutachten

Ein Gutachten im Auftrag von Finanzwende hat analysiert, wie es bei einer vermeintlich grundsoliden Anlageform zu derart hohen Abwertungen kommen konnte.

Untersucht wurden die zehn größten offenen Immobilienfonds, die an der Börse gehandelt werden und auch für Kleinanleger*innen erhältlich sind. Sie repräsentieren gut 80 Prozent des Marktvolumens – und werden vor allem von Sparkassen, Volksbanken, der Commerzbank und der Deutschen Bank verkauft.

Die Ergebnisse gelten also für einen Großteil der Branche – und sie sind verheerend: Denn der Fehler liegt bei offenen Immobilienfonds offenbar im System. Das zeigt unsere Analyse auf Basis der Rechenschaftsberichte der Unternehmen sowie der Börsenkurse.

Wer die Sicherheitsillusion verstehen will, sollte sich zunächst klarmachen, dass offene Immobilienfonds grundsätzlich anders funktionieren als Aktienfonds – und zwar in der Frage, wie der Wert der Anlage ermittelt wird. Der Wert von Aktienfonds basiert auf zeitnahen Marktpreisen, der Wert offener Immobilienfonds hingegen nur auf zeitverzögerten Schätzpreisen. Das hat weitreichende Konsequenzen, insbesondere für die Risikoeinstufung.

Verluste trotz vermeintlicher Sicherheit

Anbieter*innen weisen offene Immobilienfonds in den offiziellen Produktinformationen für Kund*innen überwiegend als Geldanlage mit einer Risiko-Kennziffer von 1 oder 2 aus. Das bedeutet: Anbieter*innen schätzen das Risiko potenzieller Verluste als „sehr niedrig“ beziehungsweise „niedrig“ ein.

Mit diesem Risiko-Label wirken offene Immobilienfonds fast so sicher wie Staatsanleihen. Das kommt Banken und ihren Vertriebsleuten zugute. Ein bisschen Sicherheit im Portfolio braucht schließlich jede*r.

Schätzpreise statt Marktpreise

Ein Sachverhalt kommt den Anbieter*innen bei der Risikoklassifizierung besonders entgegen. Sie bedienen sich – vorschriftsmäßig – europäischer Regeln, die eigentlich für Anlageklassen mit aktuellen und schwankenden Marktpreisen erdacht wurden. Für offene Immobilienfonds passt diese Mechanik aber nur bedingt, weil Immobilien selten gehandelt werden und ihr Wert meist auf bloßen Schätzpreisen basiert, die zudem nur vierteljährlich angepasst werden.

So wirken die Kursverläufe von offenen Immobilienfonds tendenziell stabil – und scheinen zuweilen wie mit dem Lineal gezogen. Im geltenden System werden solche geringen Schwankungen mit niedrigen Risikoziffern belohnt.

Viele Produkte sind allerdings gar nicht so sicher wie die offizielle Risikokennzahl nahelegt. Zumindest in den von uns untersuchten Fonds schlummern wohl erhebliche Risiken. So kann es passieren, dass Fonds für ihre Immobilien nur Verkaufspreise erzielen, die weit unterhalb der erwarteten Buchwerte liegen. Das drückt den Wert der Fondsanteile. Den Verlust tragen die Anleger*innen, wie etwa beim abgewerteten UniImmo: Wohnen ZBI.

Insoweit ist jeder Verkauf einer Immobilie aus dem Fondsbestand auch ein Reality-Check: Sind die geschätzten Buchwerte am Markt zu erzielen – oder eben nicht?

Schließlich wird der Anteilspreis bei offenen Immobilienfonds nicht von Angebot und Nachfrage bestimmt, sondern basiert im Wesentlichen auf den Schätzungen der Gutachter*innen. Das ist anders auch kaum zu machen. Wer kann schon wissen, was ein Büroturm aktuell wert ist?

Den Auftrag zur gutachterlichen Bewertung erteilen allerdings die Anbieter*innen. Das birgt Potenzial für Interessenkonflikte. Zwar unterliegen die Gutachter*innen einer ganzen Reihe von Vorschriften, denen zufolge die Bewertungen marktgerecht sein sollen. Dennoch haben sie ein natürliches Interesse an Folgeaufträgen – und die Anbieter*innen wünschen sich Bewertungen, die ihnen zupasskommen.

Zweifelhafter Anlageerfolg

Die Bewertungen der Fondsimmobilien haben jedenfalls mit den Entwicklungen am Immobilienmarkt nur allzu oft wenig zu tun, zeigt unsere Analyse der zehn größten Fonds. Im Gegenteil: Die Anbieter*innen konnten ihre jährlichen Anlageerfolge mithilfe der Bewertungsergebnisse der Gutachter*innen substanziell schönen. Zu diesem Ergebnis kommt Experte Stefan Loipfinger nach Analyse der Rechenschaftsberichte.

Die zehn untersuchten Fonds verbuchten zwischen Oktober 2021 und März 2024 laut Rechenschaftsberichten insgesamt einen Wertanstieg um 1,6 Milliarden Euro. Nur: Im gleichen Zeitraum sanken die Immobilienpreise am Markt stark. Das belegen die Statistiken der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank.

Auch die langfristige Betrachtung untermauert den Befund, dass die Bewertungen der Gutachter*innen oft nicht recht zur Marktentwicklung passen. Das gilt etwa für die Phase von Zinssenkungen zwischen 2008 und 2015. In dieser Zeit gingen die Immobilienpreise durch die Decke. Die untersuchten Fonds verbuchten im Durchschnitt zeitgleich Wertverluste. Klar ist: Bewertungen, die tendenziell sinken, passen nicht zu Marktpreisen, die zeitgleich stark steigen.

Aber warum ließen die Fondsgesellschaften ihre Anleger*innen nicht an den steigen Immobilienpreisen teilhaben?

Fünf Mal sehr niedrige Risikoeinstufungen

Für die Fondsanbieter*innen geht es offenbar vor allem um eines: möglichst stabil wirkende Wertentwicklungen. Aus ihrer Sicht kann es – falls nach einer Finanzkrise Risiken im Portfolio schlummern – möglicherweise guttun, durch sachte Abwertungen ihre Kursverläufe stabil zu halten.

Vieles deutet darauf hin, dass Fondsanbieter*innen die Spielräume bei der Bewertung nutzen, um ihre Fonds stabiler – und damit sicherer – aussehen zu lassen als sie sind. Wie gesagt: Geringe Wertschwankungen zahlen sich aus, weil sie quasi automatisch zu einer niedrigen Risiko-Kennzahl führen.

Die Hälfte der zehn untersuchten Fonds konnte denn auch mit der niedrigsten Risiko-Kennzahl 1 aufwarten, vier weitere schaffen eine niedrige Kennzahl 2. Auf dem Informationsblatt für Kund*innen stehen offene Immobilienfonds dank dieser Kennzahlen oft als risikoarme Anlageform da.

Gemessen an den Marktpreisen für Immobilien können Anbieter*innen ihre oft konservative Kundschaft mit niedrigen Risikokennzahlen jedoch in falscher Sicherheit wiegen – und Vertriebsleuten ein gutes Verkaufsargument liefern. Die Sicherheitsillusion ist perfekt.

Angeschmierte Anleger*innen

Für Anleger*innen hingegen ist das Ergebnis oft eine Zumutung. Wer nach der Finanzkrise auf steigende Immobilienpreise setzte, profitierte oftmals nicht. Und auch wer über die Bank Anteile an einem offenen Immobilienfonds kaufte, zahlte häufig mehr als er*sie muss.

Denn: An den Börsen lagen die Preise für Fondsanteile in den vergangenen Jahren zumeist deutlich unter denen, die in Bankfilialen verlangt wurden. In der Spitze ließ sich mit einem Kauf über die Börse mehr als ein Viertel des Preises einsparen. Der übliche Ausgabeaufschlag der Fondsgesellschaften ist hier noch nicht einmal mit eingerechnet.

Dennoch vertrieben Banken und Sparkassen die Anlagen im großen Stil. Allein von den untersuchten zehn größten Fonds verkauften sie zwischen Oktober 2021 und März 2024 Anteile im Wert von 11,4 Milliarden Euro - trotz höherer Preise als an der Börse. Das bedeutet aber auch: Es ging vor allem um den Verkauf. Welche*r Kund*in würde bei sonst gleichwertigen Alternativen nicht die kostengünstigste wählen?

Zeche in Milliardenhöhe

Klar ist: Viele Interessent*innen wurden seit mindestens 2022 schlecht beraten. Denn die EU-Regulierung schreibt vor, dass Anbieter*innen bei der Ausführung von Orderwünschen das bestmögliche Ergebnis für ihrer Kund*innen erzielen und die Kund*innen dabei umfassend informieren sollen.

Das Nachsehen haben Anleger*innen. Sie zahlten durch Vertriebsaktivitäten der Anbieter*innen zwischen Oktober 2021 und März 2024 schätzungsweise 1,2 Milliarden Euro zu viel. Das zeigen Berechnungen auf Basis von Ausgabepreisen und Börsenpreisen in dem Zeitraum. Für Kleinanleger*innen ist das ein enormer Schaden.

Besonders hart trifft es die Kund*innen der vertriebsstarken Sparkassen und Volksbanken. Laut Gutachten beziffert sich allein ihr Verlust zusammengerechnet auf etwas mehr als eine Milliarde Euro. Für Kund*innen der Genossenschaftsbanken sind es unserem Gutachten zufolge 516 Millionen Euro, bei den Sparkassen immerhin 493 Millionen Euro.

Kosten fressen Rendite

Zu allem Überfluss lohnen sich viele Fonds aufgrund hoher Kosten aus Anlegersicht ohnehin kaum. Eine Analyse der Kostenangaben aus den Produktinformationen zeigt: Rund drei Viertel der erwarteten Erträge – gut 77 Prozent – gehen durchschnittlich für Kosten drauf. Es bleibt oft wenig übrig.

Im Verhältnis zum Fondsanbieter seien Chancen und Risiken der Kund*innen unfair verteilt, urteilt Analyst Stefan Loipfinger. Seine Untersuchung zeigt: Nach Prognosen der Anbieter*innen erhalten Anleger*innen durchschnittlich nur 23 Prozent der Chancen, tragen aber 100 Prozent der Risiken. Wertet ein Fonds ab, tragen die Anleger*innen den Verlust.

Bei derart hohen Produktkosten können aber auch schon kleine Renditeeinbußen dazu führen, dass bei den Anleger*innen gar kein Geld mehr ankommt. Bei drei der untersuchten Fonds machten Anleger*innen im vergangenen Jahr sogar Verluste.

Eine sichere Bank sind offene Immobilienfonds unterm Strich also auch nicht, was Renditen und kurzfristigen Kapitalerhalt angeht. Laut Union Investment legen konservative Anleger*innen „größten Wert auf den Erhalt des investierten Kapitals und auch kleinste Verluste machen Sie bereits nervös.“ Fondsanalyst Loipfinger zufolge hätten sehr vorsichtige Anleger*innen mit ausgeprägter Risikoaversion niemals einen offenen Immobilienfonds als Produktempfehlung erhalten dürfen.

Schluss mit den Illusionen

Offenkundig verkaufen aber Anbieter*innen haufenweise offene Immobilienfonds mit einem Sicherheitsversprechen, das im Ernstfall kaum zu halten ist. Die tatsächlichen Risiken der Produkte sind oft höher als ausgewiesen.

Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) warnt zwar mittlerweile leise vor möglichen Verlusten. Der Vertrieb der Produkte als Sicherheitsbaustein läuft aber weiter. Leidtragende sind die Anleger*innen.

Finanzwende meint: Anleger*innen müssen die Sicherheit von offenen Immobilienfonds anhand der Risikokennziffern besser einschätzen können. Hier wie anderswo gilt: Wo sicher draufsteht, muss auch sicher drin sein. Auf die Risikoeinstufungen in den offiziellen Beipackzetteln müssen Interessent*innen sich verlassen können.

Finanzwende fordert:

  • Schau hin, BaFin: Die Finanzaufsicht BaFin sollte dafür sorgen, dass die Risikoeinstufungen von offenen Immobilienfonds die tatsächliche Risikolage darstellen. Dazu könnte sie beispielsweise strengere Vorgaben zu den Daten durchsetzen, die in die Risikoberechnung fließen.
  • Konfliktfreie Bewertungen: Gutachter*innen sollten von unabhängigen Dritten wie etwa der Finanzaufsicht ausgewählt werden, um mögliche Interessenkonflikte von vornherein zu vermeiden.